Ein rechtes Schatzkästchen

„Wo sind die Buddenbrooks?“, fragt Jürgen Seul

Jean-Claude Alexandre Ho

lit-jca-ho-seul-wo-sind-die-buddenbrooks„Ja, lieber Gott… Mengstraße Numero vier in der Freien und Hansestadt Lübeck, natürlich!“, so könnte ein Satz aus Thomas Manns berühmtestem Roman lauten. Doch Jürgen Seul fragt im Buchtitel nicht etwa nach der Residenz der Kaufmannsfamilie Buddenbrooks, sondern nach dem Schicksal des Buddenbrooks-Manuskripts, das während der Weltkriegswirren verbrannte. Diese „Und andere juristische Anekdoten aus der Weltliteratur“ – so der Untertitel – hat Seul in vier Kapiteln versammelt.

Das erste Kapitel ist den „Dichterjuristen“ Goethe, E.T.A. Hoffmann, Schiller und Ludwig Thoma gewidmet und enthält – im Unterschied zu Barbara Sternthals „Schriftsteller als Juristen“ – keine Porträts, sondern verknüpft die Anekdote mit der Biographie. So hängt etwa bei E.T.A. Hoffmann die Anekdote um das Kunstmärchen „Meister Floh“ eng mit dem Leben als Richter zusammen. In Bezug auf das Disziplinarverfahren gegen den Dichter-Richter wäre die Rolle der Verteidigungsschrift E.T.A. Hoffmanns erwähnenswert gewesen, gerade im Kontext von Recht und Literatur. Die Anekdote zu Ludwig Thoma weist zugleich einen Bezug zum Dichterjuristen Kurt Tucholsky auf: Vor Gericht wurde ausgefochten, ob der Gebrauch eines fälschlicherweise Tucholsky zugeschriebenen Thoma-Zitates beleidigend war. In der Goethe-Anekdote geht es um die Tragödie der Kindesmörderin, wie sie sich in „Faust“ widerspiegelt. Der andere Dichterfürst wird gemeinhin eher den Dichterärzten denn den Dichterjuristen zugerechnet, hatte Schiller doch das ungeliebte Jurastudium alsbald gegen ein Medizinstudium eingetauscht. Doch der Verzicht auf Schiller hätte Seuls Buch um eine interessante Anekdote gebracht: Gut zweihundert Jahre vor dem letzten Versuch, die doppelte Staatsbürgerschaft in Deutschland grundsätzlich zuzulassen, wurde der Württemberger 1798 auch Franzose.

Im Unterschied zum ersten Kapitel können die Anekdoten im zweiten Kapitel eher als Porträts eingeordnet werden. Sie handeln von Schriftstellern, deren Aufenthalt „Hinter Schloss und Riegel“ sich im Werk niedergeschlagen hat, etwa bei Jack London oder Karl May. So beschreibt der Karl-May-Kenner Seul, wie der sächsische Abenteuerschriftsteller die frühe kriminelle Karriere durch das Schreiben überwand. Um einen Aufenthalt hinter Gittern ist Hans Fallada gekommen, der Verfasser von „Kleiner Mann – was nun?“: Wegen Geisteskrankheit konnte eine Mordanklage in Folge eines Duells abgewendet werden. Gelungen ist das einfühlsame Porträt von Walter Kempowski, der im Stasi-Gefängnis von Bautzen einsaß.

Mit „Verbotene Bücher“ ist das dritte Kapitel überschrieben. Darin wird neben der titelgebenden Anekdote des Buches ein weiterer Mann-Fall behandelt, der Juristen als Klassiker „Mephisto“ bekannt ist. Klassisch ist auch der Fall von Baudelaires „Blumen des Bösen“, deretwegen der französische Dichter angeklagt und verurteilt wurde. Glück hatte dagegen Arno Schmidt mit „Seelandschaft mit Pocahontas“: Er musste schließlich freigesprochen werden. Nachzutragen bleibt, dass die Prozesserfahrung im Pamphlet „Atheist ? : Allerdings !“ nachklingt: „Bei heutigen Schriftstellern ist man mit gerichtlicher Verfolgung ‚wegen Pornographie, Gotteslästerung und anderem‘ rasch bei der Hand.“ Hier hatte Arno Schmidt vorgesorgt, indem er das ganze Pamphlet aus nicht gekennzeichneten Zitaten historischer Schriftsteller zusammensetzte.

Den „Schriftstelleralltag“ – so das letzte Kapitel – bestimmt oft die Sorge vor dem Plagiat. Bei der Anekdote zu Fontane geht es um die wahre Geschichte hinter Effi Briest. Außerdem erzählt Seul davon, wie Mark Twain sich über Raubkopierer an seinem Huckleberry Finn ärgerte und Bertolt Brecht im Nachgang zu seiner „Dreigroschenoper“ eine „grundsätzlich[e] Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“ eingestand. Um die Reichweite der Satire geht bei einem Verriss Bölls durch Eckhard Henscheid. Das angerufene Gericht wollte jedenfalls Tucholsky nicht gelten lassen: „Was darf Satire? Alles!“.

Wer bisher aufmerksam die NJW-Hefte zu „Kunst, Literatur und Recht“ gelesen hat, dem dürfte manche Anekdote bekannt sein. Das Verdienst Seuls besteht darin, juristische Anekdoten aus der Weltliteratur zusammengetragen und angenehm nacherzählt zu haben. Dieses rechte Schatzkästchen macht sich gut bei jedem literaturbeflissenen Juristen – auf dem Kaffeetisch und dem Nachttisch.

Jürgen Seul

Wo sind die Buddenbrooks? Und andere juristische Anekdoten aus der Weltliteratur

Otto Schmidt Verlag Köln 2011, 208 Seiten

24, 80 €

978-3-504-01014-0

Veröffentlicht von on Mrz 21st, 2011 und gespeichert unter LITERATUR, RECHT LITERARISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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