Knut Ipsens Studienbuch in 6. Auflage
Matthias Wiemers
Seit Jahrzehnten erscheint das von Eberhard Menzel begründete „Juristische Kurz-Lehrbuch“ „Völkerrecht“, das Menzel schon vor Jahrzehnten an seinen Schüler Knut Ipsen weitergegeben hat. Ipsen, der in diesem Jahr sein 80. Lebensjahr vollendet, hat nun vor einigen Monaten die sechste und für ihn letzte Auflage dieses inzwischen sehr voluminösen Hilfsmittels vorgelegt. Er wird es nun an seine ebenfalls beteiligten Schüler weitergeben.
„Im Völkerrecht geht Macht vor Recht“ – so habe ich noch einen meiner Professoren aus dem Studium im Ohr. Der Bürger, der die Nachrichten aus aller Welt verfolgt, merkt aber sehr wohl, dass weltpolitische Akteure darum bemüht sind, zumindest den Anschein zu erwecken, sie handelten rechtmäßig, also im Einklang mit dem Völkerrecht. Gleichzeitig wissen wir, dass es im modernen Völkerrecht nicht mehr im wesentlichen nur um Krieg und Frieden geht, so dass die Aufteilung Kriegsvölkerrecht auf der einen und Friedensvölkerrecht auf der anderen Seite auch für die Lehrbuchliteratur ihre Bedeutung teilweise verloren hat. Das Völkerrecht hat in den letzen Jahrzehnten eine Expansion erlebt. So ist Klimaschutz ein Politikfeld, das erst in den letzten Jahren auf der kommunalen Ebene angekommen, seinen Ausgangspunkt aber in völkerrechtlichen Vereinbarungen genommen hat, und die Welthandelspolitik ist unter den Stichworten CETA und TTIP gerade heute Völkerrecht im Werden. Beim Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP gilt als ein Problem, das Freihandelskritiker in den Vordergrund stellen, die vorgesehene Implementierung privater Schiedsgerichte zur Beilegung von Streitigkeiten.
Schaut man aber nur in das (siebte) Kapitel „Internationales Wirtschaftsrecht“ des „Ipsen“, so findet sich darin auch der Abschnitt „Internationales Investitionsschutzrecht“ (§ 34), in dem Ulrich Haltern als neuer Autor des Bandes erklärt, warum private Schiedsgerichte als geeignetes Instrument angesehen werden, Konflikte zu lösen, die sich aus Investitionen von Unternehmen in souveränen Staaten ergeben können.
Von den insgesamt 13 Kapiteln hat Ipsen das erste über Regelungsbereich, Geschichte und Funktion des Völkerrechts verfasst (§§ 1 bis 3). Volker Epping und Hans-Joachim Heinze behandeln „Völkerrechtssubjekte“ (§§ 4 bis 9). Hierin spiegelt sich eine weitere Grundströmung des modernen Völkerrechts wider: Werden die Staaten ausdrücklich als „Normalpersonen“ des Völkerrechts behandelt (§ 5), kann ein solches Kompendium zu den weiteren Subjekten „Internationale Organisationen“ (§ 6), Individuen (§ 7), Völker (§ 8) und weiteren Völkerrechtssubjekten (§ 9) nicht schweigen.
Der Titel des von Wolff Heintschel von Heinegg verfassten dritten Kapitels ist auch eine inhaltliche Aussage: „Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts (§§ 10 bis 16). Den Verträgen werden sodann „weitere Quellen des Völkerrechts“ an die Seite gestellt (von Heinegg, §§ 17 bis 22). Heintze behandelt sodann „Diplomatische und konsularische Beziehungen“ (§§ 23 bis 27), bevor der Herausgeber sich der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit und Völkerstrafrecht widmet (§§ 28 bis 31). Bleibt die Völkerrechtssubjektivität des Individuums auch umstritten (§ 7, Rdnr. 1 ff.), so gibt es doch einen „Individualschutz im Völkerrecht“ (8. Kapitel: Ipsen, §§ 36 bis 38), der das Individuum zumindest als ein Objekt ansieht.
Es folgen drei Kapitel mit besonderen Themen, deren Bedeutung weiter im Zunehmen begriffen ist: „Internationales Öffentliches Seerecht“ (§§ 39 bis 46, Heintschel von Heinegg), „Internationales öffentliches Luft- und Weltraumrecht“ (§§ 47, 48, Heintze) und „Internationales öffentliches Umweltrecht“ (§§ 49, 50, Heintschel von Heinegg).
Dabei ist das Kapitel zum Umweltrecht einerseits in je ein Kapitel zum Umweltvertrags- und Umweltgewohnheitsrecht unterteilt, andererseits sind den beiden Kapitel aber einige wenige Erwägungen vorangestellt, in denen die besondere Bedeutung des Umweltvölkerrechts deutlich wird: In ihm haben Staaten – den grenzüberschreitenden Wirkungen von Umweltbelastungen Rechnung tragend – Schritte zur Überwindung des Souveränitätsgedankens unternommen. Der Autor zieht daraus den Schluss, dass die natürliche Umwelt gegenwärtig ein eigenständiges Schutzgut des Völkerrechts darstelle.
An die Friedenssicherung als dem klassischen Schutzgut des Völkerrechts erinnern dann wieder die beiden letzten Kapitel des Bandes: „Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung“ (§§ 51 bis 55, Heintschel von Heinegg und Epping) und „Bewaffneter Konflikt und Neutralität“ (§§ 56 bis 66, Ipsen).
Bildet das „Kriegsvölkerrecht“ auch nur noch einen kleineren Teil des „Völkerrechts“ von Ipsen, so bleibt dennoch die Behandlung des Umweltvölkerrechts dahinter weit zurück. Gerade die weltpolitischen Entwicklungen der jüngsten Zeit geben Herausgeber und Autoren recht.
Knut Ipsen (Hrsg.)
Völkerrecht. Ein Studienbuch
6. Aufl. Verlag C. H. Beck, München 2014
1279 S., 55 Euro
ISBN 978-3-406-57294-4