Fischer-sin-Fru-Syndrom

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

als ich meiner heutigen Frau vor 26 Jahren im Studentenwohnheim erstmals zum Frühstück ein Schälchen Müsli servierte, fand sie es gar nicht so schlecht und war offenbar ganz zufrieden damit. Doch das hielt nicht lange an. Schon nach wenigen Wochen beschwerte sie sich über das Plastikschälchen, in dem ich ihr das Müsli zu offerieren pflegte. Das sei in ihren Augen ein Hundenapf, und sie wolle das Müsli lieber aus einem richtigen Schälchen aus Porzellan zu sich nehmen. Da ich nicht über ein solches verfügte (Warum auch? Wozu braucht man sowas im Wohnheimzimmer?), stellte sie mir eins von ihren zur Verfügung, und nun war sie wieder vollauf zufrieden mit meinem Müsli, und das sogar für mehrere Jahre.

Aber dann kam sie irgendwann darauf, dass sie die Milch im Müsli nicht vertrage, und verlangte nach etwas anderem. Nachdem ich ihr dann einmal probeweise Müsli mit Kefir vorgesetzt hatte, was ihr sehr gut schmeckte, wollte sie das von nun an jeden Tag, und ich fügte mich. Täglich Kefir ist zwar nicht ganz billig, aber es ist ja supergesund, das „Getränk der Hundertjährigen“, heißt es. Und wenn man immer konsequent zum “Gut und günstig“-Kefir greift, der absolut keinen Unterschied zum teuren Markenkefir aufweist, außer im Preis, dann hält sich die Kostenbelastung noch halbwegs im Rahmen.

Das ging wieder einige Jahre gut, bis meine Schwiegereltern zu Besuch kamen und beim Frühstück vorwurfsvoll fragten, ob wir ihnen denn gar kein frisches Obst im Müsli anbieten könnten. Nachdem ich frische Blaubeeren besorgt hatte, waren alle zufrieden. Nur dass meine Frau seitdem täglich nach frischem Obst im Müsli verlangt. Dabei ist doch schon jede Menge getrocknetes Obst im Müsli drin, aber frisches Obst ist natürlich noch mal was anderes und weitaus gesünder. Also fügte ich mich auch diesmal und sorge seitdem täglich auch für frisches Obst im Müsli. Und wenn wir mal keins haben, ist meine Frau immerhin auch mit gefrorenen Himbeeren einverstanden. So läuft es auch von den Kosten her nicht völlig aus dem Ruder. Wenn gefrorene Himbeeren im Angebot sind, dann kaufe ich immer gleich mehrere Beutel als Vorrat.

Ein paar Jahre lang war meine Frau also damit zufrieden. Dann aber fiel ihr ein, dass Walnüsse so gesund sind, und von nun an wollte sie ihr Müsli auch noch mit Walnüssen essen. Dabei sind doch ohnehin schon reichlich Nüsse im Müsli drin. Aber sie wollte unbedingt Walnüsse. Na gut, seitdem mache ich ihr und mir jeden Tag noch zusätzlich eine Walnuss ins Müsli. Allerdings beklagte sie sich schon bald darüber, dass ich bloß die Walnusskerne aus der Tüte nahm und verlangte stattdessen täglich eine frisch geknackte Walnuss. Okay, seitdem kaufen wir immer ganze Walnüsse, und sie bekommt jeden Tag eine ins Müsli, ich natürlich auch.

Aber damit war sie nach einigen Monaten auch schon nicht mehr zufrieden. Nun hatte sie Kokoschips entdeckt und verlangte zusätzlich auch nach denen in ihrem Müsli. Seitdem bekommt sie von mir jeden Morgen eine Portion Müsli im Porzellanschälchen mit Kefir, frischem Obst, einer frisch geknackten Walnuss und Kokoschips. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, was wohl als nächstes kommen wird. Es gibt ja noch einige Möglichkeiten: Chia-Samen, Goji-Beeren und dergleichen. Bislang konnte ich solche Extravaganzen noch erfolgreich abwehren. Aber es ist absehbar, dass es irgendwann darauf hinauslaufen wird…

Ohne meine Frau würde ich vermutlich heute noch mein Müsli einfach nur mit H-Milch aus dem Plastikschälchen zu mir nehmen. Aber so, wie wir es jetzt essen, ist es sicherlich weitaus gesünder. Das ist dann schon in Ordnung. Nur manchmal werde ich dann doch etwas wütend, wenn meine Frau sich beklagt, welche Qualen ihr, die aus Ostasien stammt, mein europäisches Frühstück mit Müsli, Käse- und Marmeladenbrot jeden Morgen bereitet. Eine tägliche Folter sei das für sie!! (Dabei essen wir doch ein- bis zweimal täglich Reis, wie sie es möchte.) Und wenn ich mir dann die Bemerkung erlaube, dass sie aber auf recht hohem Niveau jammere und es ihr ganz offensichtlich zu gut gehe, dann heißt es, ich hätte einfach überhaupt kein Verständnis für sie…

Na gut, das mit dem Müsli ist ja eigentlich auch nur ein Beispiel. Mit ihren Klavieren war es ja so ähnlich: Erst das digitale Klavier, dann das richtige Klavier und schließlich der Flügel… Oder mit unseren Wohnsituationen: Im Studentenwohnheim hieß es immer: „Ziehen wir um in eine richtige Wohnung!“ Dort angekommen hieß es schon nach kurzer Zeit: „Ziehen wir um nach Berlin!“ Und dort wiederum hieß es dann bald: „Ziehen wir um in eine bessere Gegend!“ Und da ging es weiter mit: „Ziehen wir um in eine coolere Gegend!“

Immer habe ich gewarnt, dass dieses ständige Upgraden ein böses Ende nehmen kann. Ist es denn so schwer, einfach mal mit dem zufrieden zu sein, was man hat? Offensichtlich ja. Und wenn ich ehrlich bin, kann ich mich auch selbst nicht ganz von diesem fatalen Antrieb freisprechen. Zum Beispiel hätte ich schon längst immer mehr afrikanische Skulpturen angeschafft (obwohl wir bereits einige besitzen) und unsere Wohnung damit vollgestellt, wenn meine Frau das nicht mit aller Macht unterbunden hätte. Und von anderen Dingen will ich gar nicht erst reden… Vermutlich steckt wohl in beinahe jedem Menschen eine so unersättliche Fischersfrau wie die im Märchen der Brüder Grimm…

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Aug 23rd, 2021 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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