Gestern im ZDF: Juristen stürmen Sloterdijks Philosophisches Quartett
Thomas Claer
Eine illustre Runde fand sich da gestern zu später Stunde im „Philosophischen Quartett“ zusammen. Gleich zwei gelernte Rechtswissenschaftler hatten Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski ins VW-Haus nach Wolfsburg (ohne Sponsor geht natürlich gar nichts) geladen: die Schriftstellerin Juli Zeh und den Zukunftsforscher Meinhard Miegel. Das Thema war: „Was hält unsere Gesellschaft eigentlich noch zusammen?“ Gleich zu Beginn mutmaßte Gastgeber Peter Sloterdijk (61), es mit einer „ Verschwörung der Juristen auf diesem Podium“ zu tun zu haben. Doch praktizieren beide Gäste längst nur noch sporadisch auf ihrem Stammgebiet. Einserjuristin und Bummeldoktorandin Juli Zeh (34) gewinnt mit ihren Romanen – trotz mäßiger Kritiken in den Feuilletons – einen Literaturpreis nach dem anderen. Allround-Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel (70), bis vor kurzem noch eher neoliberaler Warner vor einem wuchernden und künftig nicht mehr bezahlbaren Sozialstaat, hat nun ein Buch geschrieben, in dem er dafür plädiert, endlich von der Wachstumsideologie abzurücken und allen mehr Bescheidenheit empfiehlt. Zu bedenken gibt er aber, dass hierzulande durch die sich verstärkt öffnende Schere zwischen Arm und Reich bald der soziale Zusammenhalt gefährdet sein könnte. Co-Gastgeber Rüdiger Safranski (64) paraphrasierte Miegel dahingehend, dass als sozialer Kitt in den Staaten Europas die längste Zeit die Religion gewirkt habe, welche vorübergehend von der Nation abgelöst und nun seit mehr als einem halben Jahrhundert vom Versprechen ständigen Wirtschaftswachstums verdrängt worden sei. Doch bereits hier intervenierte Juli Zeh, die gerade einen kulturpessimistischen Roman über eine Gesellschaft im Jahr 2057 publiziert hat, in der das Rauchen auch nur einer einzigen Zigarette unter schwerster Strafe steht. Frau Zeh also widersprach der These vom Wachstum als sozialem Kitt, denn in ihrem Umfeld – seit 2007 lebt sie zurückgezogen in einem einsamen Gehöft in Barnewitz, Landkreis Havelland, Brandenburg – glaube ohnehin niemand mehr an Wachstum.
Diesem Muster folgte die Sendung auch im weiteren Verlauf: Die frisch-fröhliche Jung-Autorin bot den alten Herren zwar mutig Paroli, zeigte sich aber – vermutlich bedingt durch ihre, auch mediale Abgeschiedenheit („Ich habe keinen Fernseher!“) – ein ums andere Mal nicht gut informiert („Die meisten leben auf dem Lande!“) oder überraschte mit gewagten Thesen („Wir brauchen überhaupt keine deutsche oder europäische Identität, das eigene Dorf genügt!“). Die älteren Herren protestierten nur milde. Da sich die Runde jedoch zunehmend in Nebensächlichkeiten verlor, vor allem Juli Zeh ihre besondere Vorliebe für Haarspaltereien demonstrierte und nicht einmal Meinhard Miegels vorsichtige Definition eines historisch-kulturell, institutionell und mentalitätsstrukturell bedingten deutschen Gemeinschaftsgefühls akzeptierte („Haben Sie mal versucht, Einvernehmen zwischen einem Bayern und einem Ostfriesen herzustellen?“), gelangte man während der Sendezeit kaum zu tieferen Einsichten. Immerhin versicherten beide Gäste wiederholt, wenn auch von völlig unterschiedlicher Position aus argumentierend, es bestehe nun wirklich kein Anlass zur Panik angesichts einer vom Zerfall bedrohten Gesellschaft. Die Gastgeber zeigten sich insofern sichtlich enttäuscht: Sloterdijk sprach von einem beschämenden Ergebnis für die Moderatoren, Safranski gar von einem solchen für das Medium Fernsehen, dessen Erregungspotentiale man leider nicht habe ausschöpfen können. Unterhaltsam war das Ganze allerdings durchaus.