Klaus von Dohnanyi und Erich Vad haben ein gemeinsames Buch geschrieben
Matthias Wiemers
Mein erster Lehrer des Öffentlichen Rechts, Christoph Degenhart, damals noch in Münster, pflegte für ihn fremde Rechtsgebiete gerne mit einem Satz einzuordnen. „Im Völkerrecht geht Macht vor Recht“ lautete die Einordnung dieses einen Rechtsgebiets. In Deutschland, wo vielleicht nicht ständig von einer „feministischen Außenpolitik“ wie bei der auf gewisse Weise nicht ungeschickten Frau Baerbock die Rede ist, wohl aber von einer „regelbasierten Außenpolitik“, muss man sich natürlich fragen, woher die Regeln denn stammen, auf die sich die deutsche Außenpolitik stützt. Hier bleibt nur das Völkerrecht oder die historische Erfahrung bestimmter politischer Regelmäßigkeiten im Verhalten der Staaten.
Der Elder Statesman Klaus von Dohnanyi, Jahrgang 1928, studierter Jurist und Sohn des wegen Beteiligung an einem Attentatsversuch 1943 kurz vor Kriegsende von den Nazis ermordeten Reichsgerichtsrats Hans von Dohnanyi, und Erich Vad, zuletzt Brigadegeneral und langjähriger militärpolitischer Berater der CDU/CSU, haben jüngst ein Gesprächsbuch verfasst.
Hatte von Dohnanyi noch ganz kurz vor dem Ausbrauch des akuten Ukraine-Krieges bei Beck ein viel kritisiertes Buch über „Deutsche Interessen“ veröffentlicht, so hat der über den Militärtheoretiker Carl von Clausewitz promovierte Vad in jüngster Zeit gleich zwei Bücher im Neu Isenburger Westend Verlag publiziert: „Abschrecken oder erschrecken? Europa ohne Sicherheit“ sowie „Ernstfall für Deutschland: Ein Handbuch gegen den Krieg“.
Von Dohnanyi muss zunächst dahingehend glaubwürdig erscheinen, als er gegen Kriegsende noch während seiner Zeit beim Reichsarbeitsdienst in Kriegshandlungen verwickelt wurde und im Übrigen nicht nur den Vater verlor, sondern auch das gesamte NS-Regime miterlebt hat. Vad wurde u. a. in den USA militärisch ausgebildet, während sich heutige Berufspolitiker zumeist dadurch auszeichnen, dass sie niemals für sie existenzielle Krisen erlebt haben und sich im übrigen gerne dem – wie es in Artikel 4 Abs. 3 und Art. 12 Abs. 2 GG heißt – „Kriegsdienst mit der Waffe“ entzogen haben. Insoweit fiel von Anfang des Ukraine-Krieges an immer wieder auf, dass – ob nun in der jeweiligen Kommunikationssituation passend, notwendig oder nicht – von journalistischen und politischen Kommentatoren fast stets auf die Völkerrechtswidrigkeit von „Putins Angriffskrieg“ hingewiesen wurde. Als wenn nicht jedem klar sein müsste, dass man souveräne Staaten nicht einfach militärisch besetzen darf. Wer aber selbst nie eine Uniform getragen hat, der mag es für wichtig halten, seiner diesbezüglichen vermeintlichen Kompetenz wortreich Ausdruck zu verleihen.
Dies vorausgeschickt, könnte man den Inhalt des Buches, das auf gut 140 Seiten ein von der vom Verlag gestellten Moderatorin nur sehr selten unterbrochenes Gespräch zwischen den beiden „Veteranen“, einfach durch die Zitate wiedergeben, die zu Beginn des Bändchens als eine Art Gliederung herangezogen werden.
Die beiden Gesprächspartner wollen im Kern eine Ausweitung des Ukraine-Krieges auf das übrige Europa verhindern, was unweigerlich die Führung des Krieges gerade auch in Deutschland bedeuten würde. Sie können das Verhalten des russischen Präsidenten Putin aus seiner eigenen Logik heraus nachvollziehen. Insoweit ist mehr als plastisch die von Erich Vad geschilderte Annahme, die er einmal mit einem amerikanischen Freund erörtert hatte, dass in Mexiko eine neue Regierung an die Macht käme, die gerne Mitglied der Eurasischen Union Putins werden und russische Militärstützpunkte und über Raketenstellungen am Rio Grande errichten möchte (S. 30 f.). Die Antwort des amerikanischen Freundes war natürlich, dass die USA in Mexiko einmarschieren würden. Und wer sich an die Kuba-Krise erinnert, wird sogleich finden, dass dies nicht nur die zufällige Annahme eines zufälligen Gesprächspartners in Amerika gewesen sein kann, sondern die Realität außenpolitischer Praxis in Geschichte und Gegenwart.
Donald Trump wird in seiner Ukraine-Politik gelobt, Joe Biden massiv kritisiert (Wie wir wissen, war die unflätige Bezeichnung Bidens durch Trump als „Sleepy Joe“ nicht ganz unzutreffend; er hätte vermutlich nie als Präsident kandidieren dürfen). Die auch im Hinblick auf den Ukraine-Krieg oft zitierte Domino-Theorie, die wir aus dem Vietnamkrieg kennen und die jetzt im Hinblick auf das Baltikum und Polen bemüht wird, halten die Autoren für unzutreffend. Hier wird man sicherlich differenzieren müssen, was etwa Moldawien und Georgien angeht. Aber in der Tat hätte Russland wohl kein Interesse daran, etwa Deutschland zu erobern. Denn hierzu müsste es entsprechend leistungsfähig sein, was bei der eigenen reproduktiven Kraft anfängt und mit überdehnten Frontlinien nicht endet. Interessant war auch, zu erfahren, dass die Ukraine den angestrebten NATO-Beitritt in ihrer Verfassung verankert hat – ein Schritt, der von den Gesprächspartnern mehrfach als schwerer Fehler markiert wird.
Es kann nun nicht der gesamte Inhalt des Bandes wiedergegeben werden. Natürlich sind die beiden nicht gegen eine Stärkung der Bundeswehr, sie plädieren aber immer wieder für mehr strategisches Denken der europäischen und deutschen Entscheidungsträger.
Interessant ist, was Vad aus seiner unmittelbaren Nähe zu Angela Merkel berichten kann und was die ob vieler ihrer Politiken zu recht kritisierte Merkel auch wieder in ein besseres Licht rückt. Auf dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest habe die Kanzlerin hinsichtlich der Frage einer NATO-Mitgliedschaft von Ukraine und Georgien gesagt, dass dies nicht in Frage komme (S. 37).
Von Dohnanyi fragt daraufhin, ob vielleicht die Proteste auf dem Kiewer Maidan (, die dann bekanntlich zu einer überwiegenden Westorientierung der Ukraine führten) etwas mit amerikanischer Beeinflussung zu tun haben könnten. Vad hält dies für möglich (und wir dürfen es auch für möglich halten, dass Ähnliches auch 1989 bei den Herbstdemonstrationen in der DDR so gewesen sein könnte, als man im Osten plötzlich westliche Deutschlandfahnen hatte, aber dafür brauchten die Westdeutschen die Amerikaner nicht, und das ist auch ein anderes Thema).
Alles in allem besteht zwischen den beiden Gesprächspartnern praktisch vollständige Einigkeit. Man kann auch nicht direkt erkennen, dass von Dohnanyi seit 1957 SPD-Mitglied ist und Vad 50 Jahre CDU-Mitglied war. Bei von Dohnayni kommen natürlich persönliche Erinnerungen an Willy Brandt und seine Ostpolitik zum Ausdruck. Aber beide teilen die Auffassung, dass man mit der anderen Seite reden muss und ihre Interessen antizipieren.
Mehrfach geht Vad auf Clausewitz ein, über den er promoviert hat. Er hat auch ein Buch über Carl Schmitt geschrieben, und zwar natürlich nicht über dessen staatsrechtliche Schriften. Schmitt wird zwar ein, zweimal erwähnt, nicht aber seine Schrift über die „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“, die auf einem Vortrag Schmitts an der Universität Kiel im Frühjahr 1939 beruht. Schmitt hat die Grundthese dieser Schrift nicht erfunden, sondern sie aus der Monroe-Doktrin des gleichnamigen US-Präsidenten James Monroe entnommen. Vad mag sich mit der Nennung des bösen Carl Schmitt bewusst zurückgehalten haben.
Nehmen auch wir nur die sachlichen Argumente, die zwei im Gegensatz zur Masse der an der öffentlichen Meinung Teilhabenden tiefgebildete Autoren in diesem Buch entwickeln, und denken wir daran, dass Waffenproduktion zwar notwendig ist, aber echten Wohlstand immer nur für Wenige schafft. Denken wir lieber an den Frieden.
Und vielleicht sollte man die früheren Arbeiten der Diskutanten dann doch einmal lesen.
P.S.: Es ist erstaunlich, welch bellizistische Allianzen sich in der deutschen Innenpolitik namentlich der „Ampel-Jahre“ gebildet haben – teilweise von Menschen, die vielleicht nicht den erwünschten „Posten“ bekommen hatten – ein Phänomen, das wesentlich auf die totale Überdehnung des Deutschen Bundestages zurückzuführen ist, die – wie sinngemäß vor Jahren schon über 100 Staatsrechtslehrer in einem offenen Brief darstellten, nicht mehr angemessen ist.
Klaus von Dohnanyi / Erich Vad
Krieg oder Frieden – Deutschland vor der Entscheidung
Westend Verlag 2025
144 Seiten; 20,00 Euro
ISBN: ISBN 978-3-9879133-6-5