Jens Bisky legt eine fulminante Studie zur Endphase der Weimarer Republik vor
Matthias Wiemers
Der Titel des Bandes erinnert an ein relativ schmales Bändchen des Kulturpessimisten Oswald Spengler über „Jahre der Entscheidung“, das im Sommer 1933 erschien. Während Spengler anhand weltgeschichtlicher Entwicklungen zeigen wollte, was für das Deutschland des Jahres 33 anstand, blickt das neue Werk des Publizisten Jens Bisky von heute auf jene Jahre zurück. Sein Werk „Die Entscheidung“ zeigt schon nach dem Untertitel die Entwicklungen in „Deutschland 1929 bis 1934“ auf.
Der Band kann mit seinen etwa 640 Seiten durchaus als umfangreich bezeichnet werden, doch ist er äußerst lesbar, ohne dass man dem Publizisten etwa Oberflächlichkeit vorwerfen könnte (Der Rezensent hat das Buch in neun Tagen durchgelesen und hatte noch diverse andere Aufgaben zu erfüllen…).
Die Arbeit ist eine Mischung aus historischer Forschung und Kulturwissenschaft. So beginnt bereits das erste Kapitel mit einem Blick auf die Landvolkbewegung namentlich in Norddeutschland, über die Hans Fallada nicht nur als Gerichtsreporter geschrieben hatte, sondern worüber dieser auch seinen Roman „Bauern, Bonzen und Bomben“ (1931) verfasst hat, der die Vorlage für die Kapitelüberschrift liefert. Den ganzen Band bevölkern Literaten wie Hans Fallada, Ernst Jünger, Thomas Mann und Siegfried Kracauer, aber der Schwerpunkt liegt doch eher in der Schilderung der historischen Fakten, die Bisky anhand des historischen Verlaufs thematisch zu pointieren weiß. Dass der Niedergang der Weimarer Republik – nach den etwas ruhigeren „goldenen“ Jahren 1924 bis 1928 – mit der Weltwirtschaftskrise beginnend und bis zur „Machtergreifung“ der Nazis Anfang 1933 führt und dass sodann die Festigung des NS-Regimes mit dem Tode des Reichspräsidenten Hindenburg und der nachfolgenden Vereinigung des Reichspräsidenten mit dem Reichskanzleramt abgeschlossen wurde, dürfte weitgehend bekannt sein. Aber diese fünf Jahre einmal im Zusammenhang darzustellen, scheint eine neue Idee zu sein. Und es ist eine gute Idee. Denn Bisky gelingt es, eben gerade mit kulturwissenschaftlichen Einsprengseln die Materie interessant zu machen – auch für diejenigen Leser, die nicht so sehr in der historischen Materie stecken oder aber glauben, über „Weimar“ oder „Hitler“ schon genug gelesen zu haben. Die 21 Kapitel sind eingerahmt durch ein Vorwort und ein Nachwort, das als „Schluss: Weimarer Verhältnisse“ bezeichnet wird. Das Vorwort beginnt mit der Schilderung des Todes des international anerkannten Außenministers Gustav Stresemann, der zeitlich sehr eng bei dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise liegt. Bisky beschreibt in seinem Vorwort, dass sein Buch „Schlüsselmomente jener letzten Weimarer Jahre“ verewige. Im „Schluss“ weist Bisky etwa auf die Momente während der Weimarer Republik hin, an denen vielleicht eine „Weichenstellung“ in eine andere Richtung möglich gewesen wäre (S. 569). Völlig zu recht betont er dabei die Bedeutung der Reichspräsidentenwahl 1925, um die man in diesem Zusammenhang nicht herum käme. Der Zentrumsmann Wilhelm Marx sei dem kaiserlichen Feldmarschall im zweiten Wahlgang nur um 800.000 Stimmen unterlegen gewesen. (Der Rezensent weist hier zustimmend darauf hin, dass er der Marx-Biographie Ulrich von Hehls – Hehls Bonner Habilitationsschrift aus den 1980er Jahren – entnommen hat, dass allein die verweigerte Unterstützung der Bayerischen Volkspartei für die Niederlage ursächlich gewesen sein mag.)
Wichtig erscheint abschließend ein Zitat aus dem „Schluss“, der uns in die Gegenwart leitet: „Seit die ohnehin wenigen liberalen Demokratien weltweit ums Überleben kämpfen, ist wieder viel von Weimarer Verhältnissen die Rede. Das ist frivol, wenn es nicht konkret wird. Den Rechtspopulisten ist zwar nicht viel mehr eingefallen als das, was ihre Vorgänger in der Zwischenkriegszeit propagierten. Dennoch sind sie nicht mit der Partito Nazionale Fascista oder der NSDAP gleichzusetzen. Wer da auf Wiederkehr schaut, verpasst die Unterschiede, auf die es ankommt. Wir alle leben und handeln „post“, nach den Verbrechen, nach dem Zivilisationsbruch… Die Geschichte hält kein einziges Rezept bereit, wie man sich in der Gegenwart verhalten sollte, aber sie bietet Stoff genug, die Urteilskraft zu schulen.“
Und über die in West- wie Ostdeutschland gleichermaßen begangenen Fehler bei der Erklärung des Untergangs der Weimarer Republik schreibt Bisky: „In der kontrafaktischen Überzeugung, dass eine Mehrheit (von den Nazis) getäuscht und verführt worden sei, trafen sich die Kontrahenten des Kalten Krieges“ (S. 576).
Lassen wir es dabei.
Lesen Sie das Buch und beweisen Sie, dass auch heute noch Bücher dieses Umfangs gelesen werden!
Jens Bisky
Die Entscheidung. Deutschland 1929 bis 1934
Rowohlt Verlag 2025
640 Seiten; 34,00 Euro
ISBN: 978-3-7371-0125-7