Ein Band mit besonderen Bezügen zu Bonn
Matthias Wiemers
Unter den inzwischen recht zahlreichen Werken zur Rechtsgeschichte sind diejenigen, die sich speziell mit der Geschichte des Wirtschaftsrechts bzw. mit dem Recht, das die Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsverwaltung befasst, mit der Lupe zu suchen. Im Grunde gibt es hier nur Knut-Wolfgang Nörr zu nennen, der in seinem zweibändigen, ebenfalls bei Mohr Siebeck erschienenen Werk „Die Republik der Wirtschaft“ einen ähnlichen Fokus hatte.
In der hier vorzustellenden zweiten Auflage des erstmals 2008 erschienenen Bandes hebt der Bonner Zivilrechtslehrer und Rechtshistoriker Mathias Schmoekel seinen inzwischen habilitierten Schüler Matthias Maetschke offiziell auf die Ebene des Mitautors. Die Universität Bonn und auch die Stadt Bonn werden in dem Band durchgehend erwähnt, einmal in Person von Hochschullehrern, zum anderen, indem Aktivitäten der Stadt als Beispiele für ein im Textverlauf beschriebenes Thema zur Illustration verwandt werden.
Der Band ist in insgesamt 15 Kapitel eingeteilt, wobei die Einleitung (A.) zunächst den Gegenstand des Bandes bestimmt. Zu recht wird darauf hingewiesen, dass hier keine Wirtschaftsrechtsgeschichte vorgelegt wird, weil es das Wirtschaftsrecht erst seit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gibt. Und in der Tat greift der Band weiter aus, wie sich näher im zweiten Kapitel „Bis zur Entstehung des freien Marktes“ (B.) zeigt, wo ganz grob Themen aus der Zeit vor 1800 angesprochen werden, weil die Zeit vor 1800 „ökonomisch von der Bindung des Einzelnen gerade auch in wirtschaftlicher Hinsichtlich geprägt“ gewesen sei (Rdnr. 22). Der in diesem Zitat anklingende Pleonasmus gibt uns schon den ersten Hinweis auf die leider in der Gesamtlänge des Bandes immer wieder anzutreffende Genauigkeitsmängel. Themen des Kapitels sind etwa „Markt und Zoll“, Zins- und Wucherverbote sowie der Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft. Gilden, Zünfte und Innungen sowie die Wirtschaftsform des Merkantilismus, der Kameralismus und die Standesgesellschaft bilden Themen, die man offenbar behandeln zu müssen glaubte, bevor im dritten Kapitel mit „Der Markt als Wirtschaftsprinzip: die „invisible hand“ des Liberalismus“ letztlich der Durchbruch der Freiheit des Individuums beschrieben wird. In diesem Kapitel erhält Adam Smith einen eigenen Abschnitt, aber auch die „Industrielle Revolution“, worunter in diesem Abschnitt auch die „preußischen Reformen“ behandelt werden. Die Autoren versuchen am Ende dieses Kapitels „allgemeine Faktoren“ für die Industrialisierung festzumachen, während das Kapitel noch keine förmlich als solche bezeichnete Zusammenfassung enthält. Mit dem vierten Kapitel, „Entwicklung des Handelsrechts“ (D.) werden nun einzelne Rechtsgebiete näher beleuchtet. Es folgen Kapitel über den gewerblichen Rechtsschutz (E.), das „Gesellschaftsrecht“ (E.) sowie das „Sozial- und Verwaltungsrecht (G.), worin die zunehmende Staatstätigkeit als Antwort auf die mit der Industrialisierung aufgeworfene soziale Frage gesehen wird.
Es folgen das Steuerrecht (H.), das Kartellrecht (I.) und das Regulierungsrecht (K.), die jeweils in ihrer Entwicklung bis in die Gegenwart nachgezeichnet werden. Beim Regulierungsrecht greifen die Autoren zunächst das Eisenbahnrecht beispielhaft heraus, zeigen die Entwicklung in den USA, in der EU und in Deutschland seit den 1990er Jahren, um dann noch einmal in einem Abschnitt „Besondere Regelungsmaterien“ (II.) Telekommunikation und Post, Eisenbahnen, Versicherungswirtschaft, Finanzmarkt und Energiewirtschaft in der historischen Entwicklung ihrer Regulierung in Deutschland aufzuzeigen. Hier liegen m. E. besondere Erkenntnisgewinne, weil es an allgemein zugänglichen zusammenhängenden Darstellungen hierzu bislang fehlt.
Das Verhältnis Arbeitgeber zu Arbeitnehmer wird letztlich in insgesamt drei aufeinanderfolgenden Kapiteln dargestellt: „Arbeitsvertragsrecht“ (L.), „Tarifvertragsrecht“ (M.) und „Recht der betrieblichen Mitbestimmung“ (N.).
Dem Phänomen der Globalisierung tragen die Autoren Rechnung, indem sie in einem eigenen Kapitel nach einem „Weltwirtschaftsrecht?“ (O.) fragen, bevor dann in einem abschließenden Kapitel (P.) ein Resumee gewagt wird. Dieses Kapitel fragt nach politischen Konzepten zur Rechtsordnung der Wirtschaft und periodisiert diese Untersuchung noch einmal, wobei die DDR gesondert behandelt wird und – erstaunlicherweise – die Bundesrepublik wie die DDR nur bis zum Jahre 1970 untersucht wird. Der Band schließt mit einer Musterklausur, wie sie in ähnlicher Form offenbar in Bonn geschrieben werden. Die einzelnen Kapitel (von Kap. B. bis O.) jeweils mit einigen wichtigen Daten sowie durchgehend nummerierten „Lehrsätzen“ und abschließenden Wiederholungsfragen, die insgesamt sehr anspruchsvoll sind. Deswegen kann man sagen: Wer diese Fragen alle beantworten kann, beherrscht die Geschichte des Wirtschaftsrechts und seiner Vorläufer. Allerdings überzeugt die Gesamtkonzeption letztlich nicht. Weniger wäre mehr gewesen, auch gelegentlich bei den persönlichen Stellungnahmen der Autoren, die aber nicht als solche besonders gekennzeichnet sind. Die Autoren mögen zwar in der Sache recht haben, aber sie überheben sich, wenn sie es etwa als eine „Schande der deutschen Wirtschaftswissenschaft“ bezeichnen, dass „sie seit einer Generation und immer noch die Wirtschaftsgeschichte als Erkenntnismittel“ übersehe. Geht es nicht ein wenig kleiner?
Dennoch liegt ein wichtiger Band vor, der bei der Erschließung von Entwicklungen wertvolle Dienste leistet, die sich jedenfalls der Laie nicht ohne weiteres anhand der Originalliteratur zu erschließen vermag. Gerade die jüngsten Entwicklungen eines amerikanischen Protektionismus können vor der Folie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts leichter bewertet werden, wenn man gute Sekundärliteratur zur Hand hat (Die Personen Friedrich List und Otto von Bismarck, die beide im Band nur recht knapp erwähnt werden, seien hier zur weiteren Erforschung empfohlen.).
Mathias Schmoeckel/ Matthias Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Mohr Siebeck Verlag, 2. Aufl., Tübingen 2016, 540 S., 36 Euro