Sebastian Haffner: Geschichte eines Juristen

Teil 1

Jochen Barte

Wer war Sebastian Haffner? Diese Frage scheint berechtigt, zumal in Juristenkreisen, denn Haffner, verstorben 1999, hatte sich – obwohl promovierter Jurist –  zu Lebzeiten nicht in der Jurisprudenz hervorgetan. Stattdessen hatte er sich vielmehr einen erstrangigen Ruf als Journalist und Historiker erworben: Haffner als Journalist u.a. für den Stern schreibend und ständiger Gast im Internationalen Frühschoppen prägte die politischen Debatten der jungen Bundesrepublik wesentlich mit und lieferte mit seinen historischen Essays und Studien wie Germany. Jekyll & Hyde und den Anmerkungen zu Hitler wichtige Impulse für die Forschung. Sein juristischer Hintergrund, der in die Zeit der Weimarer Republik und des NS-Regimes fiel, trat hierbei überwiegend nicht in Erscheinung. Gleichwohl ist die Beschäftigung mit Haffners juristischen Wurzeln nicht ohne Belang, denn Haffners wechselvolle Lebensgeschichte -gebrochen durch das Prisma seiner juristischen Prägung- zu erzählen, heißt auch bedeutende Abschnitte der jüngeren deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte zu erzählen und im Zuge dessen unter Perspektiven zu beleuchten, die im etatistischen, konservativ-traditionellen Milieu der  Adminsterialjurisprudenz gerne totgeschwiegen werden. Haffner selbst hat seine juristische Ausbildung  in seinem im Jahr 2002 posthum erschienen autobiographischen Werk Geschichte eines Deutschen ausführlich und eindrucksvoll beschrieben. Dieser Text, geschrieben 1939 -kurz nach seiner Flucht nach England, bildet überwiegend die Grundlage des ersten Teils dieses Artikels. Haffner gelingt darin, besonders aufgrund eines psychologischen Scharfblicks, der seinesgleichen sucht, das Kunststück in relativ knapper, klarer Form das zu erklären, was eigentlich bis heute unfassbar geblieben ist: die Entstehung der nationalsozialistischen Diktatur in einem hochentwickelten Land und den darauffolgenden Holocaust.  Der zweite Teil behandelt die Zeit in England und die Rückkehr nach Deutschland.

Der lange Abschied von Deutschland
„Sein Gewissen war sein Maßstab. Er erklärte den Deutschen Deutschland.“ Diese beiden kurzen Sätze stehen auf der für Sebastian Hafer in Berlin errichteten Gedenktafel. Sie enthalten in nuce den Schlüssel zu Haffners außergewöhnlicher Biographie: Sein Gewissen veranlasste ihn im Jahr 1938 Deutschland zu verlassen -ein einschneidender Entschluss, den Haffner in seinen Erinnerungen mit einer Amputation gleichsetzt. Er stellt die Reaktion auf eine tief empfundene Ohnmacht gegenüber die Freiheit des Individuums bedrohenden Prozessen dar, die sein späteres lebenslanges Interesse für historische und mentalitätsgeschichtliche Entwicklungen  bedingen sollte, und seiner Nachkriegspublizistik einen aufklärerisch-mahnerischen Impetus gab, der ihn gleichsam zum Geschichtslehrer der Nation werden ließ. Aber der Reihe nach. Haffner wird 1907 als Sohn eines hohen preußischen Ministerialbeamten in Berlin geboren. Sein bürgerlicher Name lautet Raimund Pretzel. Den Ersten Weltkrieg erlebt Haffner noch im Stadium kindlicher Unbefangenheit, als surreales Ereignis, das ihn fasziniert. Er zählt Armeen, notiert Geländegewinne und legt Punktetabellen an. „Es war ein dunkles, geheimnisvolles Spiel, von einem nie endenden, lasterhaften Reiz, der alles auslöschte, das wirkliche Leben nichtig machte, narkotisierte […]“. Die Niederlage von 1918 empfindet er wie die meisten Deutschen als nationale Katastrophe. Politisch sozialisiert wird er sodann in der Weimarer Republik. Das Elternhaus ist bürgerlich liberal. Haffner kommt früh mit Literatur in Berührung, da sein Vater über eine umfangreiche Bibliothek verfügt und er entwickelt rasch eine starke Neigung zum Schreiben. Auf Wunsch des Vaters studiert Haffner aber Jura mit dem Ziel einer Karriere in der Ministerialbürokratie. 1933 als die Nazis die Macht ergreifen ist er 25 Jahre alt und absolviert gerade sein Referendariat am Berliner Kammergericht. Im Unterschied zu den allermeisten jungen, aufstrebenden Männern seiner Generation ist dieses Ereignis für Haffner nun aber kein Anlass zum Jubeln, sondern es kommt für ihn einer Katastrophe gleich, die sukzessive apokalyptische Dimensionen gewinnt. Er erlebt die Machtergreifung als Einbruch des „Dummen und Bösen“ und empfindet eine unmittelbare Bedrohung seines demokratisch-libertinären Lebensstils. Für Haffner ist schon sehr früh klar, dass der Nationalsozialismus zutiefst amoralische, barbarische Intentionen verkörpert, die er schon rein ästhetisch in dem militärisch-aggressiven Habitus und der plumpen, geistig nivellierenden, Gewalt verrherrlichenden Diktion seiner Exponenten präfiguriert sieht. Überdies bescheinigt er seinen Landsleuten einen kollektiven Nervenzusammenbruch, der die Wahl Hitlers zum Reichskanzler erst ermöglicht habe. Als Ursachen hierfür führt er neben dem Kriegserlebnis und der Währungsinflation von 1923, wodurch besonders seine Generation ihren moralischen Kern eingebüßt hätte, an, dass die Deutschen –im Unterschied zu allen anderen zivilisierten Völkern- keine kontemplativen, individualistischen Daseinsformen entwickelt hätten und somit dazu neigen würden, vor einer verdichteten existenziellen Langeweile in rauschhafte, infantilistische Kollektivriten wie die Nazis sie böten, zu fliehen. Haffner beschreibt hier hellsichtig psychopathologische Muster der kollektiven Selbstliquidierung eines Volkes, die zum Teil bis heute wirksam sind. Und er prognostiziert historische Fernwirkungen, die „eines Tages in der Auflösung des deutschen Staates enden könnten.“
Seine Befürchtungen sollten sich schnell bestätigen. Durch die Judenverfolgung der Nazis verliert er viele seiner  jüdischen Freunde, bangt um die Sicherheit seiner ebenfalls jüdischen Freundin und muss das Eindringen der nationalsozialistischen Ideologie in alle Bereiche seines privaten Lebens hinnehmen.  Schließlich wird das angestrebte Berufsziel einer Beamtenkarriere in der höheren Justizverwaltung obsolet, denn Haffner muss erkennen, dass der Nationalsozialismus die über Jahrhunderte gewachsene juristische Kultur Deutschlands annulliert und einer verbrecherischen Staatsraison ausliefert. „Zwar standen die Paragraphen des BGB noch“, doch für Haffner sind es nur noch leere Hülsen aus einer anderen Zeit. Das Kammergericht war da schon längst unter dem Druck der Nazis „zusammengebrochen“, hatte keinen Widerstand gegen die völlige Gleichschaltung geleistet und brav und gehorsam alle jüdischen Richter aus dem Dienst entfernt. Von 1944 bis 1945 sollte das älteste und bekannteste deutsche Gericht schließlich auch die Kulisse für Freislers berüchtigten Volksgerichtshof abgeben. Generell muss Haffner feststellen, dass er mit seiner konsequenten Ablehnung des Nationalsozialismus im juristischen Bereich kaum Mitstreiter findet. Stattdessen herrschen Bejahung, Opportunismus und angstvolle Fügsamkeit. Um an dieser Stelle eine bestätigende historische Note einzufügen: Die Anzahl der Richter, die während der Zeit des Nationalsozialismus aufgrund von oppositionellen Tendenzen aus dem Amt entfernt wurde, belief sich englischen Historikern zufolge auf ganze drei Richter. Zu allem Überdruss wird Haffner zur ideologischen Schulung kurz vor dem Assessorexamen noch in ein „Referendarlager“ in Jüterbog abkommandiert. Es wird für ihn zum pars pro toto des gesamten Systems. Haffner findet dafür die Formel der Entindividualisierung und Entmenschung, durch die Erfahrung der „Droge Kameradschaft“. Seine Schilderungen weisen frappierende Parallelen zu William Goldings vieldiskutiertem Roman Lord of the Flies auf, in dem eine zivilisierte Kinderschar, die auf eine Insel verschlagen wird, sukzessive in die mordlüsternde Barbarei abdriftet. Haffner allerdings findet eine Möglichkeit der brutalisierenden Mechanismen Nazideutschlands zu entgehen: 1938, nachdem er sich einige Jahre als Zeitungsredakteur versucht hat, flüchtet er nach England.

Veröffentlicht von on Apr 6th, 2010 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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