Goldene Horror-Jahre

Tocotronic auf ihrem aktuellen Album „Golden Years“

Thomas Claer

Nach drei Jahrzehnten Bandgeschichte haben Tocotronic mit „Golden Years“ nun ihr mittlerweile 14. Album herausgebracht. Doch damit wirklich niemand denken solle, die Tocos würden nun in platter Selbstgefälligkeit auf ihre goldenen Jahre zurückblicken, haben sie den Plattentitel – in schwarzer Farbe vor güldenem Hintergrund – nicht in gewöhnlicher, sondern in Horrorschrift aufs Cover drucken lassen, was man sogleich auch als ein Statement ganz eigener Art werten kann. Natürlich, die Parolenhaftigkeit ist von Anfang an gleichsam ein Teil ihrer Band-DNA gewesen und hat sich zwischenzeitlich zwar deutlich abgeschwächt, war aber nie ganz weg. Nun ist sie jedenfalls mit voller Wucht zurückgekehrt, denn auf das (leider!) phänomenal kassandrahafte „Nie wieder Krieg!“ (2022) folgt nun ein Album, dessen erste Single „Denn sie wissen, was sie tun“ sogleich ein vielsagendes Ausrufezeichen gesetzt hat. Und wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit gekommen für solcherart politische Protestsongs. „Diese Menschen sind gefährlich“, warnen Tocotronic, denn „Sie leben völlig selbstverständlich / Terror als Identität“. Und vielleicht auch als Alternative zum aktuell vieldiskutierten Parteiverbotsverfahren empfehlen sie: „Darum muss man sie bekämpfen / Aber niemals mit Gewalt/ Wenn wir sie auf die Münder küssen / Machen wir sie schneller kalt“ Ob das wirklich helfen würde gegen Weidel oder Wagenknecht?!

Von der Musik her ist „Golden Years“ allerdings nicht mehr ganz so überzeugend wie sein Vorgänger. Einen Kracher wie das einfühlsame „Ich tauche auf“ sucht man auf dieser Platte vergeblich. Doch finden sich dort gleichwohl einige sehr gelungene Songs wie das Titelstück, das bereits erwähnte „Denn sie wissen, was sie tun“ und vor allem auch „Bye Bye Berlin“, ein fulminanter heiter-trauriger Abgesang auf unsere Hauptstadt mit durchaus hintersinnigem Text („Schluss mit Uckermark“). Doch sind mehrere andere Lieder auf der CD eher so mittelprächtig, wenn auch nicht unbedingt schlecht. Allein dass die Tocos es fertigbringen, wie schon auf ihrer vorigen Platte, erneut den musikalisch schwächsten Song gleich an den Anfang des Albums zu platzieren, mag man rätselhaft finden. Und schließlich sollte noch Erwähnung finden, dass die einzigartige Stella Sommer auf drei Stücken als Hintergrundsängerin zu vernehmen ist, was sie selbstredend beträchlich unterfordert. Das Urteil lautet somit: vollbefriedigend (12 Punkte). Und wer bis hierhin gelesen hat und sich zufällig am 10. Juli im Ostsee-Urlaub befinden wird, sollte keinesfalls den kostenlosen (!) Live-Auftritt von Tocotronic am Strand anlässlich der Warnemünder Woche verpassen!

Tocotronic
Golden Years
Epic / Sony Music 2025

Veröffentlicht von on Juni 16th, 2025 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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