Graue Fassaden, grimmige Gesichter

Vor 25 Jahren: Auch in der Provinz konnte die Stasi den Untergang der DDR nicht verhindern – viele ihrer ehemaligen Mitarbeiter leben bis heute dort. Etwa im ostthüringischen Altenburg.

Benedikt Vallendar

Altenburg – Im November 1988, ein knappes Jahr vor der Wende, hatte Margard Wohlfahrt eine kühne Idee. Die Frau des damaligen Altenburger Gemeindepfarrers in Ostthüringen leitete in dieser Zeit eine Theatergruppe, und immer wenn ein Stück fertig war, machte sie dafür Eigenwerbung. „Indem ich von Tür zu Tür ging und Karten anbot“, wie sie sagt. Irgendwann sei ihr der Gedanke gekommen, es doch auch mal bei der örtlichen Kreisdienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) nahe der Brüderkirche zu probieren. Es wäre doch zu schade gewesen, dachte sich Margard Wohlfahrt, den Genossen von der Stasi die Ergebnisse monatelangen Probens vorzuenthalten. Also klingelt die junge Theaterpädagogin an jenem herbstkalten Montagvormittag dreimal kräftig an der Dienststelle der Altenburger Stasi in der heutigen Lindenaustraße, wohl ahnend, dass sie es mit einer doch eher ungewöhnlichen Adresse zu tun haben würde. Aber immerhin sei der Staatssicherheitsdienst ja eine besonders wichtige Institution in der DDR gewesen, dessen hauptamtlichen Mitarbeitern sie die Aufführung ungern vorenthalten hätte, so dachte sich die unbekümmerte Pfarrersgattin. Als dann tatsächlich der Türsummer geht und Margard Wohlfahrt über einen dunklen Treppenaufgang in die Katakomben des örtlichen Geheimdienstes gelangt, ist ihr doch etwas mulmig zumute. Und nicht zu Unrecht: Noch im Hausflur wird Margard Wohlfahrt von zwei jungen Männern in engen Jeans, Sonnenbrille und schwarzer Lederjacke abgefangen. Sie machen einen unfreundlichen Eindruck und pflanzen sich breitbeinig vor der jungen Frau auf. Was sie hier wolle, ranzt der eine Stasi-Mitarbeiter sie an, noch bevor die Pfarrersgattin ihr Anliegen mit den Theaterkarten vortragen kann. Nach kurzem Wortgefecht bekommt Margard Wohlfahrt unmissverständlich die Tür gewiesen und findet sich kurz darauf auf der Straße wieder, ohne dass die Stasi-Männer auf das Angebot mit den Theaterkarten eingegangen wären.

„Negative Elemente“

Über Margard Wohlfahrts Ehemann Martin Wohlfahrt, langjähriger evangelischer Pfarrer in Altenburg,  fanden sich nach der Wende umfangreiche Stasi-Dossiers. Jahrelang hatte sich das MfS in sein Leben eingenistet. Im Operativvorgang „Akademie“, benannt nach einem gleichnamigen Gesprächskreis unter dem Dach der Kirche, plante die Stasi noch am 11. April 1989 umfangreiche Zersetzungsmaßnahmen gegen den Altenburger Pfarrer, die wegen der sich anbahnenden Krise in der DDR aber nur noch teilweise eingeleitet wurden. Der streitbare Theologe  galt bei der Stasi als geistiges Zentrum „negativ politischer Elemente“, die es zu bekämpfen galt. „Noch heute leben einige der Täter, hauptamtliche MfS-Mitarbeiter, in Altenburg“, sagt Martin Wohlfahrt, der die Stasi weiterhin für etwas Böses hält und daher an keinem der zahlreichen „Versöhnungstreffen“ nach der Wende teilgenommen habe, wie er sagt. Denn aus christlich-theologischer Sicht erfordere Verzeihen immer ein Bitten darum, was er bei Mitarbeitern des früheren MfS bis heute vermisse.

Doch auch in Altenburg musste das Leben weitergehen, viele Menschen hatten nach der Wende ihre Arbeit verloren und mussten zusehen, wie sie klarkamen. „Die meisten Stasileute haben sich weitgehend lautlos in die lokale Gesellschaft eingereiht, als Rentner, Franchisenehmer, Versicherungsmakler oder mit einem Fußpflegedienst“, sagt Wohlfahrt. Nur Insider wüssten heute noch, wer damals hauptamtlich im Stasigebäude Clara-Zetkin-Straße Dienst geschoben habe. Die Erinnerung an den Geheimdienst schwände immer mehr, zumal die frühere Dienststelle längst in privater Hand ist, wie die meisten MfS-Liegenschaften.

Das Grau an den Fassaden, wie es im Herbst 1989 das Altenburger Stadtbild prägte, ist längst verschwunden. Wer heute durch die frisch sanierte Altstadt, durch die urigen kleinen Gassen mit ihren kleinen, pittoresken Geschäften wandelt, kann sich nur schlecht vorstellen, dass dort einst ein kommunistischer Geheimdienst operiert hat. Und doch hat er es, und zwar intensiver und rücksichtsloser, als es sich die Altenburger je hätten träumen lassen. Seit der Niederschlagung des Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953 hatten Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes nahezu unbeschränkten Zugriff auf sämtliche Lebensbereiche der Bürger gehabt. Und das auch in der scheinbar friedlichen Provinz Ostthüringens, wo Stasi und SED bürgerliche, in ihren Augen „rückständige“ Elemente vermuteten, die es mundtot zu machen galt.

 

Nach der Wende tauchten über viele Bürger umfangreiche Aktenbestände aus den Registraturen der Stasi auf, „operative Vorgänge“, Zersetzungspläne und Handlungsanweisungen für inoffizielle Mitarbeiter (IM), die gezielt in kirchliche Gruppen eingeschleust worden waren. Zum Teil mit aberwitzigen, erfundenen  Lebensgeschichten versehen, die im Geheimdienstjargon „Legenden“ heißen. Pfarrer Wohlfahrts Stasiakte bildete da nur die Spitze eines Eisberges, der weiter seinen Tribut fordert. „Noch immer leiden Menschen darunter, dass sie damals verraten worden sind“, sagt er. Die IM sollten in den kirchlichen Gruppen unterschwellig für Misstrauen sorgen, Gerüchte streuen, den inneren Zusammenhalt brechen und die Gruppen damit „zersetzen“, wie es Stasi-Minister Erich Mielke in seiner berüchtigten Richtlinie 1/76 festgelegt hatte. Ziel der Staatssicherheit war immer, mögliches oppositionelles Aufbegehren schon im Keim zu ersticken.

Vier hingerichtete Gymnasiasten

Altenburg, das heute 40.000 Einwohner zählt und seit der Wende fast die Hälfte durch Abwanderung verloren hat, war dem MfS immer ein Dorn im Auge gewesen, was auch historische Gründe hatte. Denn kurz nach Gründung der DDR 1949 hatte es dort eine besonders hartnäckige, fast schon tollkühne Widerstandsgruppe aus Studenten und Schülern gegeben, aus der am Ende vier junge Männer in Moskau hingerichtet wurden. Die Gruppe hatte zeitweilig sogar einen illegalen Radiosender betrieben, um zum Widerstand gegen die kommunistischen Verbrechen aufzurufen.

Immer war die Stasi in Sorge, dass Altenburg zu einer „Märtyrer-Stadt“, einem Zentrum der politischen Opposition werden könnte. Doch was nach Zerschlagung der Studenten-Gruppe folgte, waren wirtschaftliche Stagnation, Massenflucht und der Mauerbau 1961.

Nach dem Ende der Ära Ulbricht war die SED um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse in der DDR bemüht, wofür sie im Westen Kredite aufnahm und das Land damit endgültig in den Ruin trieb. „Wir hatten zu essen, zu trinken und ein Dach über dem Kopf. Wir haben gelebt und geliebt und uns in kleinen Zirkeln die Köpfe heiß diskutiert“, so beschreibt der heutige Altenburger Pfarrer Reinhard Kwaschik seine Erinnerungen an das Leben vor der Wende. Kwaschik ist ein „DDR-Urgestein“, wie er sagt. Die Erkenntnis, dass in dieser DDR einiges im Argen lag, setzte sich bei den mittleren Kadern erst allmählich durch, derweil die SED-Nomenklatura 1989 weiterhin auf Repression statt Dialog setzte.
Heute ist Altenburg zu neuem Glanz erstrahlt, eine städtebauliche Perle an der Grenze zu Sachsen, die sich vor allem durch ihre bunte Kulturszene einen überregionalen Ruf erworben hat. Auch diesen Umstand hat die Stadt nicht zuletzt der Grenzöffnung am 9. November 1989 zu verdanken.

Veröffentlicht von on Nov 10th, 2014 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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