Verbrechen lohnen sich

Ferdinand von Schirach und der Kleist-Preis

Jean Claude Alexandre Ho

Dass sich Verbrechen lohnen, das würde Ferdinand von Schirach seinen Mandanten nie sagen. Beim Berliner Strafverteidiger selbst sieht das anders aus. Nicht, dass er nun selbst straffällig geworden wäre. Vielmehr hat er den diesjährigen Kleist-Preis gewonnen, und zwar für sein literarisches Debüt Verbrechen.

Ferdinand von Schirachs Verbrechen versammelt eine Reihe von Kurzgeschichten, ungewöhnlichen Fällen aus seiner Praxis nachgebildet. In einer klaren, unprätentiösen Sprache erzählt er von Mördern, Bankräubern und anderen außergewöhnlich-gewöhnlichen Verbrechern. Mit seinen Stories schickt von Schirach sich an, gewissermaßen der Oliver Sacks der Juristen zu werden. Bekanntlich schrieb der britische Neurologe Sacks anekdotische Geschichten über Autisten und andere seiner Fälle.

Lesende Juristen – vor allem Strafrichter, Staatsanwälte und Strafverteidiger – mögen daran zweifeln, ob sie bei der literarischen Bettlektüre an die Arbeit denken wollen. Zwar greift der Einwand beruflicher Nähe bei jedem Strafrechtler, der zum Krimi greift. Doch anders als bei Commissario Brunetti oder Scott Turrows Strafverteidiger Sandy Stern wollen von Schirachs Verbrechen wirklichkeitsnah wirken. Da mag es sich für den lesenden Juristen eher lohnen, den Lumpenanwalt der Pariser Strafverteidigerin Hannelore Cayre zur Hand zu nehmen. Mit viel Witz und Tempo erzählt sie darin von den abstrusen Verbrechen, in die ein abgehalfterter Pflichtverteidiger verwickelt wird.

Von der Kritik wurde von Schirachs Kurzgeschichtensammlung gut aufgenommen, in der außerjuristischen Welt ist sie gut angekommen. In über zwanzig Länder wurden die Rechte bisher verkauft, die Filmrechte gar schon erworben. Damit übertrifft von Schirach einen anderen Wahlberliner und Dichterjuristen: Bernhard Schlink schaffte den internationalen Durchbruch erst mit seinem Vorleser, auch wenn die Kriminalromane um den kauzigen Privatdetektiv Selb beachtet und geachtet wurden. Ferdinand von Schirach wird nun beweisen müssen, dass er den Kleist-Preis auch verdient hat.

Zum 101. Todestag von Heinrich von Kleist gestiftet als Ehrengabe für „aufstrebende und wenig bemittelte Dichter deutscher Sprache“, wurde der Kleist-Preis von 1912 bis zum Ende der Weimarer Republik und nun wieder seit 1985 verliehen. Nach wie vor wird der Preisträger von einer einzigen Vertrauensperson bestimmt. Begründung: Mehrheiten würden sich erfahrungsgemäß auf Durchschnittstalente einigen – „Nur ein einzelner kann sich rücksichtslos für das Außerordentliche einsetzen.“ Der diesjährige Vertrauensmann, Bernd Eilert, kürte Ferdinand von Schirach.

In der WELT hält man dies für verwunderlich. Dort kreidet Jacques Schuster dem Preisträger an, dass dieser als Strafverteidiger – und damit auch als Dichter – reich bemittelt sei. Gewiss gibt es auch heute unter Deutschlands Dichtern so manchen, der sich Spitzwegs Armen Poeten zum Vorbilde nimmt. Doch so wenig bedürftige Literaten für den Kleist-Preis würdiger sind, dürfen genau so wenig reicher bemittelte Dichter vom Preis ausgenommen sein. Der mit 20.000 Euro dotierte Preis ist kein Almosen.

WELT-Autor Schuster zweifelt auch nicht daran, dass Ferdinand von Schirach schreiben kann. In der Tat kann der gelernte Anwalt nicht nur Schriftsätze verfassen. Im Unterschied zu den bisherigen Preisträgern Brecht und Zuckmayer – Schwergewichten der deutschen Literatur – wird von Schirach allerdings als zu leicht befunden. Doch dieser Einwand geht fehl; er richtet sich höchstens gegen die bisherige Vergabepraxis. Denn in jüngerer Zeit ging der Kleist-Preis selten an einen „aufstrebenden“ Dichter. Der Büchner-Preisträger Genazino erhielt drei Jahre später den Kleist-Preis; der Dichterjurist Mosebach war schon fast zwanzig Jahre erfolgreich im Schreibgeschäft tätig, als er den Preis entgegennahm.

Mit dem literarischen Debütanten Ferdinand von Schirach wird dagegen ein „aufstrebender Dichter“ ausgezeichnet, der im Herbst nach Verbrechen passenderweise von Schuld erzählen will. Im Vorjahr des Kleist-Jubiläums wird ein Dichterjurist ausgezeichnet, dessen Werk im Werden um das Verbrechen kreist, genau wie Kleists Werke Michael Kohlhaas, Der Prinz von Homburg und Die Marquise von O…. Für Ferdinand von Schirach haben sich die Verbrechen seiner Mandanten gelohnt: als Anwalt und als Autor.

Veröffentlicht von on Mai 10th, 2010 und gespeichert unter LITERATUR, RECHT LITERARISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

1 Antwort for “Verbrechen lohnen sich”

  1. Jean-Claude Alexandre Ho sagt:

    Nach der für Herbst 2010 angekündigten Kurzgeschichtensammlung „Schuld“, die Ferdinand von Schirach im Gespräch mit der Legal Tribunal Online als vielleicht etwas dunkler und essentieller als sein Debüt „Verbrechen“ beschreibt, werde er etwas anderes schreiben als Kurzgeschichten, kündigte der Schriftsteller an.

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