Gendern

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

eigentlich bin ich immer der Meinung gewesen, man sollte gewissen absonderlichen Auswüchsen einfach keine Beachtung schenken, um sie dadurch nicht noch weiter aufzuwerten. Aber so langsam kann man Binnen-I, Gendersternchen, Tiefstrichen und Doppelpunkten mitten im Wort sowie sonstigen sprachideologischen Verrücktheiten kaum noch entkommen. Dass nun sogar schon in den seriösen ZDF-Nachrichtensendungen dieser sprachverhunzende Quatsch gepflegt wird, hätte ich noch vor kurzem nicht für möglich gehalten. Und nun hat auch noch die Privat-Uni, an der ich meine Vorlesungen abhalte, eine Rundmail an die „DozentInnen“ geschickt mit der Aufforderung, doch bitte immer eine gendergerechte Sprache zu verwenden. Dabei ist grundsätzlich gegen eine geschlechtergerechte Sprache gar nichts einzuwenden. Im Gegenteil, sie ist sogar ausdrücklich zu begrüßen. Auch wenn es manchmal etwas umständlich ist, sage ich immer „Studentinnen und Studenten“, wobei das genau genommen auch schon nicht mehr ganz korrekt ist, weil man dadurch ja die „nichtbinären Personen“ ausgrenzt. So wie man aus diesem Grunde auch nicht mehr „Meine Damen und Herren“ sagen darf. Das ist, glaube ich, noch nicht einmal unseren Sprachwächtern bzw. SprachwächterInnen aufgefallen, dass diese ganzen linguistischen Verrenkungen allesamt die „nichtbinären Personen“ nicht mit einschließen, die ja weder Sprachwächter noch Sprachwächterin sein wollen, sondern „Sprachwächter*In nicht binär“. Oder so ähnlich.

Mein Freund aus der Ukraine hat immer gesagt, so etwas seien Luxusprobleme, und wir sollten doch froh darüber sein, dass hierzulande überhaupt auf so etwas wie korrekte Sprache geachtet werde. In der Ukraine verwende man zum Beispiel „schwul“ als Schimpfwort und niemand käme auf die Idee, das kritisch zu hinterfragen. Und es ist ja auch zweifellos ein großer Fortschritt, dass man erkannt hat, dass Sprache eine ausgrenzende Wirkung haben kann. Aber muss das denn wirklich dazu führen, dass einem eine solche komplett schwachsinnige Schreib- und Sprechweise vorgeschrieben wird?! Der nächste Schritt in diese Richtung wäre dann vermutlich eine Art für alle verpflichtender Maschinencode, der nur noch aus Zahlen und Buchstabensalat besteht, weil Genderforscher entdeckt haben, dass unsere gesamte bisherige Sprache frauen- und minderheitenfeindlich kontaminiert ist und aus diesem Grunde gar nicht mehr verwendet werden darf… Natürlich sollen alle, die es unbedingt wollen, gerne so reden oder schreiben dürfen, auch offiziell. In einem freien Land muss man eine Menge ertragen können. Wer glaubt, er muss, der soll. Bzw. die soll. Aber die Allgemeinheit darauf verpflichten zu wollen, dagegen sträubt sich einfach alles in mir.

Und ist es denn überhaupt eine große Gleichstellungshilfe, wenn so verquer geschrieben und gesprochen wird? Gerade habe ich gelesen, dass in Japan eine genau entgegengesetzte Debatte darüber geführt wird: Dort kämpfen Frauenrechtlerinnen dafür, jeweils mit der männlichen Form angesprochen zu werden, weil die traditionelle weibliche Form, z.B. Lehrerin oder Juristin, einen abwertenden Klang hat. Die japanischen Frauen wollen tatsächlich so wie ihre männlichen Kollegen Lehrer und Jurist genannt werden. Man kann es also auch ganz andersherum sehen und beurteilen!

Oder ist dieses ganze Tamtam um die angeblich korrekten Ausdrucksformen aus dem Sprachlabor nicht vielleicht sogar ein Ablenkungsmanöver von den wirklich bedeutsamen Fragen rund um die Gleichstellung von Geschlechtern und Minderheiten? Wäre es nicht viel wichtiger, endlich einmal das vielzitierte Gender Pay Gap anzugehen, das in Deutschland, wie einschlägige Studien zeigen, noch weiter auseinander klafft als irgendwo sonst in Europa? Und wäre es nicht auch sinnvoll, eine Kampagne von Prominenten für eine angemessene männliche Beteiligung an der Hausarbeit zu starten? Oder dass endlich die Hälfe aller Bundesministerien mit Frauen besetzt wird, wie es ja jetzt tatsächlich kommen soll? Es gibt eigentlich so vieles, was weitaus wichtiger wäre als Binnen-I und Genderstern.

Umgekehrt gibt es natürlich auch unendlich viele Missstände in der Welt, die viel schlimmer sind als dieser alberne Firlefanz. Eigentlich lohnt es sich überhaupt nicht, sich darüber aufzuregen. Ich werde es auch hoffentlich nicht wieder tun.

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Okt. 11th, 2021 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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