Astrid Epiney legt ihr Standardwerk erneut vor
Matthias Wiemers
Wer noch geglaubt hatte, die Europäische Union sei im wesentlichen eine Verkörperung des Binnenmarkts, der sah sich in der letzten Zeit nicht nur durch die mit den EP-Wahlen verbundenen Debatten über die Demokratisierung der EU eines Besseren belehrt, sondern nicht zuletzt auch in so einem profanen Thema wie der Luftqualitätspolitik – in Worten: Dieselfahrverbote –, wo dem nationalen Gesetzgeber gar nichts anderes übrig zu bleiben scheint, als von der EU tabellarisch vorgegebene Schadstoffhöchstwerte in das nationale Immissionsschutzrecht zu übernehmen. Mag man dies auch bedauern und etwa unter Hinweis auf das Umweltstaatsziel und eine aus dem Gesundheitsschutz abzuleitende grundrechtliche Schutzpflicht den Nationalstaat hier in der Pflicht sehen, so muss doch festgestellt werden, dass die EU seit der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahre 1987 eine eigenständige Umweltkompetenz (s. dazu ausführlich Epiney im zweiten Kapitel) verfügt, die sich nicht mehr nur auf eine Harmonisierung zur Verhinderung von Beeinträchtigungen des Binnenmarkts beschränkt. Bereits zehn Jahre nach diesem Datum hat Epiney, die seit je außerhalb der EU, nämlich im schwizerischen Fribourg lehrt, die erste Auflage des hier vorzustellenden Werks (bei Heymanns) vorgelegt. Von damals 332 Seiten ist das Werk nun auf einen gut doppelten Umfang angewachsen. Astrid Epiney ist also eine Pionierin des Europäischen Umweltrechts und verfolgt die Entwicklungen – gewissermaßen vom europäischen Spielfeldrand, dem Üechtland, sehr aufmerksam.
Das Werk ist in zwei Teile und insgesamt neun Kapitel durchaus sinnvoll eingeteilt, indem nämlich in einem ersten Teil die „Entwicklung des Umweltrechts in der Europäischen Union und primärrechtliche Grundlagen“ dargestellt und sodann im zweiten Teil in den umfangmäßig restlichen zwei Dritteln und vier Kapiteln „das umweltrechtliche Sekundärrecht der Europäischen Union“ behandelt werden.
Das Buch von Epiney ist kein Praxishandbuch o. ä., sondern folgt wissenschaftlichen Pfaden. Dies wird nicht nur deutlich an der dem Band vorangestellten Überblicksliteratur und den ausführlichen Literaturlisten am Ende der jeweiligen Kapitel, sondern etwa auch daran, dass das erste Kapitel „Begriff und Gegenstand des Umweltrechts“ gewidmet ist und dann im zweiten Kapitel „Entstehung und Entwicklung des Umweltrechts in der Europäischen Union“ dargestellt werden.
Stellt das dritte Kapitel über „Instrumente und Akteure der Umweltpolitik und der Umweltrechtsetzung der Europäischen Union“ auch noch einen Überblicksartikel dar, so ist dieser bereits sehr umfangreich ausgefallen und geht insbesondere auch auf die Rolle der EU als Völkerrechtssubjekt und damit als Akteur auf der völkerrechtlichen Bühne ein (Abschnitt V, Rdnr. 24 ff.), wobei die „Akteure“ insgesamt noch einmal in einem gesonderten Abschnitt B dargestellt werden (Rdnr. 34 ff.). Gerade an diesem Kapitel wird deutlich, dass das Werk nicht nur die rechtlichen Bestimmungen erläutert, sondern auch Einblicke in die politischen Akteure und ihr Zusammenwirken gibt.
Kapitel 4 präsentiert dann die „Rechtsgrundlagen der Umweltpolitik der Europäischen Union“, wobei schon zu Beginn die Umweltpolitik als „Querschnittsaufgabe“ bezeichnet wird (Rdnr. 2). Zu begrüßen ist, dass dieses Kapitel mit Ausführungen zur Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips für die Ausübung der Umweltkompetenz schließt. Die Wirksamkeit des Prinzips wird allerdings zu Recht im Ergebnis bezweifelt (Rdnr. 46). Mit weitem Abstand umfangreichstes Kapitel im ersten Teil ist das fünfte, das die „Grundprinzipien des Umweltrechts der Europäischen Union“ beinhaltet. Hier ist neben der systematischen Zusammenstellung im Teil A besonders die Darstellung der verbleibenden „Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten“ (B., Rdnr. 190 ff.) hervorzuheben, die Epiney ausführlich darstellt und innerhalb deren der Mitgliedstaat durchaus Erwägungen wie sie hier eingangs angesprochen wurden, anstellen mag.
Der zweite Teil über das Sekundärrecht besteht aus vier Einzelkapiteln, die mit einer Darstellung von allgemeinen Regeln (Kap. 6) beginnen, die nach einem kurzen Überblick das Umweltinformationsrecht (B.), das Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung (C.), die Umweltzeichen (D.), „Umweltmanagement und Umweltbetriebsmanagement“ (E.), „Finanzielle Instrumente“ (F.), „Umwelthaftung“ (G.) und „Umweltstrafrecht“ (H.) und „Umweltemissionen“ (I.) beinhalten.
Kapitel 7 behandelt das auch im systematisch dargestellten nationalen Umweltrecht bekannte „medienschützende Umweltrecht“ mit dem Gewässerschutz, der Luftreinhaltung, dem Bodenschutz und dem Lärmschutz.
Kapitel acht behandelt den „Schutz vor bestimmten Tätigkeiten oder Stoffen“, mit den Einzelthemen „gefährliche Stoffe“, „industrielle Risiken“ sowie „Bio- und Gentechnologie“, während Kapitel 9 konsequent noch einmal der „Bewirtschaftung von Umweltressourcen“ gewidmet ist. Hier geht es um den Schutz der Erdatmosphäre (A.) wie das Klimaschutzrecht (B)., den Schutz der natürlichen Umwelt (u. a. Artenschutz, C.) und das Abfallrecht (D.).
Zieht man ein Fazit, so lässt sich feststellen, dass Epiney hier ein Standardwerk geschaffen hat, in das man gerne hineinblickt – nicht zuletzt auch, um die Umsetzung europäischer Initiativen in nationales Recht angemessen bewerten zu können.
Gerade vor dem Hintergrund des „Kreislaufwirtschaftspakets“ der EU von 2015 bleibt das europäische Umweltrecht ein dynamisches Rechtsgebiet, und es dürfte auch in Zukunft mit weiteren Neuauflagen zu rechnen sein.
Astrid Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union. 2. Auflage, Nomos Verlag Baden Baden 2019, 679 S., 98 Euro (ISBN 978-3-8487-3384-2)