„Ohne einen starken Mittelstand geht gar nichts“

Der ehemalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow (82) hatte als Student ein Faible für Jura und outet sich heute als Marktliberaler

Benedikt Vallendar

Berlin. Er war das freundliche Gesicht der untergehenden DDR. Bescheiden, volksnah und verbindlich. Ganz im Gegensatz zu den selbstgefälligen SED-Apparatschiks a la Honecker, Stoph und Krenz, die mehr als 40 Jahre lang im Osten Deutschlands ihr Unwesen getrieben hatten. Als Hans Modrow, der feinfühlige Familienvater mit der Aura eines Franziskanerpaters, wie ihn ein Journalist der taz mal beschrieben hat, im Herbst 1989 von der DDR-Volkskammer per Akklamation zum Ministerpräsidenten der Übergangsregierung bestimmt wurde, spürten viele den Aufbruch in eine neue Zeit. Trotz des Umbruchs im Herbst 1989 und trotz der friedlichen Revolution, die am 9. November 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer ihren ersten Höhepunkt erreichte, ist der 1928 in Pommern Geborene seinen Idealen treu geblieben. Bis heute bezeichnet sich Hans Modrow als Kommunist. Lange Jahre agierte er als 1. SED-Bezirkssekretär in Dresden. Und nicht erst zur Wende, schon zu DDR-Zeiten war Modrow in der Bevölkerung beliebt. Auf die ihm standesgemäß zustehende Dienstvilla hat er stets verzichtet und stattdessen zurückgezogen mit seiner 2003 verstorbenen Ehefrau Annemarie und den beiden 1955 und 1962 geborenen Töchtern in einer Plattenbausiedlung im Süden Dresdens gelebt. Modrow galt als nichtkonformistisch und wurde von der SED-Bürokratie misstrauisch beäugt. Stasi-Minister Erich Mielke ließ gar eine Akte über ihn anlegen, die bis heute verschollen ist.

Freund Castros

Doch war seine liberale Grundhaltung kein Freifahrtschein für die Nachwendezeit, schon gar nicht für seine Familie. 1993 bewarb sich Tochter Irina, eine Historikerin, bei der Akademie der Wissenschaften Berlin-Brandenburg vergeblich auf eine Beamtenstelle im höheren Dienst. Der Dienstherr, das Land Brandenburg, fürchtete Irritationen in der Öffentlichkeit, so ließ es ein Ministerialer Irinas Vater hinter vorgehaltener Hand wissen. „Als Vater war ich natürlich traurig über die Ablehnung, politisch konnte ich sie nachvollziehen“, sagt Modrow. Er weiß, dass erfolgreiche Politik viel mit Instinkt zu tun hat und eine mögliche Akademische Rätin aus dem Schoße Modrow zu Beginn der Neunzigerjahre Wasser auf die Mühlen der CDU-Opposition im Potsdamer Landtag gewesen wäre.

Modrow ist ein belesener Mann, der bis heute ein enges freundschaftliches Verhältnis mit Kubas grauer Eminenz und Noch-Diktator Fidel Castro pflegt. Zuletzt hat er ihn 2001 während einer Dienstreise als Europaabgeordneter auf der Zuckerinsel getroffen und war tief beeindruckt von der Bildung und Ausstrahlungskraft des selbst ernannten Maximo Lider, der sich noch bis vor kurzem gern in Uniform zeigte. Bildung und Militär haben indes auch im Leben Modrows eine wichtige Rolle gespielt. Als 17-Jähriger war er beim Volkssturm im Kampf rund um Berlin eingesetzt, später wurde er in der DDR zum Dr. rer. pol. promoviert und hat in Moskau Wirtschaft und Jura, seine heimliche Leidenschaft, studiert. Modrow erwarb in der DDR den akademischen Grad eines „Diplom-Gesellschaftswissenschaftlers“ und beschäftigte sich als Wissenschaftler, vor allem in seiner Doktorarbeit, mit rechtswissenschaftlichen Problemen. Insgeheim ist der spätere DDR-Regierungschef immer seinen eigenen Weg gegangen. Er galt und gilt als Reformer, auch in der heutigen, linken Bundestagsfraktion, die ihm für zahlreiche Denkanstöße, etwa in der Innen- und Sicherheitspolitik, dankbar ist. Und noch immer stehen die Klassiker des Marxismus-Leninismus in seinem Regal. Mit blauem Einband, leicht eingestaubt und in chronologisch korrekter Reihenfolge. Bücher von Friedrich Engels finden sich eine Regalreihe tiefer. Hans Modrow legt Wert auf Ordnung und Pünktlichkeit. Das Gespräch hat er auf genau eine Stunde terminiert, denn um drei hat er schon den nächsten Termin. Die lederne Armbanduhr liegt neben seinem Block, auf dem er den Verlauf des Gesprächs vorskizziert hat, um nichts Wichtiges zu vergessen, wie er sagt.

Wegen Wahlfälschung verurteilt

Zuvor wollte der ehemalige DDR-Regierungschef wissen, worüber wir sprechen würden. Doch verzichtete Modrow darauf, sich die Fragen vorab vorlegen zu lassen, wie das zu DDR-Zeiten bei Presseterminen mit höheren SED-Genossen Gang und Gäbe war. Nach der Wende wurde Modrow angeklagt und rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, unter anderem wegen Wahlfälschung im Mai 1989 bei den DDR-Kommunalwahlen und uneidlicher Falschaussage vor Gericht. Heute ist sein Führungszeugnis sauber, da die Taten verjährt sind.  „Mehr als 50.000 Euro haben mich die ganzen Prozesse gekostet“, sagt Modrow, und es klingt nicht einmal bitter. Es scheint, als habe der ehemalige DDR-Regierungschef,  im Gegensatz zu manch anderen früheren SED-Kadern, seinen Frieden mit der neuen Bundesrepublik gemacht. Auch privat führt der Familienvater heute ein eher beschauliches Leben. Seit dem Tod seiner Frau Annemarie, mit der er fast vierzig Jahre verheiratet war, lebt Modrow mit seiner 14 Jahre jüngeren Lebensgefährtin, einer promovierten Kulturwissenschaftlerin, in Berlin-Friedrichshain zusammen. Kennen gelernt haben sie sich kurz nach der Wende, als seine heutige Lebenspartnerin keine Arbeit fand und sich als damals fast Fünfzigjährige mit Praktika und Zeitverträgen über Wasser halten musste, wie so viele damals in den neuen Bundesländern. Mitte der Neunzigerjahre war seine Lebensgefährtin an einem Buchprojekt über die Regierung Modrow und den Runden Tisch beteiligt, das der Protagonist mit redigiert hat.

Gefragter Zeitzeuge

Hans Modrow, der in den Neunzigerjahren Parlamentarier war, hat noch immer einen dichten Terminkalender. In drei Tagen fliegt er nach Vietnam, anschließend nach Bulgarien und von dort weiter nach Frankreich. Er spricht in Universitäten und Akademien, vor Gewerkschaftern und ehemaligen Offizieren des Warschauer Paktes. Gerade in diesen Jubiläumstagen wurde er lange vorher für Radiointerviews gebucht, um über seine Erinnerungen zu sprechen. Trotz seiner 82 Jahre denkt Modrow noch lange nicht ans Aufhören. Derweil kämpft seine Partei, die LINKE, gerade gegen die Rente mit 67, und überhaupt ist von den Genossen viel Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen in der Bundesrepublik zu vernehmen. Auf den Fluren des Karl-Liebknecht-Hauses, bis 1933 Sitz der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), liegt allerlei PR-Material aus, in dem die LINKE ihr tradiertes Feindbild vom kapitalistischen Ausbeuterstaat pflegt.

Als Vorsitzender des Ãltestenrates der LINKEN hat Modrow im Karl-Liebknecht-Haus ein kleines Büro, von dem aus er die Geschicke der Partei, seiner Partei steuert. Ãußerlich ein Marxist geblieben, ähneln seine neueren Thesen heute eher denen eines Marktliberalen. Er kommt auf die soziale und wirtschaftliche Situation im heutigen Russland zu sprechen. Präsident Medwedjew bezeichnet er als Lobbyisten des Großkapitals, Putin als dessen willfährigen Vollstrecker, der im Hintergrund die Fäden zieht. Als junger Mann hat Modrow das Riesenreich kennen gelernt, es nach 1989 oft bereist und den Wandel von der Plan- zur Marktwirtschaft hautnah miterlebt. Überraschend klingt seine These über die noch immer rückständige russische Wirtschaft: „Ohne einen funktionierenden Mittelstand kann eine Wirtschaft nicht prosperieren“, sagt der ehemalige SED-Funktionär. An diesem Manko sei letztendlich auch die DDR  zugrunde gegangen.

Veröffentlicht von on Nov 15th, 2010 und gespeichert unter RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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