Heribert Ostendorf gibt einen Gesamtüberblick heraus
Matthias Wiemers
Der bekannte Strafrechler Heribert Ostendorf, früherer Generalstaatsanwalt in Schleswig-Holstein, vollendet in diesem Jahr sein achtes Lebensjahrzehnt. Auch wenn die Amtszeit als „General“ schon fast dreißig Jahre zurückliegt, dürfte Ostendorf bis heute die bekannteste Figur sein, die eine solche Person jemals ausgefüllt hat – sieht man einmal von Fritz Bauer zwei Jahrzehnte vorher und in Frankfurt ab.
Ostendorf ist nun Herausgeber eines Werks, das nicht zuletzt für den Bereich der Sozialen Arbeit eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Denn dort, wo das Jugendamt in der Jugendgerichtshilfe tätig ist, müssen sie sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen des Jugendstrafvollzugs in ihrem Bundesland informieren (umgekehrt kommt übrigens der Begriff der Jugendgerichtshilfe im Band nur einmal vor: § 7, Rdnr. 7, aber das ist unschädlich für die vorstehende Aussage).
In inzwischen vierter Auflage hat Ostendorf ein Handbuch herausgegeben, das eine „kommentierte Darstellung der Landesgesetze zum Jugendstrafvollzug“ beinhaltet, aber nicht zu jedem Landesrecht ein eigenes Kapitel enthält, sondern vielmehr in insgesamt 13 Kapiteln das Rechtsgebiet nach logischen Gesichtspunkten unterteilt. Dabei hat der Herausgeber an sechs Kapiteln zumindest mitgewirkt und damit den größten Einzelbeitrag erbracht. Auch „Vorbemerkungen“ stammen von ihm, worin er die historische Entwicklung des Jugendstrafvollzugs darstellt und zudem rechtsvergleichende Blicke auf die internationale und europäische Ebene wirft. Verfassungsrechtliche Vorgaben werden von einer ausführlichen Darstellung des Jugendstrafvollzugs in der Praxis – u. a. anhand verschiedener Übersichten mit Zahlenmaterial – ergänzt. Weitere Themen sind die Deliktsstruktur, der Anteil von Gefangenen im offenen Vollzug und Übersichten über Vollzugslockerungen und Hafturlaub, Haftdauer, die psycho-soziale Situation der Gefangenen, das Anstaltsklima, und das Thema Rückfälligkeit. Abschließend werden alle Jugendstrafvollzugsanstalten in Deutschland mit vollständiger Anschrift aufgeführt.
Diesen ausgezeichneten Vorbemerkungen gehen schon eine sehr ausführliche Gesamtgliederung wie auch ein sehr umfangreiches Literaturverzeichnis voran, das keine Wünsche hinsichtlich weiterführender Literatur offen lässt.
„Grundlagen“ (§ 1) legt Ostendorf im ersten eigentlichen Kapitel, wo eine Übersicht über alle gesetzlichen Grundlagen auch der Bundesländer gegeben wird. Hier finden wir bereits einen Gesamtüberblick über die Elemente des Jugendstrafvollzugs. Im zweiten Kapitel (§ 2) gibt Ostendorf einen Überblick über die „Vollzugsplanung“.
Bill Borchert und Joachim Walter zeigen auf, was hinsichtlich „Unterbringung und Versorgung“ der Gefangenen heute zu beachten ist und spiegeln dies auch an der geschichtlichen Entwicklung – wie übrigens auch die übrigen Kapitel immer wieder Vergleiche mit früheren Entwicklungen und „Zuständen“ vornehmen. Ein wichtiges Thema, das möglicherweise noch nicht ausreichend in der Gesellschaft bekannt ist, sind Bildungsfragen, die von der schulischen über die berufliche Bildung bis hin zur Arbeit und ihrer Vergütung gehen (§ 4) Nathalie Willsch zeigt, welche Regelungen die einzelnen Bundesländer hierzu gefunden haben und was darüber hinaus zu beachten ist.
Auch „Freizeit, Medien, Sport“ (§ 5) kommen im Jugendstrafvollzug vor, was uns Susan Vogel darlegt. Herausgeber Ostendorf präsentiert die rechtlichen Vorgaben für die „Religionsausübung“ (§ 6), bevor Kirstin Drenkhahn, Philipp Walkenhorst, Stefanie Roos und Anne Kaplan die Möglichkeiten von „Außenkontakte(n) (§ 7) aufzeigen. Jochen Goerdeler stellt dar, welche Anforderungen an „Sicherheit und Ordnung“ (§ 8) im Jugendstrafvollzug zu stellen sind, und Ostendorf legt dar, unter welchen Voraussetzungen „Unmittelbarer Zwang“ (§ 9) anwendbar ist, um eben jene Sicherheit und Ordnung wieder herzustellen. Gemeinsam mit Frank Guido Rose zeigt er sodann die Möglichkeiten erzieherischer Maßnahmen und Disziplinarmaßnahmen im Vollzug auf, und dieselben Autoren präsentieren im elften Kapitel „Rechtsmittel“ (§ 11), worunter die Möglichkeiten des jugendlichen Strafgefangenen gegen „vollzugliche Gestaltungsentscheidungen“, darunter Disziplinarmaßnahmen – sowie gegen ihre Unterlassung gerichtlichen Rechtsschutz zu suchen. Viktoria Bunge, Lorenz Frahm und Jochen Goerdeler behandeln das wichtige Thema „Datenschutz und kriminologische Forschung“ (§ 12) – zumal der Jugendstrafvollzug seit langem von besonderem kriminologischen Forschungsinteresse begleitet wird. Der Band schließt mit einem Kapitel über „Organisation“ (§ 13), worin Bill Borchert und Joachim Walter nicht nur rechtliche Aspekte einer Organisation von Jugendstrafvollzugsanstalten aufzeigen.
Alles in allem bildet der Band ein unentbehrliches Standardwerk, das nicht zuletzt in der Sozialen Arbeit Verwendung finden wird, mehr noch aber in den Kernprofessionen des Strafvollzugs wie in der Anwaltschaft.
Heribert Ostendorf (Hrsg.)
Jugendstrafvollzugsrecht
Nomos Verlag, 4. Auflage 2022
689 Seiten; 98,00 Euro
ISBN: 978-3-8487-7124-0