Anwalt des Rechtsstaats

Deutsche Juristenbiographien, Teil 13: Otto Schily

Matthias Wiemers

Otto Schily, geboren am 20. Juli 1932 in Bochum, war ein relativ alter Achtundsechziger, Mitglied der APO, Verteidiger von Protagonisten der RAF, frühes Mitglied der Partei „Die Grünen“ und nachmaliger Bundesinnenminister der SPD. Bis heute ist er als Rechtsanwalt tätig.

Es mutet schicksalhaft an, wenn man sich vorstellt, dass Otto Schily am 20. Juli 1932 geboren wird, just an dem Tag, an dem der Rechtstaat durch die Reichsregierung von Papen den „Preußenschlag“ erhält, als man die vornehmlich sozialdemokratische Regierung Braun/Severing in Preußen für abgesetzt erklärt und den Reichskanzler Franz von Papen zum Staatskommissar für Preußen ernennt.
Der Vater, Dr. phil Franz Schily, ist Kaufmann beim Gußstahlwerk Bochumer Verein, das er nach dem Krieg leitet, die Mutter eine begnadete Musikerin. Neben Otto, dem Zweitjüngsten, gibt es noch drei weitere Söhne und eine Tochter. Die Familie wendet sich der Christengemeinde zu, die auf der anthroposophischen Lehre Rudolf Steiners basiert. Otto Schily besucht zwar selbst keine Waldorfschule, doch erhält die Familie im „Dritten Reich“ Besuch von der Gestapo, die im Haus anthroposophisches Schrifttum beschlagnahmt. Der Vater ist großbürgerlich-nationalliberal.
Neigt auch der ebenfalls musikalisch begabte Otto nach dem Abitur 1952 einem Musikstudium zu, so entscheidet er sich dennoch für Jura, weil dieses Studium einerseits zahlreiche Möglichkeiten bietet, und weil der junge Otto bereits eine Neigung zur Politik verspürt. Er beginnt das Studium in München, wechselt dann nach Hamburg, dann nach Berlin, wo ergänzend Politikwissenschaft studiert wird. Schily interessiert sich nicht nur für juristische Vorlesungen, sondern auch für Literatur, Philosophie, Volkswirtschaft. Nach langem Studium scheitert der erste Examensversuch, der zweite gelingt knapp. Das Referendariat führt zurück in die Heimat, nach Hamm in Westfalen. 1963 erfolgt das Zweite Staatsexamen, danach die Zulassung als Rechtsanwalt in Berlin. Mitte der Sechzigerjahre lernt Schily seine erste Frau Christine kennen, ein Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS). Beide Partner bewegen sich, aus dem liberalen Bürgertum kommend, politisch nach weit links, hinein in die Außerparlamentarische Opposition.
Ist Schily zwar für eine Wirtschaftskanzlei tätig, so führen die tödlichen Schüsse auf den Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 doch dazu, dass Schily das Angebot seines Kollegen Horst Mahler, die Eltern Ohnesorg als Nebenkäger gegen den Todesschützen Kurras zu vertreten, annimmt und sich dadurch auf den Weg in die Welt der Strafprozesse mit politischem Hintergrund begibt. Später muß Schily seinen Kollegen Mahler, der selbst zum linksradikalen Terroristen wird, mehrfach verteidigen. Bei diesen Verteidigertätigkeiten trifft Schily auch auf den späteren Grünen-MdB Hans-Christian Ströbele und – noch etwas später – auf Gerhard Schröder, damals Bundesvorsitzender der Jusos und Anwalt seit 1978. Von seinen Kollegen unterscheidet sich Schily, der bis heute in gutsitzenden Anzügen unterwegs ist, schon dadurch, dass er stets vorschriftsmäßig in Robe und weißer Anwaltskrawatte auftritt. Das in der Linken übliche Duzen mag er nicht, und er ist auch weiterhin in Wirtschaftsverfahren tätig. Zwei Jahre um den „Deutschen Herbst“ – die Hochphase des Terrors der Rote Armee Fraktion (RAF) im Jahre 1977 – tritt Schily regelmäßig als Verteidiger der ersten Garde der RAF, darunter Gudrun Ensslin, vor dem OLG Stuttgart in Stammheim auf.
In dieser Zeit ist Schily zunehmenden Anfeindungen der Öffentlichkeit ausgesetzt, und unmittelbar alsVerteidiger wird er Opfer rechtsstaatlich bedenklicher Maßnahmen wie dem heimlichen Abhören von Mandantengesprächen, gegen das er Strafanzeige gegen den damaligen Chef des Bundeskanzleramts stellt. Nach dem Dreifach-Selbstmord von Raspe, Baader und Ensslin in der Haft äußert Schily Zweifel an der Selbstmord-Version.
Unter dem Eindruck der Verteidigertätigkeit in der Öffentlichkeit wendet sich Schily Ende der Siebzigerjahre einer neuen politischen Partei zu, den Grünen. Ab 1983 gehört Schily zu den ersten Vertretern der Grün-Alternativen Bewegung im Deutschen Bundestag, wo er sich einschlägig hervortut, nämlich im Rahmen des gerichtsähnlichen (Flick-) Untersuchungsausschusses, in dessen Rahmen sich die Prominenz des bisherigen Bonner Partei-Establishments den bohrenden Fragen des Rechtsanwalts Schily ausgesetzt sieht. Der Anwalt war bereits seit 1980 als Vertreter der für Parteispenden zuständigen Steuerfahndungsstelle St. Augustin bei Bonn tätig gewesen. Im Jahre 1986 wird Schily – immerhin mit einem Jahr Verzögerung – Opfer des seinerzeit bei den Grünen geltenden Rotationsprinzips und verläßt den Bundestag. 1987 wiedergewählt, unterliegt er bei den Wahlen zum Fraktionsvorsitz knapp einem Fundamentalisten. Zwei Jahre später verläßt er die Partei, tritt Ende 1989 der SPD bei und kandidiert fortan für die SPD in Bayern für den Bundestag. Der Rest ist schnell erzählt, weil noch im Gedächtnis der heute Lebenden: 1998, nach dem Wahlsieg von Rot-Grün, wird Schily Innenminister unter dem Bundeskanzler Gerhard Schröder. Setzt er sich etwa bereits 1998 für rechtsstaatlich geregelte Verfahren der akustischen Wohnraumüberwachung („Großer Lauschangriff“) ein, so wird der 11. September 2001 auch für Otto Schily zur Wendemarke, jedenfalls was die äußere Wahrnehmung angeht. Mit zahlreichen, bürgerliche Rechte einschränkenden Maßnahmen („Otto-Katalog“) geht der Innenminister den Kurs seines Kanzlers mit, den USA auf ihrem Weg zum „Krieg gegen den Terror“ jedenfalls ein Stück weit zu folgen. Bis 2005 bleibt er Innenminister, bis 2009 Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Auch mit nunmehr 85 Jahren arbeitet Otto Schily noch wieder als selbständiger Anwalt in Berlin. Die Liebe zu Kunst und Kultur, namentlich zur Musik, ist geblieben.

Quelle: Reinhold Michels, Otto Schily. Eine Biographie, 2001

Veröffentlicht von on Jul. 10th, 2017 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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