Europa ade?
Die Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze belasten zunehmend auch die lokale Wirtschaft und den familiären Zusammenhalt – ein Ortsbesuch auf dem Polenmarkt in Leknica, nahe der sächsischen Kleinstadt Bad Muskau
Benedikt Vallendar
Frisörsalons im polnischen Leknica nahe der Grenze (Foto: Vallendar)
Schwer bewaffnete Militärpolizei auf der Brücke über dem Grenzfluss, und in einer Seitenstraße zwei Geländefahrzeuge mit polnischem Hoheitszeichen. So empfängt seit Mitte Juli die Kleinstadt Leknica ihre Besucher; auf Anweisung der Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk, der nach Analystenmeinung innenpolitisch unter Druck steht, eine angemessene „Antwort“ auf die deutschen Grenzkontrollen zu finden. Doch drüben, auf der deutschen Seite sieht es auch nicht viel besser aus. Gelangweilt wirkende Bundespolizisten schauen hier und da in eines der im Schritttempo vorbeifahrenden Fahrzeuge und lassen sich hin und wieder von Passanten den Personalausweis zeigen. Das war‘s, Tag und Nacht, seit die Regierung Merz im Amt ist.
Zwar soll die illegale, vor allem muslimische Migration aus Belarus seither zurückgegangen sein, doch wiegen dafür die wirtschaftlichen Folgen umso schwerer. Denn auf dem örtlichen Markt von Leknica laufen die Geschäfte nur noch schleppend, was man an den vielen geschlossenen Ständen erkennt. Normalerweise werden dort preiswertes Spielzeug, Plastikblumen, Spirituosen und Zigaretten feilgeboten. Doch seit Tagen sind die Jalousien heruntergezogen. Hier und da laufen Besucher aus dem nahen Bad Muskau und Weißwasser über die enge Promenade, auf der Suche nach Textilien unter fünf Euro oder Schuhwerk aus Fernost.
Werbung um Kundschaft
„Allein der Tanktourismus läuft wie eh und je“, sagt ein Mitglied der katholischen Pfarrei Heilig Kreuz Weißwasser, dessen Ehefrau aus Polen stammt und sie mit den gemeinsamen Kindern regelmäßig zur Familie ins 20 Kilometer entfernte Trzebil fahren. Dass man nun neuerdings wieder den Personalausweis dabeihaben müsse, nerve ganz schön, sagt der 43-Jährige. Viele deutsch-polnische Familien hätten daher ihre gegenseitigen Besuche schon deutlich heruntergefahren, heißt es in der Gemeinde.
Allein die Cafés, einige Zigarettenstände und Imbissbuden scheinen in Leknica noch einigermaßen gut bevölkert. „Aber früher lief es besser“, sagt auch der bulgarische Betreiber einer Frittenbude und verweist auf den kaum besuchten Frisörsalon neben ihm, dessen weibliche Angestellte vor der Tür auf Kundschaft warten. Inhaberin und Frisörmeisterin Aneta Lach stellt seit geraumer Zeit „weniger Besucher als früher“ fest, sagt sie, und führt dies vor allem auf die wiedereingeführten Grenzkontrollen zurück. Ihr Salon „Metamorphose“ bemüht sich nach Kräften, die Kundschaft zu halten. Neben Gratiskaffee gibt es bunte Süßigkeiten in kleinen Schalen. Und für Extrawünsche wie Färben oder Dauerwelle werden auch kurzfristig Termine vereinbart, von den deutlich günstigeren Preisen als in Deutschland mal ganz abgesehen.
Begegnungen auf der Brücke
Mit kostenlosem Kaffee wirbt der Friseursalon „Metamorphose“ in Leknica um Kundschaft (Foto: Vallendar)
Und Europa? Das war einmal. So das mulmige, vielerorts um sich greifende Gefühl, hier im Grenzgebiet an Oder und Neiße, die friedlich anmutig vor sich hinfließt und mit ihren Seitenarmen zur Bewässerung des berühmten Fürst Pückler Parks beiträgt. Seit 2004 gehören der Park und das nahe gelegene Schloss zum UNESCO Weltkulturerbe; zwei Drittel des Geländes befinden sich auf deutschem Gebiet, ein Drittel auf polnischem, wobei eine zurzeit noch unkontrollierte Fußgängerbrücke für Begegnungen im Minutentakt sorgt.
Dennoch hat sich an der östlichen Peripherie die Pro-Europa-Stimmung nach dem EU-Beitritt Polens vor 21 Jahren merklich eingetrübt. Wozu wahrscheinlich auch die auffällig vielen Sendungen im polnischen Fernsehen über „wachsende Kriegsgefahr“ beitragen. Was an der Ostgrenze zur Ukraine, Kaliningrad und Weißrussland passiert, nehmen die Menschen hier deutlich sensibler wahr als andernorts.
Und der Eindruck, dass die Polizeikontrollen an der deutsch-polnischen Grenze die Wirtschaft schädigen, deckt sich auch mit Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW). Dort rechnen Fachleute allein deswegen mit einem rund 0,1 Prozent niedrigerem Wirtschaftswachstum in diesem Jahr. Zwiegespalten ist hingegen die Stimmung in Bad Muskau. Vor der letzten Bundestagswahl hatte die AfD hier auf Plakaten noch lautstark eine Schließung der Grenze zu Polen gefordert, woraufhin dann auch viele ihr Kreuzchen dort gemacht haben. Doch mehr und scheint es den Bürgern zu dämmern, was sie sich damit eingebrockt haben: Staus in der Innenstadt, schlechter laufende Geschäfte und das komische Gefühl, dass die Fehler in der deutschen Migrationspolitik nun auf ihrem Rücken ausgetragen werden.