Nach über 33 Jahren in US-Haft hat der deutsche Schriftsteller Jens Söring über sein erstes Jahr in Freiheit ein Buch geschrieben, in dem er beteuert, unschuldig zu sein
Benedikt Vallendar
„Ich muss gar nichts“. Dieser Satz steht im Postkartenformat auf Jens Sörings Nachtisch. Und immer, wenn er morgens aufwacht, wird ihm klar, dass er nun tatsächlich dort ist, wo er immer hinwollte: In der Freiheit. Will sagen: Dass er zur Toilette gehen kann, wann er möchte, entscheiden kann, ob er sich Kaffee macht oder Saft trinkt oder es vorzieht, den Tag über gleich im Bett zu verbringen. Banale Freiheiten, über die sich der Durchschnittsbürger überhaupt keine Gedanken macht und doch für Jens Söring den Beginn eines neuen Lebensabschnitts markierten. 1986 soll er in den USA die Eltern seiner damaligen Freundin bestialisch ermordet haben; abgelegte und eigenhändig unterschriebene Geständnisse zog er später zurück und wurde doch im Juni 1990 zu zwei Mal lebenslänglich verurteilt. Die deutsche Regierung setzte sich seinerzeit nur halbherzig für ihn ein, wohl auch, um das Verhältnis zu den USA bei der bevorstehenden Wiedervereinigung nicht zu belasten.
Ostdeutscher Priester als Wegbegleiter
Geholfen bei den ersten Schritten in der Freiheit hat Söring unter anderem der katholische Seelsorger und gebürtige Sachsen-Anhaltiner Bernd Kaut (76), der ihn in seiner Haftzeit begleitet und zum katholischen Glauben bekehrt hat. Über einige Jahre leitete Söring im Gefängnis eine Meditations- und Glaubensgruppe, verfasste sechs Bücher und hielt den Kontakt zur Außenwelt, seinen Unterstützern, die bis heute an seine Unschuld glauben. Dass sie weiter in diesem Glauben bleiben, ist Söring ein großes Anliegen, sagt er. Der Glaube an Sörings Unschuld ist der weltanschauliche Kitt, der die Gruppe zusammenhält, ähnlich wie bei einer Sekte, haben kritische Beobachter wiederholt angemerkt und darauf verwiesen, dass die Gruppenikone der Söring-Jünger nur auf Bewährung freigelassen wurde. Bezeichnend ist, dass Interviewanfragen kritischer Journalisten konsequent abgeblockt werden und Sörings bisherige Talkshowauftritte nach fest gelegtem Drehbuch abliefen.
PR-Profis im Schlepptau
Seit seiner Freilassung wohnt Söring bei einer Gastfamilie in Hamburg, bestreitet seinen Lebensunterhalt aus Buchtantiemen und möchte in wenigen Wochen die erste eigene Wohnung beziehen, sagt er. Hartz IV habe er nie beantragt, auch um sich nicht in „neue Unfreiheit“ zu begeben, heißt es aus seinem Unterstützerkreis. Der Besuch im Radiostudio des SWR war nur einer von vielen, denn seit seiner Freilassung tingelt Söring von einem Sender zum nächsten, betreut von Leuten, die im Hintergrund darauf achten, dass er stets das Richtige und bloß nichts Falsches sagt.
Alleine aufs Bad
Dementsprechend feinfühlig und mit ausgerichteten Antennen beschreibt Söring in seinem siebten und jüngst erschienenen Buch „Rückkehr ins Leben“ (C. Bertelsmann 2021) seine ersten Schritte in der Freiheit, für die er so lange gekämpft hat. Das gute Essen, die frischen Gerüche oder allein die Tatsache, dass er sich alleine aufs Bad zurückziehen kann, ohne beobachtet zu werden, bilden nur einen Teil dessen ab, was das neue Leben außerhalb der Knastmauern ausmacht. Seinen Lebensunterhalt möchte Söring künftig als Lebensberater und Vortragsredner bestreiten, sagt er, Menschen dabei helfen, mit Krisensituationen umzugehen, nicht zu verzweifeln und nicht aufzugeben, auch wenn die Lage noch so aussichtslos erscheint.
Als der deutsche Diplomatensohn im Dezember 2019 nach mehr als 33 Jahren in US-Haft abgeschoben wurde und wenige Wochen später in Frankfurt am Main landete, warteten dort sein hoch motiviertes Unterstützerteam und viele PR-Profis, darauf getrimmt, Menschen wie Produkte zu vermarkten und mit Büchern Umsatz zu generieren. Den Medienprofis kam zupass, dass es Jens Söring glänzend versteht, die Klaviatur seines Gegenübers zu spielen, will sagen: blitzschnell zu begreifen, wie andere „ticken“ und sich darauf einzustellen. Einst wollte der Klassenprimus mit den Studienfächern BWL, Psychologie und Sinologie Karriere im diplomatischen Dienst machen und wäre damit wohl auch erfolgreich gewesen, hätte ihm das Schicksal anders mitgespielt.
Aktuelle Literaturempfehlung:
Jens Söring: Rückkehr ins Leben. Mein erstes Jahr in Freiheit nach 33 Jahren Haft, C. Bertelsmann Verlag 2021, 301 Seiten, 20 Euro.