„Die gläserne Decke existiert anscheinend weiterhin“

Ein Gespräch mit der Familienrichterin Dr. Sandra Fink

Familienricherin Dr. Sandra Fink (Foto: Martina Weber)

Familienricherin Dr. Sandra Fink (Foto: Martina Weber)

 

Dr. Sandra Fink, Jurastudium in Frankfurt am Main, Referendariat in Darmstadt, Promotion zum Kindeswohl nichtehelicher Kinder, seit Sommer 2006 Familienrichterin, zuletzt wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht, derzeit in Elternzeit. Mitglied der Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstags.

JUSTAMENT: Im Familienrecht treffen argumentative Rationalität und Hochemotionales zusammen. Waren Sie gleich im Studium vom Familienrecht begeistert?

DR. SANDRA FINK: Ich bin ich erst gegen Ende des Studiums dazu gekommen. Auslöser war ein Seminar bei Herrn Prof. Dr. Simitis, der mit großer Begeisterung aufgezeigt hat, dass das Familienrecht lebendig, juristisch abwechslungsreich und sehr anspruchsvoll ist. Ferner kann ein Fall im Familienrecht nur im Zusammenspiel mit anderen Disziplinen wie der Psychologie angemessen erfasst werden. All das zusammen macht den Reiz dieses Rechtsgebiets aus.

JUSTAMENT: Was bekommen Sie davon als Richterin mit? Wären Sie nicht als Anwältin näher an der Sache dran?

DR. SANDRA FINK: Als Anwältin kann man einen Fall von Beginn an begleiten und damit schon in einem früheren Stadium als eine Richterin dazu beitragen, einen bestehenden Konflikt zu beseitigen. Für mich als Richterin steht die unparteiische Betrachtung und Lösung des Konflikts im Vordergrund.

JUSTAMENT: Um Entscheidungen zum Sorge- und Umgangsrecht zu treffen, führen Sie als Richterin auch Einzelgespräche mit Kindern. Wie bauen Sie eine vertrauensvolle Atmosphäre auf?

Dr. SANDRA FINK: Ich versuche den Kindern das Gefühl zu geben, dass ich ihnen und ihrer Familie in dieser schwierigen Situation helfen möchte. Und ich nehme die Kinder – egal wie alt sie sind – ernst! Ich erkläre ihnen – vor allem zu ihrer eigenen Entlastung – gleich zu Beginn, dass sie selbstverständlich ihre Wünsche äußern können, aber nicht sie oder ihre Eltern, sondern ich am Ende entscheiden werde.

JUSTAMENT: Welche weiteren Fähigkeiten außer den üblichen fundierten juristischen Fachkenntnissen erfordert die Tätigkeit als Familienrichterin?

DR. SANDRA FINK: Ein besonderes Einfühlungsvermögen, Spaß am Umgang mit Kin-dern, einen langen Atem und die Fähigkeit, nicht alles an sich heranzulassen. Letzteres ist gerade in schwierigen Sorgerechtsfällen, in denen es vielleicht auch um die Frage eines Sorgerechtsentzugs geht, nicht einfach.

JUSTAMENT: Gibt es etwas, was Sie bei Ihrer Arbeit als Familienrichterin überrascht hat? Oder ein einprägsames Erlebnis, an das Sie sich noch lange erinnern werden?

DR. SANDRA FINK: Überrascht hat mich, wie viele Verfahrensbeteiligte doch vor Gericht ziehen, ohne vorher miteinander das Gespräch gesucht zu haben. Ein Beispiel dafür, dass Kinder etwas Wunderbares sind: Nach einer langen Anhörung fragte mich ein 8-jähriges Mädchen, ob sie mir eine letzte Frage stellen könne: „Bist Du eigentlich schon 18?“ (lacht).

JUSTAMENT: Immer weniger Paare, die Kinder bekommen, entschließen sich zur Heirat. Andererseits nehmen junge Frauen, die heiraten, oft wie selbstverständlich den Nachnamen ihres Freundes an. Wie sieht es – nach Ihren beruflichen Einblicken ins Familienleben – derzeit aus mit der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern?

DR. SANDRA FINK: Eine tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern ist nach wie vor nicht erreicht, was man schon daran sieht, dass zwar sehr viele hochqualifizierte Frauen in das Berufsleben einsteigen, dies sich aber in den höheren Leitungsebenen bei weitem nicht angemessen widerspiegelt. Die gläserne Decke existiert anscheinend weiterhin, und ich kann nicht glauben, dass das daran liegt, dass die meisten Frauen angeblich andere Vorstellungen vom Leben hätten als Männer. Viele berufliche Pläne von Frauen scheitern ja schon an der mangelhaften Betreuungssituation für Kinder unterhalb des Kindergartenalters. Und in der Regel steckt in solchen Fällen nicht der Mann, sondern die Frau zurück. Auch ist es doch bemerkenswert, dass ein Vater dafür Anerkennung bekommt, wenn er zwei Vätermonate nimmt, während es bei Müttern als Selbstverständlichkeit angesehen wird, wenn sie wegen eines Kindes zu Hause bleiben.

JUSTAMENT: Sie sind in Dresden aufgewachsen und leben seit Ihrem Abitur in Frankfurt am Main. Sind die Ost-Frauen so tough, weil es für sie seit Jahrzehnten selbstverständlich ist, ihre Babys in die Kita zu bringen, während die West-Frauen jahrzehntelang eher nach dem Modell des väterlichen Familienernährers gelebt haben?

DR. SANDRA FINK: Ich glaube nicht, dass Frauen im Osten tougher sind als im Westen. Es fällt aber schon auf, dass es im Osten nach wie vor selbstverständlicher scheint, dass eine Frau bald nach der Geburt eines Kindes wieder beruflich tätig ist.

JUSTAMENT: Wo sehen Sie im Familienrecht derzeit den größten Reformbedarf?

DR. SANDRA FINK: Im Pflegekinderwesen. Die bestehenden Regelungen sind für alle Beteiligten, also das Kind, die Eltern, die Pflegeeltern und das Jugendamt, unbefriedigend, weil die Zugehörigkeit des Kindes für lange Dauer ungewiss bleibt. Hier eine Lösung zu finden, kommt allerdings dem Zerschlagen des Gordischen Knotens gleich.

JUSTAMENT: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Martina Weber.

www.fixpoetry.com/autoren/martina_weber.html

Veröffentlicht von on Okt 15th, 2012 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES, UND DANACH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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