Der Nomos-Verlag legt zwei Standardkommentare zum Arbeitsrecht neu auf
Matthias Wiemers
Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass das Arbeitsrecht dem Bürgerlichen Recht zuzurechnen ist. Der Untertitel des ersten hier vorzustellenden Werkes lautet dann auch „Individualarbeitsrecht mit kollektivrechtlichen Bezügen“. Dass der Individualarbeitsvertrag ein zivilrechtliches Institut ist, scheint allerdings immer mehr in Vergessenheit zu geraten, da beiden Vertragsparteien hier die Freiheit doch weitgehend genommen ist. Und wenn dem potentiellen Arbeitnehmer dann durch kollektivistische und gesetzgebeirische Maßnahmen der Arbeitsplatz versperrt ist, dann kann er ja nunmehr „Bürgergeld“ beantragen – so möchte man sarkastisch hinzufügen. Doch genug der Polemik, der Praktiker hat mit diesen immer neuen Einschränkungen der bürgerlichrechtlichen Vertragsfreiheit umzugehen und benötigt hierfür geeignete Hilfsmittel. Hierbei kann er zunächst zu dem von Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath herausgegebenen Nomos Kommentar zum „Arbeitsrecht“ greifen, der zu recht den Untertitel „Handkommentar“ trägt. Die gut 60 Seiten umfassende Einleitung zu verfassen, ließ sich der Altmeister des deutschen Arbeitsrechts Wolfgang Däubler nicht nehmen. Er hat eine routinierte Abhandlung verfasst, die auch recht persönlich gehalten ist. So heißt es etwa bei der Frage, ab wann im Arbeitsrecht von Gewohnheitsrecht auszugehen ist. „Besteht eine Übung unangefochten seit mehr als 20 Jahren, so sind meines Erachtens grundsätzlich die Voraussetzungen von Gewohnheitsrecht erfüllt“ (Einleitung, Rdnr. 39). Im Kontext dieses Textes von Bedeutung sind auch die Ausführungen Däublers zur Abgrenzung des Arbeitsrechts von anderen Rechtsgebieten (Rdnr. 42 ff.), welche interessanterweise mit „Verhältnis zum BGB“ beginnen. Das schon angesprochene Bürgergeld ist hier allerdings noch nicht eingearbeitet, ebenso nicht die Anhebung der Minijob-Höchstvergütung von 450 auf 520 Euro. Es folgt eine knappe Kommentierung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (Mayer), von Auszügen des AEUV (Schubert), des AGG (Turba/Klapp bzw. Berg) und des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen (Kronisch). Das Arbeitsgerichtsgesetz (Henssen/Gerretz u. a.) wird wieder vollständig kommentiert, das Arbeitsplatzschutzgesetz – es regelt übrigens den Erhalt des Arbeitsplatzes bei Grundwehrdienst und Wehrübungen – in Auszügen (Herrmann). Es folgt das Arbeitsschutzgesetz (Hamm/Faber/Lorenz). Das Arbeitszeitgesetz (Growe/Tretow) und das Arbeitssicherheitsgesetz (Hamm/Faber) sowie das Altersteilzeitgesetz (Droßel) werden wieder nur in Auszügen kommentiert.
Es folgt eine vollständige Kommentierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (Lorenz). Beim Berufsbildungsgesetz beschränkt man sich wieder auf die arbeitsrechtlich relevanten Teile (Herrmann/Gross), ebenso beim Bundesdatenschutzgesetz (Däubler). Dasselbe gilt für das Bundeselterngeld- und Elternteilzeitgesetz (Birk/Velikova), das Betriebsrentengesetz (Schuster/Schmitz u. a.), das Betriebsverfassungsgesetz (Herrmann/Schwegler u. a.) und schließlich das BGB (Kraushaar/Boemke u. a.). Es folgt (in Auszügen) das Bundesurlaubsgesetz (Holthaus) und eine vollständige Kommentierung des Entgeltfortzahlungsgesetzes (Spengler/Gieseler u. a.) sowie des Familienpflegezeitgesetzes (Rühl). Das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheinissen wird wieder nur in Auszügen kommentiert (Fechner), ebenso die gute alte Gewerbeordnung (Becker) und das Grundgesetz (Becker/ Hensche u. a.). Es folgen eine vollständige Kommentierung des Heimarbeitsgesetzes (Berg), das Handelsgesetzbuch in Auszügen (Schlegel), die Insolvenzordnung (Schulze/ Markowski), eine vollständige Kommentierung des Kündigungsschutzgesetzes (Bufalica/Markowski u. a.), eine ebensolche, aber sehr knappe des Mediationsgesetzes (Wolmerath), eine Kommentierung des Mindestlohngesetzes (Fechner/Däubler), des Mutterschutzgesetzes (Briegel/Velikova), des Nachweisgesetzes (Schubert), des Pflegezeitgesetzes (Rühl), der ROM-I-Verordnung und des EGBGB(Auszug, Däubler), des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes (Auszug, Herrmann), jeweils eines Auszugs aus dem SGB II (Mayer), des SGB III (Klein), des SGB V (Burkart), des SGB VI (Zimmermann), des SGB IX (Nacke/Gottbehüt), eine ausführliche Kommentierung des nur in Auszügen abgedruckten Teilzeitbefristungsgesetzes (Ahrendt/Schmiegel u. a.). Den Schusspunkt bildet ausgerechnet eine auszugsweise Kommentierung des Urheberrechtsgesetzes (Ulrici). Das nachfolgende Stichwortverzeichnis ist als sehr umfangreich zu bezeichnen.
Alles in allem: Wer praktisches Arbeitsrecht betrieben will, kann mit diesem Kommentar sofort loslegen, Lücken sind erst einmal nicht erkennbar.
Währen schon das vorstehende Werk zahlreiche Normkomplexe des Arbeitsschutzrechts mit beinhaltet, ist der nachfolgende Kommentar vollständig der öffentlich-rechtlichen Seite des Arbeitsrechts gewidmet. Der Untertitel des Handkommentars „Gesamtes Arbeitsschutzrecht“, herausgegeben von Kohte/Faber/Busch, lautet „Arbeitsschutz/Arbeitszeit/Arbeitssicherheit/Arbeitswissenschaft. Er ist nun auch schon in dritter Auflage erschienen und nahm hierbei um etwa 200 Seiten an Umfang zu. Bei Betrachtung dieses Werks habe ich einen doppelten Test über das Stichwortverzeichnis am Ende des Bandes gemacht: Ich habe die Begriffe „Infektionsschutzrecht“ und „Berufsgenossenschaft“ gesucht – und zu recht nicht gefunden. Denn beide Begriffe betreffen nicht das Arbeitsrecht, um das es beim Arbeitsschutzrecht geht. Die Berufsgenossenschaft gehört eigentlich zum Sozialrecht und damit zum SGB VII – Gesetzliche Unfallversicherung. Allerdings finden wir im Stichwortverzeichnis auch hier die Begriffe „Unfall“, „Unfallverhütungsvorschriften“, „Unfallversicherung“ und Unfallversicherungsträger“. Damit ist zugleich das prekäre Verhältnis sich gegenseitig überlagernder Rechtsmaterien umschreiben. Mit dem Infektionsschutzrecht kommt noch eine dritte Materie hinzu, die zudem bei den Gesundheitsministerien von Bund und Ländern ressortiert und nicht bei den Arbeits- und Sozialministern. Wer an der Bewältigung der Corona-Krise auf Seiten von Unternehmen beteiligt war, kann sich vielleicht daran erinnern, dass um die Einhaltung der Zuständigkeitsgrenzen durchaus gerungen wurde. Die „Sars-CoV-II-Arbeitsschutzverordnung“ aus dem Hause Hubertus Heil war in allen ihren Versionen rechtlich umstritten. Und wenn man nun erst in die Einleitung des Bandes hineinblickt, dann werden zunächst unionsrechtliche Grundlagen für das Arbeitsschutzrecht aufgezeigt und dann gleich das Problem „Gefährdung durch Viren in der Systematik des deutschen Rechts“. Alles in allem ist die neue Einleitung genau den soeben angedeuteten Konflikten gewidmet (Der Rezensent hat tatsächlich die beschriebene Reihenfolge eingehalten und fühlt sich mit seinen Annahmen bestätigt). Es folgt ein Teil 1 „Grundlagen“, der zunächst das soziale Grundrecht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen. Hierin geht es um die Artikel 31 bis 33 der EU GRCh mit ihren Implikationen internationaler Abkommen. Dann wird das sekundäre Unionsrecht in Kürze präsentiert, bevor dann im Teil 2 des Bandes („Arbeitsschutz und Gesundheitsprävention“) in die Kommentierung der einzelnen Gesetze eingestiegen wird. Umfasst sind hiervon das vollständige Arbeitsschutzgesetz sowie Auszüge aus den SGB IX und V.
Teil 3 ist den „Arbeitsschutzverordnungen“ gewidmet, beginnend mit der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge, gefolgt von der Arbeitsstättenverordnung, der Baustellenverordnung, der Betriebssicherheitsverordnung, der Biostoffverordnung, der Arbeitsschutzverordnung zu elektromagnetischen Feldern, der Gefahrstoffverordnung, der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung, der Lastenhandhabungsverordnung, der Arbeitsschutzverordnung zu künstlicher optischer Strahlung und der PSA-Benutzungsverordnung.
Teil 4 ist dem Arbeitszeitrecht gewidmet, das zu den integralen Teilen des Arbeitsschutzes gehört, sich aber freilich in einer schon seit länger anhaltenden Diskussion befindet. Der Teil beginnt mit einer Vollkommentierung des Arbeitszeitgesetzes. Dem folgt ein erläuternder Abschnitt über „Urlaub im Kontext des Arbeits- und Gesundheitsschutzes“.
Teil 5 bildet den beschäftigungsspezifischen Arbeitsschutz, der Vollkommentierungen des Mutterschutzgesetzes und des Jugendarbeitsschutzgesetzes enthält.
Teil 6 des Bandes mit dem Titel „Arbeitsorganisation“ enthält eine Vollkommentierung des Arbeitssicherheitsgesetzes und eine Kommentierung des SGB VII in Auszügen.
Teil 7 betrifft die „Individuelle und kollektive Rechtsdurchsetzung“ mit einer Kommentierung von § 618 BGB, einem erläuternden Abschnitt über „Arbeitsschutz in der Insolvenz des Arbeitgebers“, einer Teilkommentierung des Betriebsverfassungsgesetzes (§§ 87 ff. BetrVG) wie des Bundespersonalvertretungsgesetzes und entsprechender Vorschriften der beiden „großen“ Kirchen in Deutschland.
Alles in allem: Arbeitsschutz mit Corona-Verarbeitung. Die Herausforderungen bleiben für die betriebliche Praxis prinzipiell erhalten. Der Kommentar hilft, ihnen zu begegnen.
Däubler / Hjort / Schubert / Wolmerath
Arbeitsrecht: Individualarbeitsrecht mit kollektivrechtlichen Bezügen. Handkommentar
Nomos Verlag, 5. Auflage 2022
3348 Seiten; 149 Euro
ISBN 978-3-8487-7630-6
Kohte / Faber / Busch
Gesamtes Arbeitsschutzrecht: Arbeitsschutz, Arbeitszeit, Arbeitssicherheit, Arbeitswissenschaft
Nomos Verlag, 3. Auflage 2022
1755 S., 159 Euro
ISBN 978-3-8487-7049-6