Thomas Claer empfiehlt Spezial – Lieblingsliteratur (2): „Über die Weiber“ von Arthur Schopenhauer (1851)
Ein ganz schlimmes chauvinistisches Machwerk sei dieser Text, so heißt es immer. Doch wer ihn nicht gelesen hat, das muss man schon sagen, hat wirklich etwas verpasst. Kein gutes Haar lässt der griesgrämige Philosoph (1788-1860) in seinem Aufsatz „Über die Weiber“ aus der Kurztextsammlung „Parerga & Paralipomena“ von 1851 am weiblichen Geschlecht und bemerkt dabei offenbar gar nicht, wie sehr er sich damit zu seiner grandiosen übrigen Philosophie in Widerspruch setzt. An deren Grundgedanken – „Die Welt als Wille und Vorstellung“ – ist nämlich schlichtweg nicht zu rütteln: Die Welt – das ist zunächst mal nicht die Welt da draußen, sondern nur das Konstrukt von ihr in meinem Inneren. Sie ist also ganz wesentlich meine Vorstellung. Niemand sieht die Welt, wie sie ist, aber jeder sieht sie so, wie sie ihm erscheint. Und vor allem auch: wie er sie sehen w i l l. Jeder lebt also in erster Linie in seiner ganz eigenen Welt. Und in dieser spielt zwar auch der Intellekt eine Rolle, das schon, aber, bei Lichte betrachtet, doch nur eine sehr untergeordnete. Der Intellekt ist nämlich laut Schopenhauer, der hier mal eben Sigmund Freud und Charles Darwin vorwegnimmt, lediglich der Diener des „Willens“, jener blinden Antriebskraft, die in allem Lebendigen steckt und die er sogar schon in der unbelebten Natur zu erkennen glaubt. Das Ich ist also keineswegs der Herr im eigenen Hause, sondern stets von niederen Instinkten geleitet, die seine Wahrnehmung bestimmen und nachträglich dann oftmals irgendwie intellektuell gerechtfertigt werden. Jeder trifft seine Entscheidungen letztlich „aus dem Bauch heraus“, wie es so schön heißt, um von noch tiefer gelegenen Regionen gar nicht erst zu reden. „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“, meinte Karl Marx. Das ist so unwiderleglich richtig, wie auch sein Gegenteil stimmt: „Das Bewusstsein bestimmt das Sein“. Und bei den meisten Menschen gilt letzteres noch viel mehr als ersteres. Der Intellekt ist immer sekundär. Wer das nicht glaubt, der lügt sich nur selbst in die Tasche.
Wenn nun derselbe Schopenhauer so sehr die „Geisteskräfte“ der Männer preist, die angeblich den „Weibern“ mit ihrer „schwachen Vernunft“ fehlen, dann fragt man sich, warum bei ihm nun plötzlich die (angeblich rein männliche) Intellektualität so hoch im Kurs steht, zumal er doch selbst zugesteht, dass „die Weiber“ sich auf ihre Weise und rein instinktiv doch auch sehr schlau verhalten. Sie, die „Weiber“, leben halt mehr „in concreto“ und nicht wie (angeblich) die Männer „in abstracto“… Man weiß ja, woher es kommt, dass dieser Philosoph hier – ausnahmsweise – mit sehr viel Schaum vor dem Mund geschrieben hat: Es hatte sich in ihm viel Ärger gegen diverse Frauen in seinem Leben angestaut – und da er es ihnen auf andere Weise nicht heimzahlen konnte, so hat er eben zum literarischen Rundumschlag ausgeholt.
Dabei hätte er, wäre er wirklich konsequent gewesen, seinen Aufsatz eigentlich ungefähr so schreiben müssen: Die „Weiber“ wissen besser, wo es langgeht. Instinktiv haben sie genau verstanden, worauf es im Leben ankommt, nämlich die eigenen Vorzüge gezielt zum eigenen Vorteil einzusetzen und die Schäfchen rechtzeitig ins Trockene zu bringen. Das intellektuelle Getue der Männer haben sie durchschaut und genau erkannt, dass es nur zur Verschleierung ihrer wahren dunklen Antriebe dient. Und die lächerlichsten Figuren überhaupt sind männliche Philosophen, die sich auf ihre Vernunft etwas einbilden. Denn mit all ihrer theoretischen Intelligenz kommen sie am Ende auch nicht weiter als die „Weiber“ mit ihrer überwiegend rein praktischen.
Und doch enthält „Über die Weiber“ so manche Sentenzen, deren Plausibilität kaum jemand infrage stellen dürfte: „Wer heiratet, halbiert seine Rechte und verdoppelt seine Pflichten.“ Wer wollte da widersprechen? Oder: „Das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige Geschlecht das schöne nennen konnte nur der vom Geschlechtstrieb umnebelte männliche Intellekt: in diesem Triebe nämlich steckt seine ganze Schönheit.“ Was sich aber wohl auch umgekehrt über männliche Attraktivität in den Augen von Frauen sagen ließe. Zum Beispiel so: Alte weiße Männer mit dicken Brieftaschen und ebensolchen Autos als attraktiv wahrnehmen kann nur der vom blinden Konsumtrieb angestachelte weibliche Instinkt. Noch besser aber ist dies: „Mit den Mädchen hat es die Natur auf Das, was man, im dramaturgischen Sinne, einen Knalleffekt nennt, abgesehn, indem sie dieselben, auf wenige Jahre, mit überreichlicher Schönheit, Reiz und Fülle ausstattete, auf Kosten ihrer ganzen übrigen Lebenszeit, damit sie nämlich, während jener Jahre, der Phantasie eines Mannes sich in dem Maaße bemächtigen könnten, daß er hingerissen wird, die Sorge für sie auf Zeit Lebens, in irgend einer Form, ehrlich zu übernehmen; zu welchem Schritte ihn zu vermögen, die bloße vernünftige Ueberlegung keine hinlänglich sichere Bürgschaft zu geben schien. Sonach hat die Natur das Weib, eben wie jedes andere ihrer Geschöpfe, mit den Waffen und Werkzeugen ausgerüstet, deren es zur Sicherung seines Daseyns bedarf, und auf die Zeit, da es ihrer bedarf; wobei sie denn auch mit ihrer gewöhnlichen Sparsamkeit verfahren ist. Wie nämlich die weibliche Ameise, nach der Begattung, die fortan überflüssigen, ja, für das Brutverhältniß gefährlichen Flügel verliert; so meistens, nach einem oder zwei Kindbetten, das Weib seine Schönheit; wahrscheinlich sogar aus dem selben Grunde.“ Hier spricht er schon fast wie ein Evolutionsbiologe, doch wusste er noch nichts von heutigen Fitness-Centern und Jogging-Arenen, die den „Weibern“ schon rasch nach dem „Kindbette“ ihre gewohnte Attraktivität zurückbringen, und insbesondere auch nichts von der sich zunehmend verbreitenden männlichen Vorliebe für den Frauentyp „MILF“. Man muss seinen Schopenhauer nur beim Wort nehmen: „Je edeler und vollkommener eine Sache ist, desto später und langsamer gelangt sie zur Reife.“ So wie die Schönheit mancher Frauen – zumindest in den Augen ihrer Verehrer…
Link zum Text: http://aboq.org/schopenhauer/parerga2/weiber.htm