Die späte Liebe zu den kleinen Silberlingen

Scheiben Spezial: Justament-Autor Thomas Claer über seine wachsende Begeisterung für einen inzwischen sehr altmodischen Tonträger

Lange Zeit habe ich keine CDs gemocht. Damals, in meiner Jugend in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern, war das für mich eine Grundsatzentscheidung. Es gab nur entweder… oder. So wie in noch früheren Epochen ästhetische Debatten über Alternativen wie “Spitzdach oder Flachdach?” geführt wurden oder über “Geschüttelt oder gerührt?”, so war die Frage zu meiner Zeit: “Platte oder CD?” Und mein Herz schlug ganz klar fürs schwarze Vinyl. In einem Schallplattenladen in unserer Gegend, der jetzt leider dichtgemacht hat, weil der Betreiber in Rente gegangen ist, hing jahrzehntelang an der Fensterscheibe der Spruch “CDs sind Sondermüll”. Das hätte ich vor drei Jahrzehnten sicherlich auch unterschrieben.

Wie wunderschön doch so eine Schallplatte ist, so hübsch verpackt in der großen und kunstvoll gestalteten Hülle… Und wenn man sie dann langsam und genussvoll herauszieht und auf den Plattenteller legt, sich dieser zu drehen beginnt und man darauf wartet, dass die Nadel mit gemütlichem Knistern in den feinen Rillen versinkt… Wie kalt und steril ist doch dagegen die Compact Disc mit ihrem glasklaren Klang, begleitet nur vom feinen Sirren, Klackern und Ticken der nachgeführten Laserlinse. Und wie trostlos nehmen sich die viel zu kleinen CD-Hüllen aus, auf denen sich oftmals selbst mit sehr guten Augen kaum ihre Beschriftung entziffern lässt. Im tiefsten Grunde meines Herzens bin ich noch heute dieser Meinung.

Und doch hat auch die CD ihre unbestreitbaren Vorzüge, so wie die Schallplatte ihre kaum zu leugnenden Nachteile hat. Noch dazu erscheint all das heute, wo Musik zumeist seelenlos aus großen Wolken gestreamt wird, in ganz neuem Licht: Längst sind Vinyl und CD keine Gegensätze mehr, sondern liegen doch, genau besehen, recht eng beieinander als Tonträger der alten Schule, die einer bestimmten Musik ein haptisches und optisches Äquivalent beigeben, woraus dann ein Gesamtkunstwerk entsteht. Welchen Sinn soll es eigentlich haben, Geld dafür zu bezahlen, dass man die Möglichkeit hat, auf Millionen Lieder zuzugreifen? Das ist doch am Ende beinahe so, als ob man gar nichts hätte. Man verhungert dann in der Fülle, wie es bei Goethe heißt. Auch das präziseste Superhirn wird sich ab einer bestimmten Menge angehörter Musik nicht mehr daran erinnern können, was man schon gehört hat und was nicht. Und was man vergessen hat, das hat man nie besessen, solange kein gut bestückter Schallplattenschrank oder CD-Ständer einem zurück ins Gedächtnis ruft, was man bereits besitzt. Na gut, man könnte vielleicht Listen führen über das bereits Angehörte. Aber wozu? Das wäre doch viel zu umständlich und vor allem ohne jeden ästhetischen Reiz. Der Kunstsammler Heinz Berggruen soll gesagt haben, ein schönes Bild brauche auch immer einen schönen Rahmen, so wie eine schöne Frau ein schönes Kleid brauche. Ein gestreamtes Lied aber ist – verglichen mit jenem auf einem Tonträger – noch weniger als eine Postkarte im Vergleich zum gerahmten Bild an der Wand.

Natürlich ist es kein Zufall, dass die Schallplatte in den beiden vergangenen Dekaden eine triumphale Wiederauferstehung gefeiert hat. Doch liegt hierin bereits ein Teil des Problems, denn mittlerweile ist sie zum sündhaft teuren Luxus-Accessoire geworden. Muss das wirklich sein: horrende Summen für Platten ausgeben, die man noch vor ein paar Jahren für wenige Euros auf Flohmärkten finden konnte? Hier bietet sich nun die CD als vergleichsweise spottbillige Alternative zu ihrer großen Schwester, der Schallplatte, an, zumindest wenn man sie aus zweiter Hand erwirbt, wozu es ja dank Medimops, Rebuy und Co. fortwährend erstklassige Gelegenheiten gibt. Auch das Verschicken der CDs kostet kaum zwei Euro, während man fürs Versenden der klobigen schwarzen Vinyl-Scheiben in großen stabilen Plattenkartons weitaus tiefer in die Tasche greifen muss. Und wie bequem ist es doch mit den CDs: rein, raus, vor, zurück. Alles geht schnell und einfach und ist nicht so zeitraubend wie bei den Platten. Außerdem verspringen die CDs einem nicht im Player, auch dann nicht, wenn man beim Musikhören Frühsport treibt (bzw. umgekehrt) und dabei den Fußboden erschüttert. Und fürs Lesen der CD-Beschriftungen liegt schon seit langen Jahren eine Lupe auf unserem Küchentisch.

Wohl über anderhalb Dekaden habe ich mir nun schon zu Tiefstpreisen Unmengen an CDs zusammengekauft, zumeist solche, die ich vor zwanzig oder dreißig Jahren sehr gerne gehabt hätte, aber mir damals nicht leisten konnte. Mittlerweile besitze ich schon weitaus mehr CDs als Schallplatten. Doch das fällt gar nicht auf, weil die CDs viel weniger Platz beanspruchen. Nur meiner Frau ist es inzwischen aufgefallen, dass meine vielen CDs langsam, aber sicher unsere Wohnung vollstellen, weshalb sie ein striktes CD-Ständer-Anschaffungsverbot verhängt hat. (Den größten Teil meiner CD-Ständer habe ich über Ebay Kleinanzeigen geschenkt bekommen von Leuten, die keine Verwendung mehr für sie hatten.) Glücklicherweise ist es mir vor kurzem dennoch gelungen, zwei besonders große CD-Ständer mit reichlich Fassungsvermögen unauffällig in der Speisekammer zu platzieren, womit ich bei meiner Frau so gerade eben noch durchgekommen bin. Doch versuche icn schon nach Kräften, mich bei meinen weiteren CD-Anschaffungen zu bremsen, denn ob der Aufbewahrungsplatz für mein gesamtes restliches Leben ausreichen wird, das steht noch in den Sternen…

Veröffentlicht von on Jul 17th, 2023 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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