„Selbstoptimierung und Enhancement. Ein ethischer Grundriss“ von Dagmar Fenner
Thomas Claer
Selbstoptimierung? Enhancement? Was ist denn das für ein neoliberaler Bullshit?! So denkt man sich im ersten Moment, wird aber schon beim flüchtigen Blättern in diesem Buch, das man eher zufällig auf den Schreibtisch bekommen hat, eines Besseren belehrt. Ein „ethischer Grundriss“ ist dies also, aus der Feder der Schweizer Philosophie-Professorin Dagmar Fenner, die darin eine Systematisierung dieser ebenso vieldiskutierten wie unübersichtlichen Thematik unternimmt – einschließlich einer abstrakten Klärung der Grundbegriffe sowie einer Herausarbeitung und ausführlichen Abwägung aller nur denkbaren Argumente dafür und dagegen. Und so erkennt der zunächst nur mäßig an diesem Themenfeld interessierte Leser schnell, dass dieses Wissensgebiet weitaus komplexer und vielschichtiger ist, als er zunächst angenommen hatte…
Allerdings führt die Abbildung auf dem Buchcover – der schöne nackte David von Michelangelo in seiner durchtrainierten Muskelpracht, wenn auch hier mit abgeschnittenem Unterleib – ein wenig in die Irre. Denn um sportliche Ertüchtigung geht es in dieser Studie nahezu überhaupt nicht. Vielmehr liegt der Schwerpunkt dieser Untersuchung auf dem sogenannten Enhancement, d.h. den technikbasierten, vorwiegend biomedizinischen Methoden zur menschlichen Selbstverbesserung.
Das Buch besteht aus vier Teilen, deren erster als eine Art Einleitung in dieses Wissensgebiet fungiert, indem er die einschlägigen Begriffserklärungen liefert sowie die vertretenen Positionen und kulturellen Kontexte aufzeigt. Hierbei ist insbesondere die „Arbeit am Begriff“ auch dringend nötig, denn vieles läuft ja in den einschlägigen Debatten und Diskursen oftmals munter durcheinander. „Selbstoptimierung im Allgemeinen“, so erfahren wir, ist demnach „jede Selbstverbesserung eines Subjekts bis hin zum bestmöglichen oder vollkommenen Zustand“. Darunter fallen dann auch Bildung, Erziehung, Meditation und sportliches Training sowie auch z.B. das Üben eines Musikinstruments. Dagegen bezieht sich die Selbstoptimierung im engeren Sinne lediglich auf technikbasierte, zumeist biomedizinische oder pharmakologische Methoden – und genau dies ist mit dem schillernden Begriff „Enhancement“ gemeint. Doch wird dieses dann sogleich von rein therapeutischen Eingriffen abgegrenzt: Enhancement richtet sich somit nur an eigentlich Gesunde und nicht an medizinisch Bedürftige. Natürlich wirft all das gleich wieder neue Fragen auf: Wann ist jemand krank und wann gesund? Was bedeutet überhaupt Verbesserung? Und nach welchem Ideal wird hier gestrebt? Dies alles untersucht die Autorin (und sorgt dabei noch für viele weitere Abgrenzungen in allen nur denkbaren Richtungen) auf den 58 Seiten des ersten Teils und darüber hinaus auch auf den 60 Seiten des zweiten Teils, der die sogenannten „normativen Bezugsgrößen“ wie Glück, Gerechtigkeit, Freiheit und Würde näher unter die Lupe nimmt. Beispiel: Wann führt jemand ein glückliches Leben? Wenn er oder sie im Leben möglichst viel Freude und Lust empfindet, so die philosophische Schule des Hedonismus. Eine andere Antwort, mit der die Verfasserin erkennbar stärker sympathisiert als mit der vorigen, lautet: Wenn er oder sie die eigenen Lebensziele erreicht und sich die eigenen Wünsche erfüllen…
Der dritte bis fünfte Teil, die mehr als die Hälfte des Buches ausmachen, behandeln dann das „körperliche Enhancement“ (Schönheitsoperationen, Lebensverlängerungen, Digitale Selbstvermessung und Doping im Sport) sowie das „Neuro-Enhancement“ (Emotionales Enhancement, Kognitives Enhancement und Moralisches Neuroenhancement) und schließlich das „Genetische Enhancement“.
Nach der Lektüre des Werkes, die man keineswegs durchgängig als ein Vergnügen und mitunter schon als recht zäh empfinden konnte, sieht man immerhin manches etwas klarer. Natürlich besteht der Verdacht keineswegs zu Unrecht, dass der Einzelne durch gesellschaftlichen Druck, vor allem hinsichtlich der Verwertbarkeitskriterien des Arbeitsmarktes, fortwährend optimiert werden soll. Selbst der DUDEN definiert Selbstoptimierung als „(übermäßige) freiwillige Anpassung an äußere Zwänge, gesellschaftliche Erwartungen oder Ideale“. Doch anknüpfend an letzteres – die Ideale – hält die Verfasserin dagegen: „Aus der Teilnehmerperspektive hat Selbstoptimierung weniger mit Druck, Erfolg und Ehrgeiz zu tun, sondern viel mehr mit Gestaltungsfreiheit, Selbstbestimmtheit und Selbstverwirklichung.“ Wer sich selbst optimiert, tut dies ja vielleicht gar nicht, um den Erwartungen anderer zu entsprechen, sondern vor allem, um sich selbst etwas Gutes zu tun. Aber wo verläuft hier die Grenze? Wer z.B. anderen einen schönen Anblick bieten will und sich ihnen daher stets schlank und durchtrainiert präsentiert, will ja vielleicht vor allem ihre begehrlichen Blicke ernten. Doch wie ist ein solches Motiv ethisch zu bewerten?
Wenn dann schließlich Schönheitsoperationen, Glücks- oder Gedächtnispillen, überhaupt alle möglichen pharmazeutischen Substanzen (die im Buch sämtlich im Detail vorgestellt werden) ins Spiel kommen, perspektivisch sogar ins Gehirn eingepflanzte Festplatten zur Verbesserung der Merkfähigkeit oder auch eingepflanzte Chips unter der Haut, die für eine ständige Verbindung ins Internet sorgen, unterscheidet die Autorin zwischen den „Bio-Konservativen“, die grundsätzlich dagegen sind, und den „Bio-Liberalen“, die grundsätzlich dafür sind, sowie den Transhumanisten, die für eine noch weitergehende Verschmelzung von Mensch und Technik – gewissermaßen als nächsten Evolutionsschritt – plädieren. Sehr ausführlich untersucht die Autorin die Stichhaltigkeit aller insofern vorstellbaren Argumente des Für und Wider – und gibt am Ende mit Abstrichen den „Bio-Liberalen“ Recht, auch weil die Bio-Konservativen (zu denen dann sogar jemand wie Jürgen Habermas gerechnet wird), hauptsächlich ein diffuses Unwohlsein oder mitunter irrationale traditionelle Maßstäbe (wie etwa ein religiöses Menschenbild) gegen das Enhancement ins Feld führen. Und in der Tat: Rein rational betrachtet ist der Autorin ausdrücklich zuzustimmen. Dennoch würde z.B. ich selbst mich, egal wie viele gute Gründe es dafür geben mag, nie im Leben auf so ein Enhancement einlassen. Selbst wenn ich kein einziges stichhaltiges Gegenargument haben sollte… Mir genügt vollkommen mein diffuses Unwohlsein, um für alle Zeiten die Finger von so etwas zu lassen…
Sollte man den ganzen Kram dann also nicht besser verbieten? Da es dafür, wie gesagt, keine wirklich überzeugenden Gründe gibt, kann man das schlecht machen. Und außerdem greift hier ein Argument, das die Verfasserin als ein „schwaches, weil fatalistisches“ bezeichnet: Es wird doch ohnehin gemacht, was geht. Irgendwo, in der rechtlichen Grauzone… Wer es wirklich will, der kriegt schon irgendwie und irgendwo sein Enhancement. Nein, sagt dazu die Autorin, so gehe das nicht, so könne man nicht argumentieren. Es brauche eine rationale öffentliche Debatte darüber, welche Formen des Enhancements zugelassen werden sollten und welche nicht. Einverstanden. Und dennoch wird ganz sicher alles, was technisch machbar ist und wofür es eine Nachfrage gibt, auch irgendwann zu haben sein. Und die Menschen werden es dann nutzen oder auch nicht, je nachdem, was ihr Bauchgefühl ihnen sagt. Wer aber zusätzlich noch eine rationale Begründung für sein Verhalten sucht, um sich vor sich selbst oder vor anderen dafür zu rechtfertigen, der wird vielleicht zu diesem informativen Buch greifen.
Dagmar Fenner
Selbstoptimierung und Enhancement. Ein ethischer Grundriss
Utb Verlag 2019, 350 Seiten, 24,99 Euro
ISBN-10: 3825251276