Recht getroffen

Wolfgang Bittners „Rechts-Sprüche“

Jean-Claude Alexandre Ho
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Mal angenommen, wir hätten einen Sohn, der wollte Richter werden. Was gäben wir ihm dafür mit? Einen Porsche, eine Patek Philippe vielleicht? Ein Wort mit auf den Weg gab der Jurist und Schriftsteller Martin Beradt seinem fiktiven Sohn im Essay „Der deutsche Richter“: „Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet es Reichen wie Armen, unter Brücken zu schlafen, auf Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“
Dieses große, ironische, unter Schmerzen lächelnde Wort Anatole Frances hat Wolfgang Bittner seinen polemischen „Rechts-Sprüchen“ vorangestellt. Mit den „Texten zum Thema Justiz“ – so der Untertitel – ergehen Rechtssprüche über die Justiz selbst, der Schriftsteller und gelernte Jurist sitzt gewissermaßen zu Gericht über das Gericht. Und er geht hart ins Gericht mit dem Gericht. In reimlosen Versen – einige zeitlos, andere den siebziger Jahren verhaftet – illustriert Bittner Dahrendorfs Wort, dass „die eine Hälfte der Gesellschaft über die ihr unbekannte andere Hälfte zu urteilen befugt ist“. In „Schöffengericht“ etwa wird ein Hilfsarbeiter im Namen des Volkes verurteilt, jedoch von einer „’Volksjustiz‘ (…), die keine ist: der Arbeiter fehlt fast immer.“, wie es bei Tucholsky heißt.
Auch wenn das klassische Milieu der Arbeiter längst in Auflösung begriffen ist: Die meisten „Rechts-Sprüche“ sind nach wie vor aktuell, zeichnet sie doch der Blick von unten aus. Das gilt auch für die Variation über Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG: „Alle Staatsgewalt/geht vom Volke aus/Nachdem sie ausgegangen ist/wurde sie zunächst/aus den Augen verloren“. Die Bittnersche Variante ist das leise hoffende Echo Brechts, der gefragt hatte: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus; aber wo geht sie hin?“
Bittners „Rechts-Sprüche“ gemahnen daran, sich das Recht nicht leicht zu machen. Mit diesem Rechtsbrevier reiht er sich ein unter die „großen Zweifler an der Wissenschaft und dem Werte des Rechts“, wie Tolstoi, Daumier und Anatole France von Gustav Radbruch bezeichnet wurden. In diesem Sinne ist auch Bittner ein „für den werdenden Juristen unschätzbarer Mahner zur Selbstbesinnung.“
Den Vorwurf, seine „Rechts-Sprüche“ seien schwarzweiß gemalt, empfindet Bittner keineswegs als ehrenrührig, zumal er mit seiner Schwarzweißmalerei oft genug ins Schwarze trifft. Zudem wird in den „Rechts-Sprüchen“ die Justiz buchstäblich schwarzweiß gemalt: Der „Anwalt mit der spitzen Feder“ Philipp Heinisch illustriert und kommentiert mit seinen schwarzweißen Karikaturen die „Rechts-Sprüche“.
Die Justiz von vor fünfunddreißig Jahren, als die „Rechts-Sprüche“ zum ersten Mal veröffentlicht wurden, ist heute eine andere. Die „Rechts-Sprüche“ zur NS-Vergangenheit mancher damaliger Richter etwa sind nunmehr historische Reminiszenz. Bittner hat den Wandel erkannt: „Zum Glück – und das soll nicht verschwiegen werden – gibt es heute auch fortschrittliche Juristen (…)“. Davon zeugt nicht zuletzt, dass Bittner im Lichthof des OLG Köln aus seinen „Rechts-Sprüchen“ lesen durfte. Es spricht für unsere Zeit, wenn Bittners „Rechts-Sprüche“ rechtliches Gehör finden. Und sie sollten gehört werden in einer Zeit, in der das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit es Reichen wie Armen verbietet, Steuern vorm Fiskus zu retten auf ein Schweizer Nummernkonto.

Wolfgang Bittner, Rechts-Sprüche. Texte zum Thema Justiz

Aktualisierte und erweiterte Ausgabe mit Zeichnungen von Philipp Heinisch

Ossietzky Verlag

166 Seiten, ISBN 3-9808137-8-9
11,00 EUR

Veröffentlicht von on Sep 6th, 2010 und gespeichert unter LITERATUR, RECHT LITERARISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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