Sein anderes Leben

Vor zehn Jahren kam das Oscar-prämierte Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“ in die deutschen Kinos. Hauptdarsteller Ulrich Mühe verbrachte seine letzten Lebensjahre in Walbeck in Sachsen-Anhalt. Eine Spurensuche

 

Benedikt Vallendar

Ulrich Mühe und Jakob (Foto: BV)

Ulrich Mühe und Sohn Jakob (Foto: BV)

Walbeck – Nein, so leicht ist es nicht, nach Walbeck zu kommen. Ziemlich versteckt liegt der beschauliche Ort in den Bergen der Magdeburger Börde, im Osten Sachsen-Anhalts, unweit der früheren innerdeutschen Grenze, wovon noch immer die alten Wohngebäude für Stasi- und NVA-Angehörige zeugen, die zwischenzeitlich rote Giebeldächern bekommen haben. „Um wenigstens die ärgsten Bausünden aus DDR-Zeiten zu tilgen“, wie ein Anwohner lakonisch bemerkt. Indes es für den Ort bezeichnend ist, dass die Wohnblocks nach der Wende nicht abgerissen, sondern aufwändig saniert und als Eigentumswohnungen teuer verkauft wurden. Denn Walbeck ist für seine Natur und die atemberaubende Landschaft bekannt, in die sich auch der 2007 verstorbene Schauspieler Ulrich Mühe zurückgezogen hatte. Wenige Monate vor seinem Tod wurde der Film „Das Leben der Anderen“, in dem er die Hauptrolle des Stasi-Hauptmanns Gerd Wiesler spielt, in Hollywood mit dem Oscar prämiert. Der bekanntlich wichtigsten Auszeichnung, die die Filmbranche zu vergeben hat. Noch im selben Jahr wurde Mühe auch zum „Besten Schauspieler Europas“ gekürt. In seinem wahren Leben bezichtigte Mühe seine Ex-Frau Jenny Gröllmann, ihn jahrelang für die Staatssicherheit bespitzelt zu haben, was jedoch umstritten ist.

Ikone des deutschen Films

Ulrich Mühe als Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler in „Das Leben der anderen“ (2006)

Mühes Grab auf dem Gemeindefriedhof von Walbeck wird noch immer besucht, von Menschen, die dort Blumen ablegen und in der nahe gelegenen Kapelle innehalten. Zeitlebens war Ulrich Mühe Atheist und doch ein „Suchender“, wie ihn jemand beschreibt, der ihn persönlich gut gekannt hat. Bei der Beerdigung soll auch ein evangelischer Pastor zugegen gewesen sein, den Mühe gut gekannt hatte.

Bereits 1988 hatte Ulrich Mühe in Bernhard Wickis Spielfilm „Das Spinnennetz“ in der Rolle eines rechtsradikalen Leutnants brilliert. In den neunziger Jahren mutierte der 1953 im sächsischen Grimma geborene Schauspieler zum Aushängeschild des deutschen Films. Und trug maßgeblich zu dessen heutigem Renommee bei. Seinen Durchbruch hatte Mühe 1992 mit der Komödie „Schtonk“, in der er den Verlagsleiter Dr. Guntram Wieland spielte, der im wahren Leben auf den Ankauf der angeblichen Hitlertagebücher hereingefallen war.

In Walbeck hatte sich Ulrich Mühe ein Grundstück gekauft und darauf ein Sommerhaus im skandinavischen Stil errichtet. Seit 2001 war es sein Refugium, weitab von Berlin, wo Mühe auch ein vielbeschäftigter Theaterschauspieler war. „Für den Hausbau wurde eigens eine Baufirma aus Norwegen beauftragt“, erinnert sich eine Dorfbewohnerin. „Die Handwerker brachten alle Baumaterialien mit schweren LKWs aus Norwegen selbst mit und zogen das Haus in wenigen Wochen hoch“, sagt die Frau. Alles nach den individuellen Wünschen des Schauspielers, der ein Faible für skandinavische Architektur hatte.

Ulrich Mühes ehemaliges Sommerhaus in Walbeck/Sachsen-Anhalt (Foto: BV)

Heute gehört das Walbecker Sommerhaus, das mit seinen rot weißen Farben wunderbar mit der Landschaft harmoniert, Mühes Kindern aus dritter Ehe, die dort in unregelmäßigen Abständen ihre Wochenenden verbringen. Im oberen Stockwerk verstarb der Kinostar am 22. Juli 2007. Er litt unheilbar an Magenkrebs und wurde in seinen letzten Lebenswochen von einer Krankenschwester gepflegt. Wann immer es sein Gesundheitszustand erlaubte, ging er im Dorf spazieren und unterhielt sich mit den Leuten, erzählen Walbecker, die ihren ehemaligen Nachbarn als „reizend und liebenswert“ in Erinnerung behalten haben. „Er hatte für jeden, den er traf, ein gutes Wort“, sagen viele, die ihn noch gekannt haben. Den Filmstar ließ Mühe niemals raushängen. In seinen letzten Tagen sei es ihm aber sehr schlecht gegangen, und doch habe er bis zum Schluss „die Sonne gesucht“, wohl wissend, dass er bald sterben würde. Im Jahre 2008 benannte die Gemeinde Walbeck ihr Bürgerhaus nach Ulrich Mühe und erinnert seither in einer Dauerausstellung an ihn. Mühe hatte dort 2003 aus dem „Kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint Exupéry gelesen.

Fanal gegen die SED

Walbeck Friedhof

Der Gemeindefriedhof von Walbeck, letzte Ruhestätte von Ulrich Mühe (Foto: BV)

Die Wahl Mühes auf Walbeck war kein Zufall. Bis heute lebt dort ein Teil seiner Familie und bewahrt das Andenken an den großen Schauspieler. Eine Schwägerin betreibt in Walbeck eine Pension, sein Bruder Andreas ist gelernter Kürschner. Kurz vor seinem Tod hat sich die Familie abends noch auf der Veranda vor Mühes Sommerhaus versammelt, Tee getrunken und gemeinsam Abschied genommen, berichten Insider. Schlimm und respektlos seien damals Medienvertreter mit dem Todgeweihten umgegangen. Fotografen aus aller Welt hätten sich mit Weitwinkelobjektiven rund um das Haus regelrecht auf die Lauer gelegt, in der Absicht, noch ein letztes Foto von dem todkranken Schauspieler zu ergattern. Dabei wollte der am Ende nur noch seine Ruhe haben. Magenprobleme quälten Mühe seit seiner Jugend. Selbst vom Militärdienst war er zurückgestellt worden. Einer breiteren, auch westdeutschen Öffentlichkeit wurde Ulrich Mühe als Redner bei der Großdemonstration am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz bekannt, wenige Wochen vor dem Ende der SED-Herrschaft. Mühe forderte damals die sofortige Abschaffung des politischen Strafrechts in der DDR. Er tat dies auf die für ihn so typische Art, indem er nur die jeweiligen Paragraphen aus dem DDR-Strafgesetzbuch vorlas, was ihm frenetischen Beifall einbrachte, da die Menschen die Botschaft sogleich verstanden. Fünf Tage später fiel in Berlin die Mauer. Und Mühes Weg zum gesamtdeutschen Schauspieler war geebnet.

Veröffentlicht von on Mai 9th, 2016 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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