Brettern, Schrammeln, Frickeln

Ein großes Werk des Übergangs: Vor 25 Jahren erschien „12“ von The Notwist

Thomas Claer

So wie man sich eigentlich ganz sicher ist, dass Otto Schily niemals bei den Grünen gewesen sein kann und Thilo Sarrazin nicht in der SPD, es aber aufgrund historischer Aufzeichnungen dennoch besser weiß, so glaubt man auch zu wissen, dass die genialische Indie-Band The Notwist nie etwas mit Heavy Metal zu tun gehabt haben kann. Und dennoch haben die Soundtüftler aus Oberbayern ihre ersten beiden Alben ausgerechnet in diesem eher grobschlächtigen Genre gefertigt. Es lohnt sich schon, diese beiden Frühwerke noch einmal anzuhören, denn hinter der Lärmwand aus wildem Gebretter lauern doch hier und da bereits erste zarte Spuren der unverkennbar melancholischen und später so stilprägenden Notwist-Harmonien.

Noch viel mehr gilt dies aber für ihre dritte Platte „12“, den ersten wahren Geniestreich aus dem Notwist-Kosmos, den sie vor genau 25 Jahren, im Sommer 1995, einer erstaunten Welt präsentierten: noch sehr gitarrenlastig, aber doch ganz anders als auf ihren Erstlingen – und sogar schon mit ersten elektronischen Spielereien. Kurz gesagt: aus Gebretter wurde Geschrammel, und hinzu trat erstmals das für sie später so charakteristische Gefrickel. Doch ist der eigentliche Frickel-Song auf der regulären Version von „12“ gar nicht drauf. Er findet sich nur auf der den ersten 5000 Exemplaren beigefügten Bonus-CD „Loup“ und ist die gleichnamige vollelektronische Version des Album-Openers „Torture Day“. Hier durfte sich erstmalig Martin Gretschmann (alias Console) austoben, der später neben den Brüdern Micha und Markus Acher festes Bandmitglied wurde. Ganz besonders besticht auf „Loup“, das leider nicht auf YouTube zu finden ist, aber auch der unerhört laszive Gastgesang der Amerikanerin Cindy Dall, die zu jener Zeit auch mit der Band Smog kooperierte sowie zwei wenig beachtete Solo-Alben herausbrachte. (Später hat Cindy Dall hauptsächlich als Fotografin gewirkt und ist dann leider bereits 2012 im Alter von nur 41 Jahren gestorben.) „Loup“ sollte The Notwists einziges Experiment mit einer weiblichen Stimme bleiben.

In den Jahren darauf sind die bayrischen Indie-Götter mit ihrem blauen Album „Shrink“ (1998) und ihrem roten Album „Neon Golden“ (2002) dann endgültig auf dem Olymp ihrer Kreativität angekommen. Das Gesamturteil für das bunte Album „12“ (einschließlich der „Loup“-Single!) lautet: gut (15 Punkte).

The Notwist
12
IRS CD 984.064 (1995)

Veröffentlicht von on Aug. 17th, 2020 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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