Im Labyrinth der Träume
Die Ausstellung „Rendezvous der Träume. Surrealismus und deutsche Romantik“ in der Kunsthalle Hamburg
Thomas Claer
Wenn es im Ostsee-Urlaub schon ständig regnet, dann setzt man sich eben einfach in den Zug nach Lübeck und besucht die Ausstellung „Thomas Mann und die Demokratie“. Dumm ist nur, wenn man dann nie in Lübeck ankommt, weil man wegen erheblicher Zugverspätung seinen Anschluss verpasst hat. So ist das nun mal mit dem Deutschland-Ticket… Aber man kann ja stattdessen immer noch nach Hamburg weiterfahren. Schließlich läuft dort auch gerade eine sehr besondere Ausstellung. Und länger als knapp zwei Stunden wird man doch bestimmt nicht brauchen für „Rendezvous der Träume. Surrealismus und deutsche Romantik“, denkt man sich.
Immerhin ist die Kunsthalle nur ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt. Doch ist man erst einmal dort drinnen, merkt man schnell, dass hier ein langer Atem gefragt ist. Viel Text erwartet den Besucher in den Eingangsräumen, aber ohne dessen aufmerksame Lektüre vorab ist die Fülle von mehr als 300 Ausstellungsstücken, hauptsächlich Gemälden, aus einer Zeitspanne von über 150 Jahren kaum zu bewältigen. Der Gesamteindruck ist übermächtig und verstörend. In Kurzform lässt sich sagen: Es ist eine ebenso naheliegende wie überzeugende kuratorische Idee, den Surrealismus mit der Romantik kurzzuschließen, denn schließlich hat sich jener immer wieder ausdrücklich auf diese bezogen und hat diese jenen bereits in vieler Hinsicht antizipiert. Vor allem aber ist diese Ausstellung ein schöner Anlass, sich beiden Epochen einmal tiefergehend zu widmen, denn nur die wenigsten der hier gezeigten Werke dürften allgemein bekannt sein.
Gewiss, Caspar David Friedrich mit seinem „Wanderer über dem Nebelmeer“ ist wohl jedem, der auch nur einen Hauch von Kunstinteresse mitbringt, schon mal irgendwo begegnet. Aber wer weiß schon, dass sein ebenfalls aus Vorpommern stammender frühromantischer Kollege Philipp Otto Runge eine Vielzahl von zweifellos surreal anmutenden Werken fabriziert hat? Auch mag das Titelbild dieser Kunstschau, der „Hausengel“ von Max Ernst, vielen ein Begriff sein, schon weil dieses aufgeplusterte, rücksichtlos wütende und dabei alles um sich herum zertrampelnde Wesen so frappierend an Donald Trump erinnert. Doch wer kennt schon so fabelhafte surrealistische Künstlerinnen wie Dorothea Tanning, Valentine Hugo oder Leonora Carrington? Und dann sind da auch noch Künstler, die man eigentlich nicht unbedingt dem Surrealismus zugeordnet hätte, die aber in dieser Ausstellung recht plausibel gewissermaßen ihre surrealistische Seite zeigen, wie Paul Klee oder Joan Miro.
Als die knapp zwei Stunden fast schon rum sind und wir zum Zug müssen, haben wir gerade erst ein gutes Drittel der Ausstellung gesehen. Wir gehen also wenigstens noch mal im Schnelldurchgang durch die restlichen Räume in den oberen Etagen, doch dann habe ich plötzlich meine Frau verloren, als ich irgendwo hängengeblieben bin und sie offenbar zügig weitergegangen ist. Wir finden uns nicht mehr, und mein Handy liegt im Rucksack, unten im Schließfach. Das Sicherste ist nun also, schnell die Treppen runter zum Schließfach zu eilen. Doch das ist leichter gesagt als getan in diesem Irrgarten von einer Kunsthalle. Ich folge auf verschlungenen Wegen den „Ausgang“-Schildern, komme aber nicht dort raus, wo wir hineingegangen sind und sich die Schließfächer befinden, sondern im Museumsshop. Die Zeit drängt, und ich laufe panisch zurück, doch dann habe ich mich völlig verirrt. Schließlich lande ich wieder im Museumsshop, verlasse dann die Kunsthalle und finde endlich um die Ecke wieder den Eingangsbereich mit den Schließfächern. Ich rufe nun meine Frau, die mich noch irgendwo sucht, auf dem Handy an. Kurz darauf ist auch sie am Schließfach. Unseren Zug haben wir aber schon verpasst – und meine Frau ihren Online-Sitzungstermin am Abend. Und ich bin schuld daran!
Doch dann suche ich auf dem Handy nach der nächsten Zugverbindung. Dabei sehe ich, dass der Zug, den wir verpasst zu haben glaubten, in Wirklichkeit gar nicht gefahren ist. „Verbindung fällt aus“, steht dort. Also ist es gar nicht meine Schuld, dass wir verspätet zurückkommen, sondern die der Deutschen Bahn AG! Der nächste und letzte Zug zurück geht erst in zwei Stunden. Wir können also – man kann schon sagen: Glück im Unglück – nochmal zurück in die Kunsthalle und uns wenigstens noch für gut eine Stunde den Rest der Ausstellung ansehen. Dann ist unsere Aufnahmefähigkeit aber endgültig erschöpft, und wir müssen ja auch noch im Bahnhof etwas essen. Wenigstens mit dem letzten Zug klappt dann alles reibungslos. Ein Hoch auf das Deutschlandticket und den damaligen FDP-Minister, der es eingeführt hat!
Rendezvous der Träume. Surrealismus und deutsche Romantik
Kunsthalle Hamburg
Noch bis 12.10.2025