Der Finanzjournalist Franz Netter untersucht das Für und Wider von Investments in deutsche Wohnimmobilien
Thomas Claer
„Wohin bloß mit unserem Geld?“, fragen sich immer mehr Deutsche verzweifelt angesichts der einfach nicht enden wollenden Niedrigzinsphase. Alle anderen, die sich so etwas nicht fragen, werden vermutlich bereits diese Fragestellung obszön finden, weil sie entweder nur wenig verdienen oder immer gleich alles ausgeben. Doch die meisten hierzulande sind weder Geringverdiener noch Konsumjunkies und daher unmittelbar von der Misere betroffen. Bedenkt man dann noch, dass bekanntlich selbst die heutigen Bezieher mittlerer Einkommen im Alter kaum mehr als eine Mindestrente zu erwarten haben und die private Vorsorge daher längst zum Gebot der Stunde geworden ist, so dürften für viele früher oder später auch die eigenen vier Wände ins Blickfeld geraten.
Der erfahrene Finanzjournalist Franz Netter hat in seinem Buch das weitläufige Themenfeld der Investments in Wohnimmobilien durchschritten und hierzu jede Menge nützliche Informationen in komprimierter Form zusammengetragen. Zu einer ganz besonderen Anlageform macht die Wohnimmobilien vor allem ihr Doppelcharakter zur Befriedigung des menschlichen Grundbedürfnisses Wohnen und zugleich als Investitionsobjekt. Wer also seine sauer verdienten Ersparnisse in eine Immobilie steckt, die er selbst zu nutzen gedenkt, der hat zunächst einmal ein Dach über dem Kopf und spart sich künftige Mietzahlungen. Darüber hinaus sorgt er vor. Der Haken daran ist nur, dass Wohnimmobilien an den gefragten Standorten, den so genannten Schwarmstädten, die allein weiteren Bevölkerungszuwachs und damit Wertsteigerungen versprechen, bereits exorbitant teuer sind. Als Schwarmstädte gelten insbesondere die Metropolen Berlin, Hamburg, München, Köln, Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart sowie einige kleinere und mittelgroße Universitätsstädte. Doch haben die meisten Immobilieneigentümer, zu denen in Deutschland immerhin jeder Zweite gehört, ihr Betongold leider am „falschen“ Ort. Oder wie es Buchautor Franz Netter pointiert sagt: „Mies oder gar nicht verzinste Sparguthaben, ertragsschwache Lebensversicherungen, von Kündigung bedrohte Bausparverträge und das marode Häuschen weit draußen auf dem Land – diese Anlagewerte überwiegen bei 99 Prozent der Haushalte, wenn überhaupt Geld zum Sparen übrig bleibt.“ Warum also nicht es den Reichen dieser Welt nachtun und auf Aktien oder Immobilien setzen? Doch fragen sich viele, vor allem Jüngere, die bislang noch nicht zum Zuge gekommen sind, ob sich der Erwerb einer Schwarmstadt-Immobilie heute überhaupt noch lohnt. Zwar ist es für manche eine Alternative, ein Haus oder eine Wohnung in einer anderen Stadt zu kaufen und täglich zum Arbeitsplatz in der Schwarmstadt zu pendeln. Doch ist gerade das auch nicht jedermanns Sache. Netter zitiert einen Glücksforscher: „Eine Stunde mit dem Auto zur Arbeit pendeln ist etwa so schlecht für die Glücksstatistik wie gar keinen Job zu haben.“
Man muss es dem Autor zugutehalten, dass er nie um deutliche Worte verlegen ist, auch was die Schattenseiten des Immobilienkaufs betrifft, der ja meistens mit einer hohen Kreditaufnahme verbunden ist: Kann man sich überhaupt sicher sein, jahrelang pünktlich seine Raten zahlen zu können, wo doch viele Arbeitsplätze keineswegs dauerhaft Bestand haben oder womöglich in den Niedriglohnsektor transformiert werden. „Die Industrie ist der letzte Wirtschaftssektor, der seine Beschäftigten noch ordentlich entlohnt. Im Dienstleistungsbereich dagegen schuften Millionen deutsche Arbeitnehmer oder Scheinselbständige für einen Hungerlohn.“ Und selbst wer das Glück hat, von diesem Trend nicht betroffen zu sein, bezahlt doch nicht nur finanziell einen hohen Preis: „Durch einen Immobilienkauf geht nicht selten ein Großteil der finanziellen Freiheit flöten: Wer sich hoch verschuldet hat, ist ängstlich darauf bedacht, pünktlich seine Raten an die Bank zu zahlen. Meist wird alles andere diesem Ziel untergeordnet: Karriere, Familie, Altersvorsorge, Freizeit. Das verursacht Druck und negativen Stress, der im Extremfall krank macht. Eine freie Lebensgestaltung ist nur schwer möglich.“ Aber dafür sind doch wenigstens fette Renditen garantiert, so denkt man. Nein, noch nicht einmal das: „Aus Renditeperspektive lohnen sich Wohnimmobilien, die zum Marktpreis erworben werden, nur bei ansehnlichen Wertsteigerungen.“ Aber immerhin, wenn alles gut geht und die Preise kräftig gestiegen sind, kann man seine abbezahlte Immobilie irgendwann später so richtig teuer verkaufen, denn nach einer Haltefrist von zehn Jahren sind die Gewinne doch schließlich steuerfrei. Aber selbst hier rät Buchautor Netter, sich lieber nicht zu früh zu freuen. Man müsse nämlich in Zukunft zunehmende Eingriffe des Staates in das Vermögen seiner Bürger einkalkulieren, wozu z.B. auch eine Abschaffung dieser Zehnjahresfrist unter dem Aspekt der „Gerechtigkeit“ gehören könnte. Klar, die Mehrheit der Wähler sind Mieter, die kleinen Eigentümer hingegen haben in der Politik – anders als das ganz große Geld, versteht sich – keine Lobby. So kommt der Autor folgerichtig zu dem Schluss: „Ohne mindestens ein halbwegs gesichertes Einkommen, ohne eisernes Sparen über Jahrzehnte und ohne ein Minimum an Eigenkapital (mindestens ein Fünftel, besser ein Drittel der Gesamtkosten) ist der Immobilienkauf in Deutschland nicht zu empfehlen.“
Warum am Ende, sofern man die genannten Voraussetzungen erfüllt, aber letztlich doch vieles dafür spricht, es zu wagen, liegt für Netter auf der Hand: „Hohe Nachfrage, günstige leicht verfügbare Darlehen sowie eine extreme Knappheit auf dem Mietmarkt dürften die Preise für Grundstücke in den kommenden Jahren nach oben treiben.“ Doch was ist mit dem oft vorhergesagten langfristigen Absinken der Immobilienpreise durch den demographischen Wandel? Dies betrifft dem Autor zufolge nur die kleinstädtischen und ländlichen Regionen. Denn egal wie man es dreht und wendet, die Zuwanderung nach Deutschland, vor allem in die Metropolen, dürfte noch sehr lange anhalten: „Nichts wird diese Völkerwanderung aufhalten, solange hier Freiheit, Frieden und Wohlstand herrschen, während weltweit Unterdrückung, Krieg und Armut dominieren.“ So kommt Netter zu der Vorhersage: „Wer nicht bald in den Immobilienmarkt investiert, wird sich selbst in durchschnittlichen Lagen vieler Städte kaum noch eine vernünftige Wohnung leisten können.“ Zumal die vieldiskutierte Mietpreisbremse, die womöglich in der Zukunft sogar noch verschärft wird, eher für eine weitere Verknappung des Angebots sorgen werde. „Die Preise steigen Monat für Monat.“ Und wer denkt, ihn betreffe all das nicht, weil er ja ein großes Erbe erwarte, dem sagt Netter: „Nur das reichste Prozent der Haushalte übergibt ein derart großes Vermögen an die nächste Generation, sodass diese auf eigene Sparanstrengungen weitgehend verzichten kann. Die übrigen 99 Prozent vererben meist zu wenig, um ihren Nachkommen das sorglose Leben in einer Metropole zu ermöglichen.“
Besonders interessant und aufschlussreich sind die nach Meinung des Autors wahrscheinlichsten wirtschaftlichen Zukunftsszenarien und ihre Auswirkungen auf die Anlageform Immobilie. Eine etwa gleich hohe Wahrscheinlichkeit räumt er dem inflatorischen und dem deflatorischen Szenario ein, deutlich unwahrscheinlicher als diese ist aus seiner Sicht das depressive Szenario. Kommt es in den kommenden Jahren zu deutlich steigenden Inflationsraten, was eine günstige konjunkturelle Entwicklung voraussetzt und politisch gewünscht ist, da dann die immensen Schuldenberge der Staaten zusammenschmelzen, so profitieren davon alle Sachwert-Anlageklassen, also insbesondere Aktien sowie Immobilien in den Schwarmstädten. Die Zeche zahlen müssten in diesem Falle die Inhaber von Lebensversicherungen und Sparkonten, die gewissermaßen enteignet würden. Kommt die Konjunktur in Europa hingegen trotz aller geldpolitischen Stimulierungen nicht richtig in Gang, dann tritt das japanische Szenario ein: eine lange Phase der Deflation. In diesem Fall brechen die Börsen ein und das abgezogene Kapital wandert, na wohin wohl?, in den sicheren Hafen der Schwarmstadt-Immobilien, deren Preise ja bekanntlich als weit weniger schwankungsanfällig gelten als die von Unternehmensbeteiligungen. Aber auch Festzins- und Lebensversicherungssparer wären mit diesem Szenario noch gut bedient, da ihre Gelder ja zumindest leicht an Wert gewännen. Ungünstig für wirklich alle Anlageklassen, also auch für Immobilien, wäre nur das (hoffentlich!) unwahrscheinlichste aller Szenarien, eine Depression, welche etwa durch schwere politische Krisen, durch Kriege oder Naturkatastrophen ausgelöst werden könnte. Der Islamische Staat erobert Europa oder so ähnlich… Daraus folgt, dass jemand, der auf Immobilien in Schwarmstädten setzt, aller Voraussicht nach also auch künftig auf der sicheren Seite sein wird.
Man liest dieses Buch mit großem Gewinn. Bemerkenswert, wenn auch nicht unbedingt verwunderlich, ist jedoch, wie stiefmütterlich der Autor darin den mit Abstand dynamischsten Immobilienmarkt Deutschlands, wenn nicht Europas behandelt. Gerade einmal eine Dreiviertelseite Text ist ihm unsere Hauptstadt Berlin wert, während er sich viele Seiten lang über seine Heimatstadt München und allerlei dort bestehende kommunale Förderprogramme auslässt. So passt es auch ins Bild, dass Netter, der sonst überall zuverlässig auf dem neuesten Stand ist, in seinem Berlin-Porträt mit längst überholten Zahlen von 2012 hantiert, wonach Berlin lediglich 3,3 Millionen Einwohner habe, nur moderat wachsen werde und Wohnungen fast überall unter 3.000 Euro pro Quadratmeter zu haben seien. Tatsächlich hat Berlin inzwischen aber längst 3,5 Millionen Einwohner, man sagt ihm 4 Millionen Einwohner bis 2030 voraus (was dann ungefähr die dreifache Bevölkerungszahl von München wäre!), und man findet zumindest frei beziehbare Wohnungen innerhalb des S-Bahn-Rings unter 3.000 Euro pro Quadratmeter inzwischen so gut wie gar nicht mehr. Insbesondere in früheren innerstädtischen Problemkiezen, die mittlerweile zu angesagten Szenelagen geworden sind, bekam man solche Wohnungen in den Nullerjahren noch für die Hälfte oder sogar für ein Drittel der heutigen Preise. Es soll sogar sparsame Geringverdiener geben, die seinerzeit Wohneigentum in heutigen Bestlagen Berlins für den berühmten „Appel und `n Ei“ erwerben konnten. Solche lukrativen Turnaround-Situationen gibt es auf den Immobilien-Märkten zwar selten, doch kommen sie gelegentlich vor, nur nicht in diesem Buch. Offensichtlich liegen solche Entwicklungen weit jenseits des Münchener Weißwursthorizonts…
Wirklich spannend wird es aber, wenn man sich nun überlegt, was wohl die künftigen Turnaround-Stories auf dem deutschen Immobilienmarkt sein könnten. Man gibt es als Berliner ja nicht gerne zu, aber Deutschlands größte Metropole ist eigentlich gar nicht unsere Hauptstadt, sondern mit insgesamt 5,1 Millionen Einwohnern das Ruhrgebiet, das sich nur aus provinzieller Engstirnigkeit noch nicht zu einer einzigen Stadt zusammengeschlossen hat. Ganz nebenbei gesagt handelt es sich auch noch um die fünftgrößte Quasi-Stadt Europas. Und längst haben sich dort in stillgelegten Fabriken die ersten Künstler und Startup-Gründer angesiedelt, denen Berlin bereits zu teuer geworden ist. Das allein muss natürlich noch nicht viel bedeuten, und es braucht ja auch viele andere Faktoren, die hinzutreten müssen, damit irgendwann so etwas wie ein Schwarm entstehen kann. Doch meistens geht es auf den Immobilienmärkten vergleichsweise gemächlich zu, und einmal etablierte Trends halten oft sehr lange an. Fast immer gibt es also noch ausreichend Zeit, auf neue Entwicklungen zu reagieren…
Franz Netter
Wohnimmobilien. Mit den richtigen Investments vom deutschen Immobilienboom profitieren
Finanzbuchverlag München 2016
186 Seiten, 19,80 €
ISBN: 978-3-89879-889-1