Recht cineastisch, Teil 17: „Blue Jasmine“ von Woody Allen
Thomas Claer
Dieser Woody Allen-Film ist keine Komödie. So stand es überall geschrieben. Davon ist natürlich kein Wort wahr. Ich gestehe hier sogar, lange nicht mehr so in einem Film gelacht zu haben wie in diesem. Klar, da muss auch eine gehörige Portion Schadenfreude mit im Spiel sein, um angesichts des erschütternden sozialen Abstiegs der dem Film ihren Namen gebenden Protagonistin auf so herzlose Weise in Gelächter auszubrechen. Aber was soll man machen, dieser Film kitzelt auf raffinierte Weise die Ressentiments nur so aus einem heraus. Er hält dem Zuschauer letztlich auch den Spiegel seiner eigenen moralischen Abgründe vor.
Erzählt wird hier, und das so effektiv und elegant wie stets beim späten Woody Allen, die Geschichte von der Luxusdame Jasmine, die – völlig mittellos geworden – von New York nach San Francisco fliegt (natürlich in der Luxusklasse, damit geht es schon los!), um bei ihrer bescheiden lebenden Adoptivschwester Ginger, einer Supermarkt-Kassiererin, unterzukommen. Jasmine, Anfang oder Mitte 40 und ziemlich attraktiv, war ihrem Ehemann Hal, gespielt von Alec Baldwin, der in dieser Rolle optisch wirklich sehr an Klaus Wowereit erinnert, auf die Schliche gekommen, denn dieser hatte hinter ihrem Rücken unzählige Affären mit anderen, natürlich viel jüngeren, Frauen. Nun war Hal aber ein millionenschwerer Finanzbetrüger im Stile von Bernie Madoff, der u.a. auch Jasmines Schwester Ginger und deren Ex-Mann Augie um ihr gesamtes Vermögen, einen Lottogewinn von 200.000 Dollar, gebracht hat. Hal hatte ihnen bei angeblich geringem Risiko eine Rendite von jährlich 20 Prozent versprochen. Jeder weiß, dass daran, sofern es einem nicht Warren Buffett höchstpersönlich verspricht, etwas faul sein muss. Aber Ginger und Augie wussten es nicht. Als also die gekränkte Jasmine – Hal hat gerade etwas mit dem 18-jährigen Au-pair-Mädchen angefangen –, ihren Mann aus Wut beim FBI anschwärzt, wird gegen diesen ermittelt, und der ganze Finanzschwindel fliegt auf. Alles Geld ist weg, es bleiben nur Schulden. Später erhängt sich Hal dann im Gefängnis.
Jasmine, obzwar psychisch schwer angeschlagen und viel Alkohol und Tabletten in sich hineinschüttend, lässt sich doch keineswegs unterkriegen, nimmt all das als Herausforderung an und versucht einen Neuanfang. Ihr Studium hatte sie damals abgebrochen, als sie Hal kennengelernt hatte. Doch nun wird eben sehr zielstrebig eine eigene Karriere anvisiert. Bald merkt sie aber, wie mühsam das ist, und sucht stattdessen gezielt nach einem steinreichen Mann. Dabei kommen ihr ihre Upper-Class-Manieren sehr zupass. Mit spielerischer Leichtigkeit erobert sie auf einer High Society-Party einen angehenden Diplomaten mit riesiger Villa. Um ein Haar hätte es auch mit einer schnellen Hochzeit geklappt. Nur durch einen dummen Zufall kommen Details aus Jasmines Vorleben heraus, und sie verstrickt sich so in ihrem Lügengespinst, dass ihre Eroberung schnell das Interesse an ihr verliert. Am Ende des Films sitzt Jasmine nach einem Streit mit ihrer Schwester völlig desorientiert und mit zerzausten Haaren auf einer Parkbank.
Doch Mitleid ist hier völlig fehl am Platze. Die hochmütige Verachtung, mit der sie ihrer Schwester und ihrem Verlobten, einem Autoschlosser, und allen seinen Freunden bis zuletzt begegnet, sowie ihre unablässig zur Schau gestellte Anspruchsunverschämtheit bestärken einen während des Films immer wieder aufs Neue darin, dass sie es wirklich nicht anders verdient hat. Jasmine ist so durchdrungen von ihrem Überlegenheitsgefühl gegenüber ihrer in ihren Augen tief in der Mittelmäßigkeit feststeckenden Adoptivschwester, dass man als Zuschauer, zumal als bescheidener und sparsamer Mensch, den Ausgang der Handlung schon reflexhaft als gerechte Strafe für den hybriden Übermut der Protagonistin empfindet. Und gerade weil es im wirklichen Leben ja eigentlich immer anders läuft und ein bestimmter Frauentyp auf diese Tour bekanntlich noch in allen Zeiten gut durchgekommen ist, macht dieser Film, in dem so eine Frau mal so richtig auf die Schnauze fliegt, soviel Spaß.
Doch ist das nicht alles zu viel Schwarzweißmalerei? So wurde u.a. von Tobias Kniebe in der Süddeutschen Zeitung kritisiert, der Film bleibe oberflächlich, da die Figur der Jasmine so eindimensional gezeichnet sei. Aber ja nun, warum denn nicht? Wäre es anders, wäre der Film bestimmt nicht so witzig geworden! Und wenn manche Kritiker Woody Allen vorwerfen, er drehe inzwischen einfach nur noch einen Film nach dem anderen und gebe sich gar keine richtige Mühe mehr, dann muss man feststellen: Wahrscheinlich hat er sich mit diesem Film wirklich keine besondere Mühe gegeben. Das hat dem Film aber nicht geschadet, im Gegenteil. Denn darin, in der karikaturhaften Zuspitzung seiner Charaktere, ist Woody Allen nun einmal am besten. Und dafür braucht einer wie er schon lange keine Anstrengung mehr, das macht er gewissermaßen mit links. Man mag es vielleicht bedauern, dass er so viele gute Filme in die Welt setzt wie einst Balzac gute Romane und dadurch selbst zur inflationären Entwertung seiner Werke beiträgt, aber sehenswert bleiben seine Filme deshalb trotzdem.
Nachdenklich macht eher ein anderer Aspekt, der einem vor Augen führt, wie hintergründig diese mit so leichter Hand gewebte Geschichte letztendlich doch ist und wie tief man gewissermaßen auch selbst im Schlamassel drinsteckt. Die Rede ist von Jasmines demonstrativ vorgeführtem Snobismus, welcher ja immer die hässliche Fratze eines selbstbewussten Individualismus ist. Als sie – noch in glücklichen Zeiten – ihren feudal anmutenden Altbau-Palast bezieht, sagt sie: „Ich kann nicht verstehen, wie Leute in Wohnungen mit niedrigen Decken ziehen können, ich würde dort ersticken.“ Das erinnert mich an eine gute Bekannte, die sich früher einmal über das geräuschvolle Surren der „Billig-Laptops“ in der Uni-Bibliothek echauffierte und forderte, dass alle Notebooks, die lauter als ihr eigenes IBM-Gerät seien, verboten werden müssten. (Heute hat sie wahrscheinlich längst ein Teil von Apple.) In der scheinbar harmlosen Benennung einer persönlichen Vorliebe, die einen in Geschmacksfragen von anderen unterscheidet, grenzt man sich doch in Wahrheit über den dickeren Geldbeutel von ihnen ab, und lässt das deutlich mit anklingen. Für Jasmine – wir sind wieder im Film – ist es eine unvorstellbare Schande, sich das vornehme Manhattan nicht mehr leisten zu können. „Stell dir vor“, sagt sie zu ihrer Schwester, die von all dem nur träumen kann, „ich musste mir eine Wohnung in Brooklyn mieten.“ (Das ist ungefähr so, als würde sich jemand über einen Umzug von Berlin-Mitte nach Berlin-Schöneberg grämen.) Eine ganz ähnliche Haltung haben wir aber auch schon vor zehn Jahren in Berlin erlebt: Eine Freundin meiner Frau erklärte mir, nachdem sie uns dankenswerter Weise beim Einzug in unsere große und schöne damalige Wohnung im ärmlichen Bezirk Wedding geholfen hatte, dass sie künftig bestimmt nie wieder freiwillig einen Fuß in diese unmögliche Gegend setzen werde. (Sie selbst wohnte damals im feinen Wilmersdorf, inzwischen hat sie – natürlich – Karriere in Frankfurt am Main gemacht. Sie hat uns später – trotz mehrerer Einladungen – auch tatsächlich nie mehr in Wedding besucht.) Und sie fügte damals noch hinzu: „Wenn man schon einen Holzdielenfußboden hat, dann sollten die Dielen aber schon abgezogen und nicht gestrichen sein.“ Das hat gesessen. Wie bei James Bond: Nicht geschüttelt, sondern gerührt. Damals waren wir einfach nur froh, überhaupt ein Dach über dem Kopf gefunden zu haben. Das Schlimme ist aber: Heute wohnen wir, obwohl der Wedding inzwischen schon als regelrecht cool gilt, wenn er auch noch längst nicht so angesagt ist wie der andere frühere Igitt-Bezirk Neukölln, schon lange nicht mehr dort. Unseren jetzigen Dielenboden haben wir auch nicht gestrichen, sondern abgeschliffen. Dabei ist gegen das Fußbodenstreichen eigentlich auch nichts zu sagen, nur dass abgezogene Dielen in der Tat schöner aussehen. Wo genau verläuft eigentlich die Grenze zwischen Coolness und Snobismus? Und ist es nicht ein aussichtsloses Unterfangen, sich von letzterem fernhalten zu wollen? Auch sei an dieser Stelle daran erinnert, dass der eigentlich so sympathische Herr Lehmann in Sven Regeners gleichnamigem Roman auf einem nächtlichen Nachhauseweg in seine Kreuzberger Wohnung extra einen Umweg macht, nur um nicht, und seien es auch nur ein paar Schritte, durch Neukölln gehen zu müssen. Mit anderen Worten: Selbst er ist ein Snob. (Es muss sich, nebenbei gesagt, um den nördlichen, in Kreuzberg gleichsam hineinragenden Zipfel Neuköllns, den Postleitzahlbezirk 12047 am Maybachufer, gehandelt haben, der heute ironischerweise zum Inbegriff einer hippen Wohngegend geworden ist, wo die Angebotsmieten zwischen 2008 und 2012 um sage und schreibe 62,9 Prozent gestiegen sind!)
Neulich habe ich im Bus ein Gespräch zwischen zwei jungen Mädchen belauscht. Die eine sagte: „Das ist eben der Unterschied: In Hamburg kommt es immer darauf an, seinen Reichtum zu präsentieren, in Berlin hingegen geht es darum, cool zu erscheinen.“ Gefährlich wird es spätestens dann, wenn das eine nicht mehr vom anderen zu unterscheiden ist.
Blue Jasmine
USA 2013
Regie: Woody Allen
Drehbuch: Woody Allen
98 Minuten, FSK: 6
Darsteller: Cate Blanchett, Alec Baldwin, Sally Hawkins, Bobby Cannavale, Andrew Dice Clay u.v.a.