Eine Frage der Staatsräson

Mit ihrem Krieg gegen den internationalen Terrorismus folgen die USA einem historischen Vorbild: Schon in der Antike kämpften die römischen Feldherren Gnaeus Pompeius und Julius Cäsar erfolgreich gegen die Piraten – und schufen damit die Grundlagen für Stabilität und Wohlstand

Benedikt Vallendar

recht-historisch-vallendar-caesar1Rom / Washington – Mit seiner Rede vom 30. Januar 2002 hatte der damalige US-Präsident George W. Bush den Startschuss für eine neue Phase im Kampf gegen den internationalen Terrorismus gegeben. „Unser Krieg gegen den Terror hat gerade erst begonnen“, verkündete er vor dem amerikanischen Kongress. Gleichzeitig nannte der Präsident jene, die er für die Hauptschuldigen des Terrors hält: Irak, Iran und Nordkorea wurden von Bush sinnbildlich als die „Achse des Bösen“ bezeichnet.

In historischer Hinsicht können die Amerikaner in ihrem Feldzug gegen die so genannten „Schurkenstaaten“ auf ein Vorbild verweisen, das in der abendländischen Geschichte seines Gleichen sucht – und sich am Ende als Sieg der Staatsräson über das Böse zum Nutzen aller Bürger erweisen sollte: Der Krieg des römischen Feldherrn Gnaeus Pompeius (106 – 48 v. Chr.) und seines innenpolitischen Widersachers Julius Cäsar (100 – 44 v. Chr.) gegen die Piraten. Beide, Pompeius und Cäsar, entstammten dem römischen Adel, der Nobilität. Traditionell teilten die Angehörigen dieser Schicht, insgesamt waren es sechzehn Familien, alle wichtigen politischen Ämter in der römischen Republik unter sich auf. Schon seit dem Ende des dritten Jahrhunderts vor Christus hatten Piraten den Mittelmeerraum terrorisiert und die gerade erst im Entstehen begriffene römische Republik politisch und wirtschaftlich das eine ums andere Mal auf eine harte Probe gestellt. Die Seeräuber hatten nach dem Verfall der griechischen Stadtstaaten auf Kreta sowie an Kleinasiens buchtenreicher Küste, in Kilikien, feste Raubburgen errichtet. Sie plünderten römische und phönizische Handelsschiffe, überfielen Warentransporte auf den Küstenstraßen und betrieben einen blühenden Menschenhandel, der durch die große Nachfrage Roms nach Sklaven noch befördert wurde. Einige römische Strafexpeditionen in das östliche Mittelmeer hatten nur kurzfristige Teilerfolge gebracht. An seiner östlichen Peripherie war das junge römische Imperium im ersten vorchristlichen Jahrhundert noch stark gefährdet.

Unterschiedliche Quellenlage
Der Kampf Cäsars gegen die Piraten ist in den antiken Quellen nur dürftig und anekdotenhaft dokumentiert. Hingegen ist die Quellenlage im Fall des Pompeius solide. „Pompeius führte keinen `normalen` Krieg gegen einen fremden Staat, sondern gegen eine nichtstaatliche, gleichwohl gut organisierte Gruppe, die im Mittelmeer operierte“, beschreibt Professor Ernst Baltrusch, Ordinarius für Alte Geschichte an der FU Berlin, die außenpolitische Situation Roms zur Zeit der Republik. Ähnlich wie heute war das Problem auch bei den Römern hausgemacht. „Im  zweiten Jahrhundert vor Christus dienten Piraten Rom als Hilfsmittel in der Auseinandersetzung mit gegnerischen hellenistischen Staaten“, sagt Baltrusch. „Sie waren, wie wir bei dem römischen Historiker Strabon lesen können, ein probates Mittel, um den Gegner zu schwächen.“ Aus diesem Grunde hatten es die römische Nobilität, aus der sich der Senat, die  Machtzentrale der römischen Republik, rekrutierte, und der im Handel engagierte Ritterstand (ordo equester) lange Zeit unterlassen, etwas gegen die Piratenplage zu unternehmen. Auch innenpolitische Gründe spielten dabei eine Rolle. So mancher römische Adelige sah es nicht ungern, wenn die mächtigen ritterständischen Wirtschaftsunternehmen Probleme hatten. Viele der aus einem ritterlichen Manufakturbetrieb stammenden Transporte fielen den Piraten als Beute in die Hände.

Eigener Wohlstand bedroht
Wirklich aktiv wurde Rom erst, als die Piraten nicht nur an Zahl erheblich zunahmen, sondern Italien und – über den Hafen Ostia – sogar Rom selbst, seine Führungsschicht und seine Versorgung bedrohten. Der spätere Eroberer Galliens, Julius Cäsar, geriet 75 vor Christus selbst in die Fänge der Piraten, die ihn entführten und gegen ein Lösegeld freiließen. In seiner Rede vor dem Senat im Jahre 66 vor Christus aus Anlass der Verleihung des Oberbefehls an Pompeius berichtet Cicero über den Vorfall.

Wie die amerikanische Regierung heute, so betrieb auch der römische Senat im Jahre 67 vor Christus große Rüstungsanstrengungen, die alles bis dahin Dagewesene übertrafen. Pompeius erhielt per Volksgesetz, der lex Gabinia, die sich nach dem damaligen Volkstribunen Gabinius benannte, umfassende Vollmachten. Auch Cicero, der als konservativer Politiker zu den Anhängern der Republik zählte und jeder Sondervollmacht für einen Einzelnen misstraute, votierte bei der Abstimmung im Senat  ausnahmsweise für das Gesetz. Entgegen der römischen Verfassung erhielt Pompeius darin über einen Zeitraum von drei Jahren nahezu unumschränkte Weisungsbefugnisse im gesamten Reichsgebiet, ein so genanntes „Imperium maius“. Inbegriffen waren, so berichtet uns der griechische Historiker Appian (132 v.Chr. – 63 v.Chr.), „alle Meere diesseits der Säulen des Herakles“ (Gibraltar) mit einem Küstenstreifen von zirka 75 Kilometern. Überall durfte Pompeius Truppen ausheben. Die Höchstgrenze lag bei 20 Legionen zu je 6000 Mann und 500 Schiffen. Dazu sollten dem Imperiumträger 15 Legaten eigener Wahl unterstellt werden, die jeweils über eigene Kommandos, so genannte „proprätorische Imperien“ verfügten.

Mit den Sondervollmachten für Pompeius wurden bis dahin gültige Verfassungsprinzipien der römischen Republik außer Kraft gesetzt. Die filigrane Machtstruktur der Republik stand vor einer Wende. Angesichts der zunehmenden Gefahr sah sich der Senat gezwungen, Einzelpersönlichkeiten, wie Pompeius und Cäsar, die ihr strategisches Können unter Beweis gestellt hatten, mit militärischer Macht auszustatten. Das Ziel war die Abwehr der Piraten. „Doch in der Konsequenz wurde damit die Grundidee der römischen Republik, die Gleichheit der aristokratischen Führungsschicht und der Schutz vor persönlicher Allmacht, zu Grabe getragen“, sagt Baltrusch. In der Folgezeit lag das Schicksal Roms in Händen von Führern, die ihre militärischen Erfolge für eigene innenpolitische Machtinteressen instrumentalisierten. Die Konturen des römischen Kaisertums im ersten Jahrhundert nach Christus zeichneten sich bereits ab.

Die Organisation der Piraten war supranational, auch wenn ihr Schwerpunkt in Kilikien, im Süden der heutigen Türkei, lag. Sie kooperierten mit Rom-feindlichen Regierungen, wie Sertorius in Spanien oder König Mithridates von Pontus. Sie nutzten alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, um die Militärmacht Roms ins Leere laufen zu lassen und ihre eigenen Lebensgrundlagen zu sichern. Sie hatten keine ideologischen Konzepte. Doch die Ablehnung römischer Herrschaft traf sich mit einer weitverbreiteten antirömischen Stimmung gegen Habgier, Weltherrschaftsstreben, Ausbeutung und Eigensucht. Insofern verkörperten die Piraten, die als Begriff in römischen und griechischen Quellen gleichermaßen auftauchen, das Bestreben, ein Leben außerhalb des römischen Reiches zu führen. Schlüssige Informationen über die Struktur des antiken Terrornetzes gibt Appian in seiner Schrift über König Mithridateios in den Kapiteln 92 bis 96.

Rascher Sieg
Innerhalb von nur drei Monaten gelang es Pompeius, die Piraten zu besiegen. Fast fünfhundert Jahre sollten die Seewege im Mittelmeer damit sicher sein. Dessen ungeachtet suchte Rom auch nach einer globalen Lösung, um das Problem der Piraten in den Griff zu bekommen. Die Verbündeten und abhängigen Klientelstaaten wurden zu Tributleistungen herangezogen. Rom kämpfte nicht mit eigener Flotte, sondern führte die Schiffe und Truppen der Alliierten an. Der Krieg gegen die Piraten wurde nicht nur in den Hochburgen der Seeräuber geführt. Er umfasste den gesamten Mittelmeerraum. Wer Seeräuber unterstützte oder ihnen Unterschlupf gewährte, wurde von Rom kriminalisiert. Spanien, Italien, Afrika, Asien und Griechenland waren Schauplätze einer einzigartigen Raumerfassung in der pompeianischen Strategie. Zu diesem Zweck ließ der Feldherr das Mittelmeer in Planquadraten vermessen. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Der Mittelmeerraum wurde von den Römern systematisch nach Schlupfwinkeln durchsucht. Und der Erfolg sollte ihnen recht geben: Im Jahre 67 vor Christus waren die Piraten besiegt. Pompeius wurde in Rom mit einem Triumph empfangen.

Gleichzeitig nutzte er den Sieg, um den Osten des römischen Imperiums politisch neu zu ordnen. Die politische Lösung wird von allen antiken Quellen als besonders weitsichtig und klug beschrieben. Allen voran der griechische Historiker Plutarch (46-123 n. Chr.) in seiner Biographie über Pompeius (Kapitel 24 bis 29). Pompeius Bestreben war darauf angelegt, die Piraten, soweit sie willig und bereit waren, zu integrieren und nur den harten Kern zu bekriegen. Das gelang innerhalb weniger Monate. Die meisten von ihnen wurden anschließend in Kilikien angesiedelt und mutierten zur Klientel des Pompeius, auf die er in der nachfolgenden Auseinandersetzung mit Cäsar bauen konnte.

Pompeius  setzte also nicht auf Abschreckung durch Misshandlung und Strafgerichte. Sein Bestreben war es vielmehr, sie als fehlgeleitete und besserungsfähige Bürger wieder in die römische Ordnung zu integrieren.  Die Autorität Roms in den östlichen Provinzen wurde dadurch gestärkt, innere Konflikte blieben in der Folgezeit aus.

Politische Neuordnung Roms
Pompeius’ Ehrgeiz und seine militärischen Erfolge hatten ihn gleichzeitig von seinen adeligen Standesgenossen entfremdet. Sie fürchteten, er könne, wie dies Cäsar später nach der Eroberung Galliens getan hat, seinen Ruhm nutzen, um sich zum Alleinherrscher zu machen. Nach seiner Rückkehr hatte sich in Rom eine starke Opposition gegen Pompeius gebildet, die er sich nur mit Hilfe Cäsars vom Leib halten konnte. Die Verbindung zu Cäsar war für Pompeius und die politische Entwicklung der Republik von großer Bedeutung. Nachdem Cäsar keinen Hehl mehr aus seinen Plänen zur Errichtung einer Monarchie machte, geriet Pompeius in Opposition zu ihm. Und gleichzeitig in Abhängigkeit von den Anhängern der Republik, den so genannten „Optimaten“, die sich, von lateinisch „optimus“ (der, das Beste) für die vermeintlich „besseren“ Politiker hielten.  Am Ende sollten seine strategischen Fähigkeiten jedoch nicht ausreichen, um die Republik vor der Diktatur Cäsars zu bewahren. Im Jahre 48 vor Christus unterlag Pompeius in der Schlacht bei Pharsalos in Griechenland den Truppen seines Widersachers, der ihn anschließend ermorden ließ.

Obwohl Pompeius seine militärische Kommandogewalt nach seiner Rückkehr nach Rom freiwillig in die Hände von Senat und Volk zurücklegt hatte, war der Sieg über die Piraten von überragender historischer Tragweite: Auf den ersten Blick war der alte verfassungsmäßige Status der Republik wieder hergestellt. Der Senat schien das Zepter noch immer in der Hand zu halten. Doch hatte der Erfolg des Pompeius gezeigt, dass die römische Republik, die  über Jahrhunderte auf Ämterteilung und familiären Bindungen basiert hatte, langfristig nicht  überlebensfähig war. Fortan sollte das Schicksal Roms in den Händen von Einzelpersönlichkeiten liegen, die allein aufgrund ihrer Macht und Autorität für Frieden im Innern und Sicherheit nach Außen garantieren konnten. Damit waren gleichzeitig auch die Grundlagen für wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand gelegt. „Mit dem Sieg über die Piraten sollte sich mittelfristig eine neue Ordnung in der antiken Welt anbahnen“, stellt Ernst Baltrusch fest. „Ohne die militärische und vor allem politische Lösung des Seeräuberproblems wäre der Prinzipat des Augustus, dem Adoptivsohn Cäsars, und die Blüteepoche der römischen Kaiserzeit kaum denkbar gewesen“, sagt Baltrusch.

Veröffentlicht von on Jul 18th, 2011 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

Hinterlassen Sie einen Kommentar!