Der Hinrichtung zweiter Teil

Nachdem spätestens Reinhard Mehring mit seiner Biographie Carl Schmitts diesen entzaubert hat, beseitigt Volker Neumann mögliche letzte Zweifel

Matthias Wiemers

Dieser Carl Schmitt ist ein Phänomen. Über 30 Jahre nach seinem Tod im Alter von knapp 97 Jahren weckt er immer noch das Interesse vieler, werden seine Werke immer mal wieder neu aufgelegt und immer weitere biographische Details enthüllt. Nachdem mit Paul Noack und Reinhard Mehring zwei Politikwissenschaftler deutschsprachige Biographien herausgegeben hatten und die 2009 erschienene umfangreiche Darstellung Mehrings, die auf neu entschlüsselten Quellen beruhte, bereits neue menschliche Untiefen enthüllte, setzt sich der Jurist Volker Neumann umfassend mit dem juristischen Werk Schmitts auseinander.
Neumann, emeritierter Ordinarius für Öffentliches Recht an der Humboldt Universität Berlin, hatte sich bereits 1980 im Rahmen einer Doktordissertation mit Carl Schmitt befasst und berichtet im Vorwort seines hier zu besprechenden Buchs davon, diese Schrift sei seit Anfang der 1990er Jahre vergriffen gewesen und warum er sich gegen eine Neuauflage und für eine vollständige Befassung mit dem juristischen Werk Carl Schmitts entschieden habe. Lassen wir dies auf sich beruhen und stellen schon zu Beginn dieser Rezension fest, dass es sich gelohnt hat, Schmitt ein stückweit den Politologen zu entreißen und ihn als Juristen zu deuten. Dies hat Neumann, der in seiner Lehr- und Publikationstätigkeit hauptsächlich in Fragen des Sozialrechts hervorgetreten ist, hier sehr ausführlich getan. Jedes der insgesamt sechs (B. bis G.) Kapitel beginnt mit einer kurzen „biographischen und werkgeschichtlichen Vorbemerkung“, die zusammen auch als Kurzbiographie gelesen werden können. Durch diese Abschnitte wird zugleich den inhaltlichen Schwerpunkten der Einzelkapitel eine Erzählung der Lebensstationen Schmitts unterlegt. Die Kapitel werden eingerahmt von einer Einführung (A.) und Schlussbemerkungen (H.). Das Kapitel B. („Grundlegungen“) ordnet das Werk Schmitts in die Entwicklungsgeschichte des öffentlichen Rechts seit dem 19. Jahrhundert ein, schlägt den Bogen vom staatsrechtlichen Positivismus bis zum „Weimarer Richtungsstreit“ und spiegelt das Werk Schmitts insbesondere an dem seines Antipoden Hans Kelsen. Es folgt ein Kapitel mit der Begriffsreihung „Staat, Politik, Verfassungsrecht“ (C.), die ausgeht von Schmitts zentraler Schrift „Der Begriff des Politischen“ und natürlich – ebenfalls der Bonner Periode zugehörig – die „Verfassungslehre“ behandelt.
Mit dem Einbruch der Abenddämmerung der Weimarer Republik wechselt Schmitt 1928 an die Handelshochschule Berlin, wo er bis zum Herbst 1932 bleibt und am Schluss zum Berater der Regierungen von Papen und Schleicher wird. „Theorie des starken Staates“ nennt hierbei der Autor das Kapitel, in dem er die seinerzeit entstandenen Schriften insbesondere zur Diktaturgewalt des Reichspräsidenten nach Art. 48 WRV behandelt.
„Finstere Zeiten“ lautet der Titel des fünften Kapitels (E.), wo der Übergang ins Dritte Reich und die Betätigungen Schmitts darin geschildert werden. Es folgt das Kapitel „Völkerrecht und internationale Beziehungen“, wo Neumann biographische Wurzeln für Schmitts Betätigung als Völkerrechtler bis in das Jahr 1923 für möglich hält. Schmitt wandte sich bekanntlich nicht völlig freiwillig vom Staatsrecht ab und dem Völkerrecht zu: Er war ab 1936 bei den nationalsozialistischen Machthabern in Ungnade gefallen. Was der Autor von Schmitt hält, wird schon am Titel des siebten Kapitels (G.) „Ernüchterungen, halbherzige Neuanfänge und dreiste Ausreden“ deutlich, worin es um die Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs geht.
Wenn wir nun noch einmal durch das ganze Buch gehen, finden wir etwa an negativen Charakterisierungen etwa die Feststellung, dass Schmitt zu harter dogmatischer Arbeit nicht fähig gewesen sei. Flüchtige Eindrücke, Erinnerungen an Gespräche und Lesefrüchte würden mehr assoziativ als systematisch verbunden (S. 219 f., s. a. S. 398 o.), dies ein Eindruck, der durch Lektüre der seit 1991 veröffentlichten Tagebücher Schmitts bestätigt wird. Die Schrift „Legalität und Legitimität“ (1932) wird als eine „aggressive Kampfschrift gegen die Weimarer Republik und ihre Verfassung“ qualifiziert, womit sich Neumann gegen die Schlussfolgerungen in der Schrift Gabriel Seiberts, „Anwalt des Reiches“ wendet und dies mit guten Gründen belegt (S. 250 ff., 270, 284 ff., 289).
Am konstruktiven Misstrauensvotum nach Art. 67 GG habe Schmitt nur mit Pate gestanden (S. 298). Schmitt wird als „authentischer Interpret des Nationalsozialismus“ identifiziert (S. 323 ff.). Die verbreiteten, mit wirklichen Kraftausdrücken versehenen Qualifizierungen von Schmitts berühmt-berüchtigtem Aufsatz zur Rechtfertigung der Morde nach dem sog. „Röhm-Putsch“ in der DJZ 1934 kritisiert allerdings seinerseits Neumann , obwohl er die Rechtfertigungsversuche Schmitts ebenfalls für unglaubwürdig hält (S. 340 f.). Vom Rechtsstaatsbegriff habe Schmitt nichts gehalten (S. 343), ebenso lehnte er subjektive Rechte ab (s. S. 358 ff.). Carl Schmitts Antisemitismus wird auch in dieser Schrift nochmals ausführlich belegt (S. 374 ff.).
Zur Leviathan-Schrift aus dem Jahre 1938 wird eine von Schmitt selbst inszenierte Annahme einer angenommenen Widerstandshandlung entlarvt (S. 387 ff.).
Die Qualifizierung Schmitts als Völkerrechtler wird widerlegt. Er sei vielmehr ein „Theoretiker der tatsächlichen Voraussetzungen des Völkerrechts, also ein Völkerrechtspolitologe oder -soziologe“ gewesen (S. 486 f.).
Ihm wird (bei der Entwicklung der Großraumideologie zur Rechtfertigung des kriegerischen Expansionsdrangs der Nazis) allerdings zu Gute gehalten, nicht auf der „mörderischen Linie Bests und Höhns“ gelegen zu haben (S.489), zweier SS-Juristen, die in der Bundesrepublik weitgehend unbehelligt, wenn auch nicht in rechtswissenschaftlicher Profession, tätig bleiben konnten.
Neumann hält fest, dass in Schmitts Werk Kontinuitäten über alle Systemwechsel bestehen (vgl. S. 531, S. 562).
Schmitt wird zwar nicht als Völkerrechtler qualifiziert, wohl aber als Staatsrechtler, und am Ende wird ein Desiderat festgestellt, das noch der Untersuchung bedarf: „Der Beitrag Carl Schmitts zur Begründung der Politikwissenschaft in Deutschland“ (S.564). Dem Wunsch Neumanns kann man sich anschließen. Festzuhalten bleibt, dass Carl Schmitt als Person und Wissenschaftler desavouiert ist – mag man auch einzelne Inhalte seines Werkes auch künftig noch heranziehen und für in sich überzeugend halten. Mit Volker Neumann hat nun auch die Rechtswissenschaft über Carl Schmitt das Urteil gesprochen.

Volker Neumann, Carl Schmitt als Jurist, Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2015, 618 S., 99 Euro (ISBN 978-3-16-153772-1)

Veröffentlicht von on Mai 29th, 2017 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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