Balsam für die Juristen-Seele?

Der Karriere Ratgeber „Du bist großartig“ von Meike Müller

Katharina Stosno

lit-stosno-grosartig-coverDu bist großartig – diesen Satz hört man besonders als Jurist äußerst selten. Als Jurastudent schon gar nicht, denn da regnet es regelmäßig keine 18 Punkte. Und als Rechtsanwalt, Richter oder Staatsanwalt hat man ebenfalls oft genug allein das Recht auf seiner Seite. Die gegnerische Partei wird höchstens „na großartig“ stöhnen oder jubeln und die eigenen Mandanten überschütten den Anwalt nicht unbedingt mit Lob; auch nicht im Fall des Erfolgs, denn der wird ja überwiegend vorausgesetzt. Du bist großartig – kann man das auch vom Buch mit dem gleichnamigen Titel sagen?
„Den inneren Kritiker loswerden und im Job durchstarten“ lautet Untertitel und Zielsetzung. Auf 189 Seiten und in 10 Kapiteln versucht die Autorin dem Leser Strategien zu vermitteln, um die innere negative Stimme – liebevoll „Icke“ genannt – mundtot zu machen. Ist dies etwa eine Aufforderung zum Totschlag? Nein, keine Sorge, hier wird lediglich zur einer für den Leser höchstwahrscheinlich straffreien Freiheitsberaubung aufgerufen. Mit, alle Achtung, 30 sogenannten „Icke-Knebel-Tricks“ soll es möglich sein, den inneren Kritiker in seine Schranken zu weisen. Vom „Eigenlob“ über „einen Erfolgsfilm drehen“ bis hin zu „seinem Herzenswunsch folgen“ oder „sich eine Auszeit nehmen“ ist alles dabei, was zu einer positiven Grundhaltung führt, die einen wiederum sowohl privat als auch beruflich leichter durchs Leben schreiten lässt. Die Autorin gibt Tipps quer durch den Gemüsegarten und vergisst dabei leider, dass zu viel Saatgut auf einem Fleck trotz fruchtbarem Boden nicht immer zu einer blühenden Ernte führt.
Das Buch ist aufgrund seines lockeren Schreibstils leicht zu lesen; teilweise wäre ein ernsthafterer Tonfall passender gewesen, vor allem, weil sich beides ja nicht unbedingt ausschließt. Die Autorin überzieht die Darstellung der inneren Stimme und treibt so manche Formulierung auf die Spitze. Dadurch riskiert sie natürlich, dass nicht jeder Leser sich mit dem „Icke“ der Autorin identifizieren kann und sich angesprochen fühlt. Vielleicht sind für ein solches Werk aber auch einfach juristische Lebewesen nicht die beste Zielgruppe – obwohl sie es, wie zuvor beschrieben, eigentlich nötig hätten. Doch der Jurist ist ja bekanntlich von Natur her ein eher kritischer Kandidat, was vermutlich auch verhindern wird, dass er sich dieses Buch zur Hand nimmt, da ihm „Icke“ zuflüstert „Das brauchst du doch nun wirklich nicht!“
Dieses Buch ist vielleicht keine Hühnersuppe für die Seele, aber wer sich noch nie zuvor Gedanken über positive Gedanken gemacht hat, dem sei mit bestem Gewissen und einem geknebeltem Icke diese durchaus schmackhafte Gemüsesuppe zu empfehlen.

Meike Müller
Du bist großartig. Den inneren Kritiker loswerden und im Job durchstarten
Stark Verlagsgesellschaft München 2011
200 Seiten, EUR 14,95
ISBN-10: 3866684827

Veröffentlicht von on Jun 20th, 2011 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

1 Antwort for “Balsam für die Juristen-Seele?”

  1. Ich bin zwar kein Jurist, diese Vorgehensweise (Knebeln, Loswerden) kommt mir aber arg ungerecht vor; zumal der „innere Kritiker“ ja ein lebendiger Teil von mir ist.
    Wenn ich mir folgende Punkte vor Augen führe, würde ich vielleicht einen anderen, empathischen und interessierten Umgang mit innerer Kritik wählen:
    – Der innere Kritiker ist selbst ängstlich, voller Sorge, vermutet das Schlimmste (z.B. Bewertung, Verurteilung)
    – Der innere Kritiker fühlt sich selbst in der betreffenden Sache hilflos, und greift deshalb zu heftigen Mitteln
    – Der innere Kritiker kommunizieren unbeholfen: Anstatt „Ich mache mir sorgen, dass du schlecht bewertet wirst“ sagt er oder sie: „So wie du drauf bist wirst du auf jeden Fall schlecht bewertet werden“
    – Der innere Kritiker hat gute Absichten: Warum sonst sollte er/sie so vehement und chronisch warnen, kritisieren – bei all der ungehörten Sorge und Hilflosigkeit?

    Denn sonst starte ich zwar „durch“ … bin aber ständig davon abhängig, die Gefühle innerer Sorge, Ängste und Hilflosigkeit zu ignorieren.

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