Von der No-Bailout-Klausel zur No-Way-Out-Klausel

Sind die Griechenland-Hilfen rechtswidrig?

Patrick Mensel

Es war kein Kampf zwischen Gut und Böse, kein Kampf zwischen weitsichtigen und stets an das Gemeinwohl der Staaten denkenden Politikern auf der einen Seite und maßlos gierigen Finanzvertretern auf der anderen Seite. Wie so oft im Leben kommt man auch in der Griechenland-Krise mit dem gängigen Schwarz-Weiß-Schema nicht weiter. Die Wahrheit liegt wieder einmal in der Mitte und die Geschichte der Euro-Notlage ist nichts anderes als eine Geschichte von Ursache und Wirkung, von Lüge und Defizit. Mögen die Spekulanten die finanzielle Schieflage einzelner Euro-Länder ausgenutzt haben, hervorgebracht haben sie diese jedenfalls nicht. Es war die Kultur des jahrelangen Wegschauens, die Fälschung und Betrug auf nahrhaften Boden stoßen ließen. Die europäische Gemeinschaftswährung ist eben nur so stabil wie die Finanzpolitik der Mitgliedsländer. Und genau dort wurden lieber Schulden gemacht, als die Ausgabenseite der Einnahmeseite anzupassen. Aus der Währungsunion ist eine Schuldenunion mit ungewissem Ausgang geworden.

Die No-Bailout-Klausel

Dabei gab es vor allem zwei Mechanismen, die dieses Szenario eigentlich verhindern sollten. Der Stabilitätspakt war eine von ihnen. Ihm zufolge seien nur solche Nationen aufnahmebereit, die gemessen an ihrem Bruttoinlandsprodukt nicht mehr als 60 Prozent Schulden hatten. Außerdem war die Aufnahme neuer Kredite nur erlaubt, wenn das Darlehensvolumen nicht mehr als drei Prozent des BIP betrug. Der zweite Mechanismus war die sogenannte No-Bailout-Klausel im Maastricht-Vertrag, die den EU-Nationen verbot, die Schulden einer anderen Nation zu bezahlen. In heute gültiger Form kann er in Artikel 125 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nachgelesen werden: „Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein.“ Kritiker nannten sie seit jeher die Schönwetterklausel, die niemals praktikabel sei. Dass zwischen den Mitgliedsstaaten eine Art faktische Haftungsgemeinschaft besteht, hatte Ex-Finanzminister Steinbrück schon Anfang vergangenen Jahres zugegeben.

Rechtswidrige Finanzpakete?

Mit der Schieflage Griechenlands kam es, wie es kommen musste. Auf das erste 25-Milliarden-Euro-Paket folgte das gigantische 750-Milliarden-Paket zur Stabilisierung der Währungsunion. Rechtliche Bedenken gegen die Hilfsaktionen wurden schnell beiseitegeschoben, da die Sicherung der Währungsunion oberste Priorität habe. Aus den Griechenland-Anleihen wurden letzten Endes Anleihen mit anderen Bürgen, wie z. B. der Bundesrepublik. Ein Umstand, der bereits zwei Verfassungsbeschwerden zur Folge hatte. Die eine wurde von einem auf Aktienrecht spezialisierten Rechtsanwalt, die andere von vier emeritierten Hochschulprofessoren eingereicht. Schnelligkeit war beim Einreichen der Beschwerde das Gebot der Stunde, wurde doch das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz am selben Tag verabschiedet, damit schon zwei Tage später die ersten Gelder fließen konnten.

Aussicht auf Erfolg?

Schon am nächsten Tag hatte das Bundesverfassungsgericht den Eilantrag bezüglich des Stopps der Griechenland-Hilfe mit dem Argument abgelehnt, dass ein Abwarten der deutschen Hilfen bis zur Urteilsverkündung das Rettungspaket in seiner Gänze gefährdet hätte. Dabei war schon die Zulässigkeit der Klage in Frage gestellt, hat doch der Bürger prinzipiell keine Befugnis darüber zu entscheiden, wie seine Steuergelder eingesetzt werden. Wegweisend war diesbezüglich das Lissabon-Urteil, in dem das Bundesverfassungsgericht unter den Garantien des Wahlrechtes auch die Teilhabe an der in der Bundesrepublik ausgeübten Staatsgewalt sieht, wobei ausdrücklich auf die „Einnahmen und Ausgaben einschließlich der Kreditaufnahme“ verwiesen wird. Bei der Begründetheit stehen die Chancen der Kläger nicht schlecht, ist doch der Wortlaut des zitierten Artikels 125 eindeutig. So sieht es auch der Göttinger Professor für Völker- und Europarecht, Frank Schorkopf, der vor einem Zahlungsweg außerhalb des EU-Rechts warnt. Wenn die Finanzhilfen als zwischenstaatliche Maßnahmen deklariert werden, so handelt es sich um bilaterale Abkommen zwischen Griechenland und den übrigen Staaten. Dass dahinter aber doch eine europäische Basis steckt, wird in dem Falle deutlich, wenn finanzstärkere Staaten die Griechenland-Darlehen der schwächeren mit übernehmen. Diese Umgehung des EU-Rechtes sei unzulässig. Der Europarechtler aus Jena, Matthias Ruffert, sieht die Hilfen eindeutig als rechtswidrig an. Was den Notenbanken verboten sei, das sei auch den Regierungen verboten. Auch falle unter die Ausnahmeregelung für „Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Ereignisse“ nur solche, die sich vom Staat nicht kontrollieren lassen. Staatsverschuldung zähle nicht dazu, so Ruffert im Spiegel.

PIGS

Ob die griechische Wirtschaft die Schulden überhaupt noch in den Griff bekommen wird, steht auf einem anderen Blatt. Zurzeit sind es 300 Milliarden Euro, die das Land an Schulden gemacht hat. Ohne die zugesagten Kredite hätte Griechenland schon am 19. Mai Insolvenz anmelden müssen, an dem Tag, an dem 8,1 Milliarden Euro an Anleihen fällig wurden. Andere Wackelkandidaten wie Portugal, Italien oder Spanien – die sogenannten PIGS-Länder – kann es auch noch erwischen. Wie sehr die Menschen hinter den Sparbemühungen der Regierungen stehen, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Polleit, Chefvolkswirt von Barclays Capital Deutschland, sieht das skeptisch. Was bei der ganzen Diskussion nicht vergessen werden dürfe, so Polleit, sei, dass der Großteil griechischer Schulden nicht in Griechenland liegt. Und deren Gläubiger seien ja bekanntlich Nichtwähler.

Quelle: Der Spiegel, Spiegel Online

Veröffentlicht von on Mai 25th, 2010 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

1 Antwort for “Von der No-Bailout-Klausel zur No-Way-Out-Klausel”

  1. Clemens Gutsche sagt:

    Seit dem (bedauernswerten) Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 07.09. 2011 ist klar, daß der Verstoß gegen getroffene Vereinbarungen (z.B. „No-Bailout-Klausel“ im Maastricht-Vertrag) verfassungsgemäß ist. Es fällt mir schwer, nun weiterhin auf unsere Verfassung stolz zu sein, die Verfassungsrichter gerieren sich hier als Ökonomen bzw. Interessenvertreter der Wirtschaft und schützen nicht bestehende Gesetze.

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