Große Justament-Debatte über das Besprühen unserer Städte
Seit Jahrzehnten sind sie aus unseren Großstädten nicht mehr wegzudenken: die Graffiti, also die Besprühungen von Flächen mit Farbe aus Sprühdosen, zumeist anonym und ohne Genehmigung oder Einverständnis der betroffenen Eigentümer.
Die einen lieben sie, die anderen hassen sie. Kaum jemand, der ihnen gleichgültig gegenüber stünde.
Schon zur Legende geworden ist die Auseinandersetzung vor zwölf Jahren innerhalb der damaligen Bundesregierung zwischen Innenminister Otto Schily (SPD) und dem grünen Fraktionsvorsitzenden Fritz Kuhn um die Verschärfung des Sachbeschädigungsparagrafen 303 StGB, die letztlich zur Ausdehnung der Strafbarkeit auf das „Erscheinungsbild einer Sache“ führte. Als Fritz Kuhn die Graffiti mit dem Ausruf verteidigte „Aber Otto, das ist doch Kunst!“ antwortete ihm Schily wütend: „Das ist keine Kunst, das ist eine Krankheit!“ Später ließ er die Berliner Polizei Hubschraubereinsätze gegen Graffiti-Sprayer fliegen.
Seitdem hat sich der Konflikt zwischen Anhängern und Verächtern des Graffiti-Sprühens eher noch verschärft. Während sie in der öffentlichen Meinung unverändert vor allem als Form des Vandalismus betrachtet werden, erzielen Sprühwerke auf den internationalen Kunstmärkten längst Preise von bis zu 1,87 Millionen Dollar. Auf Immobilienseiten preisen Wohnungsvermieter und -verkäufer ihre Wohnungen in Berlin inzwischen als „mit original Street Art an der Hausfassade“ an. Und ein anonymer Graffiti-Künstler beschwerte sich unlängst in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung über die Undankbarkeit und das Banausentum so mancher Immobilien-Eigentümer, die die Aufwertung ihrer Gebäude durch Graffiti-Sprühwerke nicht zu würdigen wüssten und sie sogar hartnäckig von den Fassaden entfernten.
Inhaltlich bestehen wohl die meisten Sprühwerke aus rätselhaften Abkürzungen, die in der Regel auf die Identität ihrer Urheber schließen lassen. Vor Jahren befragte ich meinen Nachhilfeschüler, der sich in der Szene gut auskannte, hierzu und erhielt die Antwort: OMG steht für Original Moslem Gangster, OBG bedeutet Original Berliner Gangster, DC heißt Dizz Clan, PLC steht für Punch Line Records und BC für Berlin Crime.
Die Kosten, die jährlich im Zusammenhang mit der Entfernung und Vorbeugung vor illegal angebrachten Graffiti entstehen, werden auf ca. 500 Millionen Euro geschätzt.
Was folgt nun daraus für uns Juristen? Ist der § 303 StBG überhaupt noch zeitgemäß? Sollte er angesichts der immensen Schäden des Graffiti-Sprühens für die Allgemeinheit im Strafmaß verschärft oder doch lieber wegen des von Experten einwandfrei bestätigten Kunstcharakters der meisten Sprühwerke wieder entschärft werden? Müssen wir uns gegenüber den Touristen wegen der Verwahrlosung unserer Innenstädte schämen oder leisten die Graffitis sogar einen Beitrag dazu, dass unsere Hauptstadt gerne als „aufregendste Stadt der Welt“ bezeichnet wird? Eure Meinung ist gefragt, liebe Leserinnen und Leser!
Die Redaktion
Unter dem Deckmantel der Kunst breitet sich hier der nackte Vandalismus aus. Die klassische Kunst-Definition stammt noch immer von der Romanfigur Karl Schmidt aus dem Roman „Der kleine Bruder“ von Sven Regener: „Wenn du was machst und sagst, das ist Kunst. Und du findest jemand, der dir das glaubt und dir das abkauft. Dann ist das Kunst.“ Nach diesem Kunstbegriff, der allen juristischen Kunstbegriffen überlegen ist, fallen 99 Prozent der Sprühwerke aber nicht darunter. Potentielle Kunst ist überhaupt nicht schützenswert! Also weg mit den Graffitis, außer in Szenebezirken, die in einem formalen Verfahren eigens als solche deklariert und von der Strafverfolgung ausgenommen werden müssten. Höhere Geldstrafen sind allerdings sinnlos, weil die Täter ohnehin entweder minderjährig oder arm sind.
Die Graffiti sind mir egal.
Kunst kann nicht allgemein definiert werden, Kunst definiert sich selbst. Ob ein Graffiti Kunst darstellt, lässt sich folglich nicht allgemein sagen. Ich glaube auch nicht, dass es darum geht. Es ist doch vielmehr entscheidend, dass durch die Graffitis häufig fremdes Eigentum beeinträchtigt wird. Solange dies nicht geschieht, können die Graffiti-Sprayer ihre EIGENEN Hauswände und S- Bahnzüge so vollsprühen, bis ihre Lunge bunt ist!
Ich denke, man muss eine Unterscheidung treffen: es gibt zum einen sehr schöne Graffiti-Darstellungen. Diese sind detailiert gesprüht und zeigen schöne Motive. Zum anderen gibt es aber auch einfach nur sinnloses Geschmiere an Hauswänden, das alles andere als schön zu bezeichnen ist. Es gibt Flächen, die speziell für Graffiti gedacht sind; da können sich die „Künstler auch austoben. Aber an Hauswänden müssen sie nicht sein. Von daher finde ich, man sollte Graffiti an Privatgebäuden (Eigentum, Miethäuser etc.) unter Strafe stellen (außer es wurde ausdrücklich vom Eigentümer genehmigt), sei es als Verschärfung des §303 StGB, sei es als eigener Tatbestand.
Graffitis sind einfach nur unschön und eine fragwürdige Freizeitbeschäftigung für Schüler, die fehlenden Nachtschlaf morgens im Unterricht nachzuholen pflegen….
Hier in Berlin ist es eher so, dass die Graffiti-aktiven Schüler erst gar nicht mehr zum Unterricht erscheinen… Aber trotzig heißt es in einem Graffito am U-Bahnhof „Platz der Luftbrücke“: „Det is Kunst“. Na immerhin ein Teil der Touristen freut sich dran. Und es ist gut für die Chemie-Industrie, die Hersteller von Farben und Farbentfernungsmitteln. Sichert Arbeitsplätze in Süddeutschland. Nur ökologisch ist das ganze natürlich ein Desaster.
Es steckt zwar nicht in jedem Sprayer ein kleiner Banksy. Aber: in dubio pro arte! Und was darf die Kunst? Alles.