Die promovierte Astrophysikerin, FAZ-Redakteurin und TV-Moderatorin Sibylle Anderl beschränkt sich bei der Frage, was das Leben ausmacht, nicht auf naturwissenschaftliche Lehrsätze
Benedikt Vallendar
Ja, Katholikin sei sie und werde das wohl auch bleiben, sagt Sibylle Anderl. Und das trotz der vielen Fragen, die sie von der Kirche nicht beantwortet bekäme. Während des Studiums betätigte sich Anderl als Kinderbuchillustratorin, malte und zeichnete, um Heranwachsenden zu zeigen, wie man ein gesundes Leben führt. Die bildende Kunst wurde ihr in die Wiege gelegt und war später schriftliches Abiturprüfungsfach an der katholischen Liebfrauenschule in Oldenburg, wo sie mit Auszeichnung maturierte. Eine ihrer früheren Schulkameradinnen war die spätere RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, die sich fünf Jahre vor Anderls Geburt das Leben nahm.
Empirie und Glaube
Bekannt wurde Sibylle Anderl als Fernsehmoderatorin auf Bayern Alpha, Vortragsrednerin und Talkgast in verschiedenen Radiosendungen. Immer wieder geht es in ihren Beiträgen um die Frage nach dem Ursprung des Lebens, um Fragen der Erkenntnis und den menschlichen Drang, das Wissen um das, was uns umgibt, zu erweitern. „Gleichwohl es Grenzen der Erkenntnis gibt, die wir akzeptieren müssen“, sagt Anderl. Studiert hat sie Physik, Technikgeschichte und Philosophie an der Technischen Universität Berlin und später in Bonn promoviert, verbunden mit häufigen Umzügen und immer auf der Suche nach Erkenntnis rund um die Frage, worum der Ursprung des Lebens zentriert und wo die Grenzen liegen zwischen Kognition, Empirie und Glauben. Ihr Weg in den Grenzbereich zwischen Philosophie, Religion und Physik begann in der Oberstufe, wo sie eine Klasse übersprang, er führte sie rund um den Globus bis nach Chile, wo sie in der Atacamawüste in einem Observatorium den Himmel beobachtete, physikalische Daten auswertete und einem japanischen Forscherteam zuarbeitete.
Und dennoch. Bei aller Faszination für naturwissenschaftliches Denken stand dessen Relativität für Anderl nie außer Frage. „Die Naturwissenschaften erheben keineswegs den Anspruch, Wert- und Sinnfragen zu beantworten“, sagt sie, und auch im Verständnis des Menschen selbst seien ihre Grenzen offenkundig. „Für die Frage nach dem Sinn des Lebens und unserer Existenz muss jeder Mensch einen eigenen, individuellen Weg finden, ob das nun über den Glauben oder die Philosophie oder auf noch anderem Wege passiert“, sagt sie. Und wo sich da aus ihrer Sicht die Grenzen zum christlichen Glauben befänden? „Gleichzeitig erlebe ich immer wieder, dass der Glaube auch mitten in den Naturwissenschaften beginnen kann und damit nicht in Widerspruch stehen muss“, sagt Anderl. Die Tatsache, dass der Mensch in der Lage sei, im Kosmos eine Ordnung zu entdecken, die wir mit unserem begrenzten Geist unser Universum verstehen können, lasse uns erschaudern. Es transportiere ein Gefühl von Demut und Dankbarkeit, das nicht selten in ein heiliges Mysterium mündet, das Albert Einstein einmal als kosmische Religion beschrieben hat. Gerade die Astrophysik impliziere damit für viele Menschen eine direkte Verbindung zu dem, was wir als Glauben bezeichnen, so Anderl. Und dennoch stellt sich immer wieder neu die Frage, worin – außerhalb biologischen Wissens – die Keimzelle des Lebens besteht; eine Frage, auf die die moderne Forschung Antworten bietet, die noch lange nicht ausgereift erscheinen und somit auch jenseits physikalischer Lehrsätze Philosophie und Theologie eine Daseinsberechtigung besitzen.
Mission Mars
Für die Astrophysikerin Anderl ist die Frage nach dem Ursprung des Lebens erst einmal eine nach „den richtigen Voraussetzungen dafür“ im Kosmos. Man brauche dafür Chemie – etwa aus Kohlenstoff -, ein Lösungsmittel – hier nehmen wir flüssiges Wasser an -, Energie, eine katalytische Oberfläche und vermutlich viel Zeit. „Heute wissen wir, dass es diese Bedingungen an vielen Stellen im Kosmos gibt. Wie wahrscheinlich es ist, dass daraus tatsächlich Leben entsteht, wissen wir nicht“, sagt Anderl. Das könnte sich ändern, sobald wir Bodenproben vom Mars auf der Erde analysieren und Untersuchungen auf den Eismonden von Jupiter und Saturn durchführen können. Aus dieser Perspektive gesehen sehe sie momentan noch keine Anknüpfungspunkte für bereichernde Impulse aus der römisch-katholischen Kirche. Diese könnten aber helfen, wenn es darum geht, die Frage nach der Entstehung von Leben in einen Kontext einzubetten, der unserer menschlichen Existenz Bedeutung liefert, so Anderl.
Aufgewachsen ist die 41-Jährige in Norddeutschland in einer katholischen Familie, mitten in der Diaspora, wo die Kinder in manchen Gegenden nachmittags im privaten Kleinbus zum Religionsunterricht gefahren werden, weil das Fach in der Schule nicht angeboten wird. Ihr Vater wollte ursprünglich Lehrer werden und machte später Karriere als Dozent an einer Fachhochschule. Sibylle Anderl gehört auch zum Herausgeberteam des „Kursbuches“, einer Kulturzeitschrift, die ihre Wurzeln in der 68-er Bewegung hat, mit deren genderorientierten Konzepten sie aber wenig gemein habe und allen darauf gerichteten Fragen konsequent aus dem Weg geht. Sie sei, sagt Sibylle Anderl, wie viele andere erschüttert gewesen von den Missbrauchsfällen in der Kirche und glaube dennoch, dass in dieser Institution das „Gute“ überwiege. Dass vor allem die katholische Amtskirche einen Raum biete, an dem Sinnfragen überhaupt erst gestellt würden. Traurig war sie, sagt Anderl, als sich nach ihrem Umzug nach Frankfurt am Main, wo sie als Redakteurin für eine überregionale deutsche Tageszeitung arbeitet, niemand aus dem zuständigen Pfarrbezirk bei ihr gemeldet habe, kein Pfarrer, kein Gemeindevorstand, kein Mitarbeiter, niemand. Das zeige, so Anderl, wie sehr es innerkirchlich auf Kommunikation und Austausch ankäme, auch wenn das bei der Größe des Unternehmens Kirche sicherlich nicht immer einfach sei. Bis heute gehört sie in der Millionenstadt offiziell keiner Gemeinde an, besucht aber gelegentlich Vorträge und Lesungen in kirchlichen Einrichtungen soweit es ihre knapp bemessene Zeit erlaubt. Erst kürzlich war sie auf Vortragsreise in Italien, und traf dort Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt. Sie bereitet sich auf Moderationen vor, schreibt Fachartikel, die international rezensiert werden und ist in Gedanken wohl oft genug in ihrer norddeutschen Heimat, wo das Lebenselixier seit Menschengedenken aus nicht mehr als Wasser und Wind besteht.