Egons Kronprinz

Eberhard Aurich, einst 1. Sekretär des FDJ-Zentralrats und Vertrauter Erich Honeckers, zieht eine kritische Bilanz über die DDR. Im Umfeld einer katholischen Gemeinde in Berlin Treptow kümmert sich der gelernte Lehrer heute um Randgruppen

Benedikt Vallendar

Heute sind ihm die Bilder unangenehm. Denn noch im Mai 1989 gab Eberhard Aurich dem DDR-Fernsehen ein Interview, in dem er die Zusammenarbeit mit der SED in höchsten Tönen lobte. In bunten Farben malte der 1. Sekretär des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend (FDJ) darin die rote Diktatur im Osten Deutschlands; ein System, das schon wenige Monate später Geschichte war. „Politische Propaganda im Reinformat, bei der man sich nur wundern kann“, so kommentierte die frühere Bürgerrechtlerin Freya Klier das Auftreten Aurichs, derweil Tausende junger Menschen das Land gen Westen verließen. Weil sie mit den politischen Verhältnissen in der DDR unzufrieden war, verbrachte Freya Klier fast zwei Jahre in Haft, bevor sie 1988 unter Protest in den Westen ausreiste.

Späte Einsichten

31 Jahre später. Die Kulisse, vor der Eberhard Aurich einst sprach, ist geblieben. Allein die Umstände haben sich geändert. Längst ist die DDR Geschichte und aus dem Berufsjugendlichen an der Seite Erich Honeckers ein Publizist und Rentner mit eigener Homepage geworden. Heute logiert an seinem früheren Amtssitz Unter den Linden das ZDF; im SED-Jargon der bourgeoise Feindsender schlechthin. Zusammen mit Gläubigen der katholischen Sankt Josefs Pfarrei in Berlin Köpenick-Treptow kümmert sich Aurich seit einigen Jahren um Randgruppen, Arme, Alte und Ausgestoßene. Der „Umgang mit jungen Menschen“, „Erziehungsarbeit“ und Bildung seien ihm ins Blut gelegt, sagt der mittlerweile 74-Jährige am Telefon. Hätte sich die DDR noch länger gehalten, wäre Aurich bei der Nachfolge von Egon Krenz im Amt des SED-Generalsekretärs wohl in die engere Wahl gekommen. Führungspositionen in der FDJ galten immer auch als Sprungbrett. Menschen aus seinem Umfeld beschreiben Aurich als „umgänglich“ und „nett“, als jemanden, mit dem „man reden kann“.
Weniger Glück bescherte ihm das im Privaten. Nach einer gescheiterten Ehe hat Aurich im erweiterten Umfeld der Gemeinde eine neue Aufgabe gefunden; eine, die ihn „fordert und ausfüllt“, etwa dann, wenn er Flüchtlingskindern Deutsch beibringt, also wieder in die Rolle des Lehrers schlüpft.

Der Anfang vom Ende

E. Aurich vor seinem früheren Amtssitz

Und doch war das mit dem Lehrerberuf im Leben des Eberhard Aurich so eine Sache. Nach seinem Diplom an der Pädagogischen Hochschule Zwickau im Sommer 1969 wechselte er zur FDJ, wo es der gebürtige Chemnitzer bis ganz nach oben schaffte; einer, der bei den Honeckers dinierte, mit Egon Krenz per Du war und sich mit Stasi-Minister Erich Mielke über den „Zustand der DDR-Jugend“ zankte. Aurich war, noch bevor er vor einer Klasse stand, zum Funktionär, Bürokraten und bezahlten Jubelperser der SED mutiert. „Seinen Beruf als Lehrer hat er kaum ausgeübt“, sagt auch Matthias Wanitschke, katholischer Theologe aus Erfurt. Aurich galt zu DDR-Zeiten als linientreuer Parteigänger, ein sich jugendlich gebender Betonkopf, an dem die Blauhemden zu Tausenden vorbei defilierten. Aurich gehörte zur Nomenklatura, die Privilegien genoss, etwa Westreisen und ein monatliches Extragehalt als Staatsrat in Höhe von 1.500 Ostmark. Auch Freya Klier sieht das Nachwendegebaren des früheren FDJ-Chefs kritisch. Dessen scheinbare Läuterung vom Saulus zum Paulus, die angebliche Liebe zur Pädagogik habe sie ihm nie wirklich abgenommen, sagt die Filmemacherin rückblickend.

Offene Fragen

Ausführlich beschreibt Aurich in seinem 2019 erschienen Buch „Zusammenbruch – Erinnerungen, Dokumente, Einsichten“ die letzten Tage der DDR, das einbrechende Chaos nach dem Sturz Erich Honeckers und wie seine FDJ am 24. November 1989 Geschichte war, auch wenn es den Verband mit geschätzten 150 Mitgliedern bis heute gibt. Erst kürzlich trafen sich in Zwickau einige Dutzend FDJler mit blauen Fahnen zu einer „Maikundgebung“; die kümmerlichen Überreste einer totalitären Massenorganisation, die einst die „Kampfreserve der Partei“ war.
Spätestens im Dezember 1989 waren aus den Genossen von FDJ und SED Gehetzte geworden, aus Gesprächspartnern korrupte Knilche, über die die Zeitungen täglich Neues enthüllten. „Uns drohten Laternenpfähle“, so beschreibt Aurich die damalige Stimmung in der Bevölkerung. Auch er musste sich wegducken, umorientieren und hat am Ende immerhin noch eine Auszeichnung für die „geleistete Arbeit“ bekommen; ein Umstand, der heute wie ein Feigenblatt anmutet, hinter dem der frühere Berufskommunist seine moralische Mitschuld an den Verbrechen der SED zu verbergen sucht.
Und dennoch. 1989 ging auch für Eberhard Aurich das Leben weiter. Nach einer Umschulung arbeitete er als Geschäftsführer eines Verlages, der Unterrichtsmaterial für Kinder mit Lese- und Rechtschreibeschwächen vertreibt. Bis zur Rente machte er diesen Job, und auch das Berliner Allende-Viertel, wo er 1981 in eine geräumige Neubauwohnung gezogen war, hat Aurich nicht mehr verlassen. Der Politik kehrte er 1991 den Rücken, gab sein Parteibuch ab und zog sich ins Private zurück. In der Waldsiedlung Wandlitz, nördlich von Berlin, wo bis Ende 1989 die SED-Politbüroprominenz residierte, sei er nur einmal bei Egon Krenz zu Besuch gewesen, berichtet Aurich. Dort sei reichlich Alkohol geflossen. Daran könne er sich noch gut erinnern, und auch, dass ihm das Ganze „unangenehm“ gewesen sei. Heute habe er zu Krenz nur noch wenig Kontakt, sagt Aurich. Der letzte SED-Generalsekretär tingelt mit geschichtsklitternden Vorträgen durchs Land und wird – dessen ungeachtet – auch von seriösen TV-Sendern noch immer gern als Zeitzeuge gebucht.

Abrechnung light

Immerhin. Bei der Lektüre seines Buches wird deutlich, dass sich Aurich tiefgründige Gedanken über die DDR, deren Defizite und auch über seine eigene Rolle darin gemacht hat. In weiten Teilen ähnelt das Buch einem inneren Monolog, der getragen wird von der alles bewegenden Frage: Wie hätten wir den Staat retten können? Um es vorweg zu sagen: Bis zur letzten Seite gibt Aurich darauf keine klare Antwort. Stattdessen doziert er seitenlang über die Geschichte des Kommunismus, dessen „ehrenwerte Motive“ und auch über die möglichen Gründe seines Scheiterns – ohne auch nur ein Wort des Bedauerns oder gar der Entschuldigung zu finden. Dass das SED-Regime nicht an Idealen, sondern an fehlender Legitimation durch freie Wahlen gescheitert ist, auch dazu findet sich in dem fast 400 Seiten starken Oeuvre kein Wort. „In weiten Teilen liest es sich wie eine Kaderakte, mit den immer gleichen Phrasen, Beschönigungen und Verharmlosungen“, resümiert die Potsdamer Historikerin und Publizistin Jenny Krämer. Und fügt hinzu, dass manche Lehrer eben dazu neigten, lieber zu lehren, statt aus Fehlern zu lernen.

Veröffentlicht von on Aug. 24th, 2020 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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