Arbeitsrechts-Experte Rechtsanwalt Wolfgang Reich im Gespräch mit Martina Weber
Wolfgang Reich (38) studierte Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Er arbeitet seit dem Jahr 2000 als selbstständiger Rechtsanwalt, zunächst in eigener Kanzlei, dann in einer Bürogemeinschaft und inzwischen mit seinem Kollegen Georg Grimm in einer Sozietät in Frankfurt am Main. Einer seiner Tätigkeitsschwerpunkte ist Arbeitsrecht.
Justament: Herr Reich, wer sich als Anwalt einen Tätigkeitsschwerpunkt wählt, hat oft ein besonderes Einfühlungsvermögen für den zugrundeliegenden Konflikt. Was fasziniert Sie am Arbeitsrecht?
Wolfgang Reich: Mich reizen der ständige Wandel in der Materie und die Flexibilität in der praktischen Arbeit als Anwalt.
Die Einflüsse aus Politik und Wirtschaft wirken sich im Arbeitsrecht unmittelbar und deutlich aus. Auch beim einzelnen Mandanten kommen politische Strömungen und Entscheidungen spürbar an. Der Anwalt muss sich deshalb ständig fortbilden und das politische Tagesgeschehen verfolgen.
Primäres Ziel ist im Arbeitsrecht nicht die Entscheidung des Gerichts, sondern die einvernehmliche Regelung. Für den Anwalt ist es nicht damit getan, im Kammertermin Anträge zu stellen. Er muss auf richterliche Vorschläge zur gütlichen Einigung unmittelbar und flexibel reagieren und dabei immer die Interessen seines Mandanten im Blick behalten.
Justament: Wann haben Sie Ihr Interesse am Arbeitsrecht entdeckt?
Wolfgang Reich: Erst während meiner anwaltlichen Tätigkeit. Im Rahmen der Ausbildung wurde zu meiner Zeit das Arbeitsrecht eher stiefmütterlich behandelt. Es gab nur einen zweiwöchigen Lehrgang während des Referendariats beim Arbeitsgericht. Hier stand die richterliche Sicht im Focus.
Justament: Welche Mandanten haben Sie und wie werden Ihre Mandanten auf Sie aufmerksam?
Wolfgang Reich: Unsere Kanzlei vertritt vornehmlich Arbeitnehmervertretungen wie Betriebsräte und einzelne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Mandanten kommen überwiegend auf Empfehlung zu uns.
Justament: Wie wirkt sich der angespannte Arbeitsmarkt auf Ihre anwaltliche Tätigkeit aus?
Wolfgang Reich: Seit der Wirtschaftskrise gibt es selbstverständlich auch mehr Konflikte im Arbeitsrecht, vor allem Kündigungen, die zu Kündigungsschutzklagen führen. Von der häufiger zitierten Entlassungswelle kann jedoch nicht die Rede sein.
Die angespannte wirtschaftliche Situation wirkt sich auch insgesamt häufiger auf das Verhandlungsklima aus. So stehen ja nicht nur die Arbeitnehmer, die ihren Job verlieren oder diesen zu erheblich verschlechterten Bedingungen fortsetzen müssen, unter Druck, sondern auch die Arbeitgeber. Ich rede jedoch nicht von den ganz großen Unternehmen, sondern vor allem vom Mittelstand. Hierbei großzügiger mit möglichen Abfindungen umzugehen, oder gegebenenfalls anderweitige Alternativen, die den Erhalt des Arbeitsplatzes sichern, zu diskutieren, nehmen stetig ab.
Justament: Ist generell die Bereitschaft zu außergerichtlichen Lösungen gesunken?
Wolfgang Reich: Das kann ich so nicht feststellen. Die Menschen sind aber grundsätzlich eher bereit für ihren Arbeitsplatz vor dem Arbeitsgericht zu kämpfen. Gerade der Mandant, der über eine Rechtschutzversicherung verfügt, trägt hierbei kein Kostenrisiko, so dass sich der Gang vor das Arbeitsgericht in den meisten Fällen lohnt.
Justament: Spielen Mediationsverfahren eine größere Rolle als früher?
Wolfgang Reich: Ja, die außergerichtliche Streitbeilegung durch Mediationsverfahren ist stärker in den Focus geraten. Es ist Abwägungssache, ob sich ein langwieriger Rechtsstreit mit ungewissem Ausgang tatsächlich im Ergebnis lohnt. Eine außergerichtliche wesentlich zügigere Klärung des Rechtsstreits im Rahmen eines Mediationsverfahren ist im Ergebnis sinnvoller für beide Seiten. Die Grundbereitschaft beider Seiten zur gütlichen Einigung ist dabei elementare Voraussetzung.
Justament: Nicht nur der Arbeitsmarkt ist angespannt, auch auf den Schreibtischen der Arbeitsgerichte türmen sich die Akten. Werden Gütetermine im Zehnminutentakt terminiert?
Wolfgang Reich: Nein. Die Gerichte bemühen sich, den Sachverhalt zunächst so gut wie möglich aufzubereiten und zu klären, jedenfalls in Frankfurt am Main (Am Arbeitsgericht Köln wird hingegen bei mancher Kammer tatsächlich im 10-Minuten-Takt verhandelt.) Richterinnen und Richter erkennen also durchaus die Notwendigkeit, der Rechtsangelegenheit genügend Zeit zu widmen. Schließlich bedeutet jede gütliche Einigung aus Richtersicht einen Kammertermin weniger und damit ein Urteil weniger. Die investierte Arbeit lohnt sich also.
Justament: Seit einiger Zeit führen Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen Schulungen für Betriebsräte durch. Wie kamen Sie auf die Idee?
Wolfgang Reich: Das war eher Zufall. Der eine oder andere von uns rechtlich vertretene Betriebsrat hat angefragt, ob wir auch entsprechende Seminare veranstalten würden. Diesem Wunsch sind wir gerne nachgekommen. Danach hat es entsprechende gute Resonanz gegeben, die dazu geführt haben, dass wir dabei geblieben sind. Inzwischen macht uns beiden diese Tätigkeit sehr viel Freude. Die Aufträge erhalten wir durch Anfragen von den Betriebsräten.
Justament: Welche Erfahrungen haben Sie mit den Betriebsräten gemacht?
Wolfgang Reich: Zum Großteil handelt es sich um sehr engagierte Arbeitnehmervertreter, die im Zuge ihres Amtes sehr oft leider lernen müssen, dass die betriebliche Wirklichkeit ein sehr hartes Brot sein kann. Für die Arbeit als Betriebsrat sind Durchsetzungsvermögen, Standfestigkeit und nicht zuletzt ein gefestigter Charakter erforderlich. Dies sind jedoch keine Eigenschaften, die wir auf den Schulungen vermitteln können oder wollen. Viele Betriebsräte haben sich im Laufe der Jahre aus unserer Sicht sehr gut entwickelt und machen als Arbeitnehmervertreter einen sehr guten Job.
Justament: Welchen Rat haben Sie für eine Referendarin, die sich zu Beginn ihres Referendariats entschließt, einen Schwerpunkt im Arbeitsrecht zu wählen und die sich für den Anwaltsberuf interessiert?
Wolfgang Reich: Sie sollte frühzeitig im arbeitsrechtlichen Bereich tätig sein. Empfehlenswert ist es, die Anwaltsstation und gegebenenfalls auch die Wahlstation bei einer größeren Anwaltskanzlei, die auf Arbeitsrecht ausgerichtet ist, zu verbringen. Einen sehr guten Einblick erhält man sicherlich auch bei den Arbeitgeberverbänden oder den Gewerkschaften.
Justament: Welche Fähigkeiten sind außer den üblichen fundierten justischen Kenntnissen im Arbeitsrecht wünschenswert oder erforderlich?
Wolfgang Reich: Die zukünftige Kollegin muss sich darüber im klaren sein, dass es häufig beim Mandanten um die Existenz geht, verbunden mit all den Ängsten und Sorgen über das „wie geht es dann weiter“.
Im kollektiven Arbeitsrecht ist die Verantwortung des anwaltlichen Beraters sehr hoch, da hierbei verbindliche Regelungen für eine Vielzahl von Menschen verhandelt unverbindlich festgeschrieben wird, meist über mehrere Jahre. Dies bedeutet für den einzelnen Anwalt oder die einzelne Anwältin, dass die Arbeitssituation mit extremem Druck hinsichtlich der Zeitkomponente und dem Ergebnis verbunden sein können. Mit einem solchen Druck von verschiedenen Seiten muss man lernen umzugehen.
Justament: Die Referendarin hat ihr zweites Examen geschafft und ist nun Berufsanfängerin im Anwaltsberuf. Welches ist Ihr Rat an Sie?
Wolfgang Reich: Sie soll sich bei den ersten Auftritten vor dem Arbeitsgericht nicht allzu sehr von den üblichen Ritualen beeindrucken lassen. Im Ergebnis zählt für das Gericht das Sachargument, welches sich auf der Basis des Gesetzes begründen lassen muss. Dies muss man sich immer vor Augen führen. Insofern sollte man sich nicht einschüchtern lassen. Wir alle haben irgendwann einmal angefangen.
Justament: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Justament-Autorin Martina Weber.
Kontakt:
Rechtsanwälte Wolfgang Reich & Georg Grimm, Klingerstraße 24, 60313 Frankfurt
Homepage: www.reich-grimm.de