Der „Einspruch gegen die Evolutionstheorie“ des SZ-Feuilletonisten Burkhard Müller in zweiter Auflage
Thomas Claer
Wenn heutzutage jemand die Evolutionstheorie in Zweifel zieht, dann schrillen hierzulande die Alarmglocken. Kein Wunder, denn wer Darwin nicht folgt, muss nach vorherrschender Logik entweder ein religiöser Fundamentalist oder zumindest ein Ewiggestriger, ein unbelehrbarer Reaktionär sein. All das ist Burkhard Müller, teilzeitberuflich Lateindozent an der Technischen Universität Chemnitz, Literaturkritiker und Feuilletonist bei der Süddeutschen Zeitung, mitnichten. Müller, geboren 1959 in Schweinfurt, gilt als freier Geist, dem Religion nichts bedeutet außer als Gegenstand seiner stets ätzenden Kritik. Seine Artikel werden, was nur wenige Journalisten von sich sagen können, schon deshalb gelesen, weil er sie geschrieben hat. Doch selbst mit einem solchen Renommee ausgestattet hat man es heute schwer, ein politisch so unkorrektes Buch auf den Markt zu bringen: Die zweite, in etlichen Abschnitten an den aktuellen Stand der Evolutionsbiologie angepasste Auflage seines fulminanten „Anti-Darwin“ namens „Das Glück der Tiere“ aus dem Jahr 2000, konnte nur in einem auf Esoterik und Mystizismus spezialisierten Kleinverlag erscheinen. Zu anrüchig erschien es den seriösen Häusern offenbar, sich dem Verdacht der Unterstützung von Kreationismus und „Intelligent Design“ auszusetzen, was wiederum Wasser auf die Mühlen der amerikanischen christlichen Rechten und ihrer versprengten kulturkonservativen europäischen Gesinnungsgenossen hätte bedeuten können.
Dabei hält Müller überhaupt nichts vom Kreationismus, den er als nicht satisfaktionsfähig betrachtet, und auch nichts von sonstigen übernatürlichen Erklärungen. Doch zeigt er – als evolutionsbiologischer Autodidakt nur auf die Kraft des vernünftigen Arguments vertrauend – die fundamentale Widersprüchlichkeit, den durch und durch tautologischen Charakter der Darwinschen Evolutionslehre und aller ihrer Nachfolger bis hin zu den angeblich „egoistischen Genen“ des Richard Dawkins. Nein, auch Müller weiß keine fertige Lösung, wie es stattdessen gewesen sein könnte, aber mit Mutationen und Selektion lässt sich das Phänomen der Höherentwicklung vom Einzeller bis zum Säugetier schlichtweg nicht erklären. Je besser die Anpassung an einen Lebensraum und je höher dadurch der Überlebensvorteil im Daseinskampf, so macht er deutlich, desto unwahrscheinlicher, ja unmöglicher wird die Entstehung neuer komplexerer Lebensformen aus den bisherigen. Denn bloße Zwischenschritte zur höheren Entwicklungsstufe bringen keinerlei Fitnessvorteil. Und dass plötzlich rein zufällig fertige komplexere Organe entstehen, ist nun einmal von erdrückender Unwahrscheinlichkeit. Wie aus weißflügeligen Faltern infolge von Luftverschmutzung eine neue Art mit braunen Flügeln wird und dergleichen – nur das hat die Evolutionsbiologie in ihren Experimenten bisher aufzeigen können, aber nicht, wie es zu einer Höherentwicklung kommen kann, und schon gar nicht, wie das Leben überhaupt entstanden sein soll. Noch prekärer wird es für den Darwinismus angesichts der Erkenntnisse der modernen „Evo Devo“-Lehre, wonach Gene zu ganz bestimmten Zeiten der Individualentwicklung an- und ausgeschaltet werden und es bei allen höheren Lebewesen „modulare Grundprinzipien“ zur Bildung bestimmter Organe und Körperteile gibt. Zwar macht dies etliche spätere Schritte der Evolution deutlich plausibler, doch wird es geradezu absurd, annehmen zu wollen, solche komplizierten Mechanismen seien irgendwann einmal durch Mutation und Selektion entstanden. Immer gibt es Mutationen, ständig laufen Selektionsprozesse ab, aber mit der eigentlichen Evolution haben beide, wie Müller aufzeigt, herzlich wenig zu tun. Diese Einsicht wirft, nebenbei gesagt, auch ein bezeichnendes Licht auf die neoliberale Leitideologie der Gegenwart, dass Innovation nur durch immer mehr Konkurrenz (statt durch Kooperation) zu erzielen sei.
Es ist nun aber zu befürchten, dass der Verfasser mit seinen Thesen bei den Fachbiologen auch weiterhin auf taube Ohren stoßen wird. Der sehr metaphernreiche und mitunter barocke Sprachstil, der noch deutlich verschwurbelter anmutet als in Müllers gegenwärtigen brillanten Feuilletons, wird wohl so ziemlich jeden Naturwissenschaftler in die Flucht schlagen.
Burkhard Müller
Das Glück der Tiere
Veränderte Neuausgabe 2009
Edition „fabrica libri“
Pomaska-Verlag Schalksmühle
€ 19,80
ISBN: 978-3-935937-60-3