Auf in die Verwaltung!

Was die Verwaltung heute und künftig braucht, steht in einem neuen „Handbuch Digitalisierung der Verwaltung“

Matthias Wiemers

Es gibt immer wieder einmal Sammelbände, die sich mit der Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung beschäftigen – wenn auch nicht so ganz viele. Das hier vorzustellende Handbuch ist zum Glück als Paperback erschienen und lädt damit vielleicht schon eher zur Arbeit mit ihm ein als ein Band, der praktisch selbständig im Regal stehen kann.
Unter der fachlichen Zuordnung zur Politikwissenschaft sind hier insgesamt 19 Beiträge von insgesamt 28 Autoren zusammengefasst, die eher nicht aus der IT kommen, sondern aus ganz verschiedenen Disziplinen, die sie aber zur IT hingeführt haben. (Juristen sind kaum dabei, aber der Weg vom Recht zur IT sollte nicht vorschnell aufgeben werden.)

Die Beiträge gliedern sich in drei „Schwerpunktbereiche“: Personal, Daten und „Prozesse und Projekte“. Tobias A. Krause beschäftigt sich zunächst mit „Digital Literacy in der öffentlichen Verwaltung“ – und muss den Begriff erst einmal erklären. Kurz und auf Deutsch kann man es mit Befähigung zu allem übersetzen, was zu Partizipation im wirtschaftlichen und sozialen führt. Die UNO hält dies für basal für alles andere (S. 15), und der Autor entfaltet die zahlreichen Dimensionen dieser Befähigung.
Ein Kunstwort bildet den Titel des zweiten Kapitels: „Coronitalisation“, und er bringt damit alles zum Ausdruck, was wir an Schubkraft für die Digitalisierung der Verwaltung während der Corona-Pandemie erlebt haben (Isabella Proeller, Nicolas Drathschmidt, Jan P. Adam).
Nadine Baumann zeigt die Bedeutung von Online-Trainings in der öffentlichen Verwaltung für die Personalentwicklung auf, während Derya Catakli ein Evaluierungsverfahren präsentiert, das „Wege in den digitalisierten öffentlichen Dienst“ eröffnet. Wie wollen Führungskräfte, die „analog“ sozialisiert sind, sich ohne solche Verfahren IT-Kompetenzträger in die Verwaltung holen? Das Produktbeispiel, das bei der Bundeswehr zum „Einsatz“ kommt, ist auch Gegenstand der Dissertation der Autorin, die als Juristin Referentin am BSI ist und in Speyer lehrt. Thomas Balbach liefert eine Vergleichsstudie über die Bewältigung der Verwaltungsdigitalisierung im Sicherheits- und Verteidigungswesen in Deutschland und Großbritannien („Geschafft?“).
Daten sind bekanntlich der Treibstoff jeglicher Digitalisierung und zunehmend auch von Wertschöpfung. Der Schwerpunktbereich beginnt mit einem Beitrag über „Digitale Daten als Rohstoff und Ressource“, wobei die Nutzung raumbezogener Planungs- und genehmigungsverfahren für den Aufbau kooperativer Dateninfrastrukturen beleuchtet wird. Der Autor Marco Brunzel bietet hier einen guten Überblick über Themen der Verwaltungsmodernisierung mit IT-Fokus der letzten Jahre. Tabea Hein präsentiert „Künstliche Intelligenz im Konzern Kommune“. Der Konzernbegriff im Titel meint hier allerdings nicht eine ausufernde Stadtwirtschaft, sondern die Kommunalverwaltung in Gänze. Vor diesem Hintergrund ist der Beitrag besonders wichtig, weil dieselben (politischen) Entscheidungsträger, die vor einigen Jahren bar jeder Kenntnis von Digitalisierung schwätzten heute gerne von „KI“ schwadronieren. Heins Beitrag gibt ersten Aufschluss, was von diesem neuen Lieblingswort erwarten darf. Zu recht trägt der nächste Beitrag über Cloud-Technologien in der öffentlichen Verwaltung die Überschrift „Motor der Digitalisierung“ (Germar Schröder, Lucas Sy, Benjamin Bruns, Daniel Helfer, Benedikt Gutzweiler). Denn in der Tat dürfte es – wenn die datenschutzrechtlichen Fragen im Griff sind, rein faktisch leichter sein, die datenschutztechnischen Probleme in der Cloud zu lösen, als wenn Datensicherung bei vielen kleinen Nutzerinnen und Nutzern dezentral erfolgt. Oder klingt das zu naiv? Die Nutzungsmöglichkeiten von Daten nehmen jedenfalls durch Cloudlösungen enorm zu, wie man dem Beitrag der Autoren entnehmen kann. Yanik Elixmann und Sascha Kraus präsentieren „Open Data in der Verwaltungspraxis“ und zeigen damit auch auf, welcher Wandel sich hier in den letzten Jahren bereits europaweit vollzogen hat: weg vom Datengeheimnis hin zum Teilen von daten, um sie (auch) wirtschaftlich zu nutzen. Mitherausgeber Basanta E. P. Thapa zeigt, wie man „Datenanalysen zum Wirken bringen“ kann, und Nelly Clausen sowie Mirko Tobias Schäfer beschließen den Schwerpunktbereich mit einem datenethischen Beitrag: „Angewandte Ethik für Daten- und KI-Projekte in der öffentlichen Verwaltung“.
Etwas Heterogener ist der letzte Schwerpunktbereich, der mit einem wichtigen Beitrag über Prozessmanagement beginnt (Stephan Loebel und Tino Schuppan). Zu recht heben die Autoren aber auch hervor, dass an das Prozessmanagement vielfach zu hohe Effizienzerwartungen geknüpft würden, die in der öffentlichen Verwaltung jedoch nur selten erreicht werden. Die Verwaltung habe eigentlich kein Effizienz- oder Kostenproblem, müsse aber trotzdem wirtschaftlich handeln wie jede Organisation. Aus Sicht der Mitarbeitenden sei das Kostenproblem nicht relevant, wohl aber beispielsweise das Problem der Sicherung von Wissen (S. 260 f,). Mag man auch den Befund mit den Kosten deutlich relativieren wollen, so ist doch die Erkenntnis zum Wissensverlust (durch Personalfluktuation und Pensionierungen) zu unterstreichen. Mitherausgeber Tobias A. Krause kehrt nochmal zurück mit einem Beitrag über agile Methoden und hybride Ansätze des Projektmanagements in der öffentlichen Verwaltung, der den Blick dafür öffnet, wie eigentlich Veränderungsprozesse organisatorisch angegangen werden müssen. Fanny Bender zeigt und, wie man kooperativ vorgeht bei der Umsetzung von Onlineformularen im Rahmen des OZG. Denn das OZG hat zwar kein festes Zieldatum mehr, aber es ist in der Welt! Ein positives Fallbeispiel über die Implementierung eines digitalen Bauantragsverfahren im Rahmen des OZG-Leistungskatalogs in Mecklenburg-Vorpommern präsentieren Andreas Fiedler und Ronny Weinkauf, und Christian Götz zeigt wie „Informationssicherheit leicht gemacht“ wird. Mitherausgeber Christian Schachtner liefert sodann noch einen wichtigen Beitrag zur organisatorischen Transformation der Verwaltungsarbeit „durch Ermächtigungskultur und agiles Projektmanagement in Kommunen“. Das wichtigste Stichwort ist hier Erhöhung der Eigenverantwortung von Mitarbeitern (S. 370). Thomas Kirschner zeigt die Möglichkeiten der Prozessautomatisierung mit Robotic Process Automation, bevor Peter Kuhn „proaktive Verwaltungsleistungen“ präsentiert. Hier ist es allerdings nicht so, dass die automatisierte Verwaltung künftig alle möglichen Dienste – wie im E-Commerce – aufgrund von bisherigem Suchverhalten auf der Verwaltungsplattform präsentieren soll (jedenfalls habe ich den Beitrag so nicht verstanden), sondern verschiedene Behörden einfach automatisiert zusammenarbeiten sollen, um die Erstellung des Produkts zu beschleunigen.

Alles in allem wird, wer sich in jüngster Zukunft mit dem Thema Verwaltungsmodernisierung zu beschäftigen hat, an diesem Werk nicht vorbeikommen.
Was viele Verwaltungen noch nicht verstanden haben ist, dass Modernisierung nicht auf Arbeitsgruppen delegiert werden kann, sondern (zumindest auch) Chefsache ist. Weiterhin werden die Verrentungen und – Art. 33 Abs. 4 GG lässt grüßen – Pensionierungen die Amtsstuben in Deutschland in den nächsten Jahren derartig leerfegen, dass schon jetzt folgendes geschehen muss:
– die richtigen Mitarbeiter mit ausreichender IT-Kompetenz einstellen und genau diese
– deutlich besser bezahlen.

Insbesondere das Dienst- und Tarifrecht muss auf Hindernisse hierzu durchforstet werden, das Personalvertretungsrecht gehört eigentlich abgeschafft.

Dann wird man auch in der öffentlichen Verwaltung mit weniger Juristen auskommen. Dennoch: auf in die Verwaltung!

Tobias A. Krause / Christian Schachtner / Bassanta E.P. Thapa (Hrsg.)
Handbuch Digitalisierung der Verwaltung
transcript Verlag, 1. Auflage 2024
420 Seiten; 59,00 Euro
ISBN: 9783825259297

Veröffentlicht von on Apr 1st, 2024 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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