Jean-Claude Alexandre Ho
Ein dunkler Weg führt ihn durch die Wüste. Doch Christophe Leibowitz-Berthier, Strafverteidiger in Paris und zeitweilig Gefängnisinsasse im Vorort Fresnes, lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Im Gefängnis landet der Rechtsanwalt aus Verlegenheit und Pflichtverteidiger aus Gelegenheit, nachdem Berufskollege Lakdar ihm zwei Millionen Euro auf ein Schweizer Nummernkonto verspricht, wenn Leibowitz mit Lakdars Mandanten den Platz tauscht. Zum Glück für den Mandanten (und Leibowitz’ Geldbeutel) sieht dieser Leibowitz zum Verwechseln ähnlich. Das Bäumchen-wechsel-Dich-Spiel gelingt, und fortan tauscht Leibowitz sein Zwei-Zimmer-Apartement im schönen Marais-Viertel gegen neun Quadratmeter mit Gittern in Fresnes ein.
Mit diesem Kunststück hat Leibowitz seinen Ruf als „Marc Dutroux der Pariser Anwaltskammer“ weg. Doch auch schon vorher stand es um sein Ansehen in den Gängen des Pariser Justizpalastes nicht zum Besten: Von vielen seiner Berufskollegen wird Leibowitz als „Lumpenanwalt“ ignoriert oder gar verachtet – lebt er doch vor allem von der Pflichtverteidigung. Die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit, vor allem auf die Kaste der Konferenzsekretäre hat es Leibowitz abgesehen. Konferenzsekretäre sind junge Anwälte, die sich in einem Wettbewerb der Pariser Anwaltskammer als besonders eloquent ausgezeichnet haben. In der Regel rekrutieren sie sich aus alten Juristenfamilien, was Leibowitz mit seiner kleinbürgerlichen Herkunft übel aufstößt. Nur bei einem macht er eine Ausnahme: bei seinem Freund und Verteidiger Bertrand. Gemeinsam mit Bertrand sucht er einen Weg, den Gefangenentausch seinem Komplizen Lakdar anzulasten und wieder aus dem Gefängnis zu kommen.
Als Leibowitz im französischen Strafgesetzbuch blättert, war der gewaltfreie Ausbruch eines Gefangenen in Frankreich nicht strafbar, was in Deutschland immer noch der Fall ist. Mittlerweile haben die Franzosen jedoch jede Art von Gefängnisausbruch unter Strafe gestellt. Wer allerdings einen Gefangenen befreit, wird diesseits wie jenseits des Rheins bestraft, nach französischem Recht gilt anders als im deutschen Recht für Verteidiger sogar eine verschärfte Strafe von bis zu zehn Jahren. Für die Gefangenenbefreiung durch Identitätswechsel dürfte sich die Autorin von dem Fall des ETA-Mitglieds inspiriert haben lassen, in dem sich der Gefangene von seinem Bruder auswechseln ließ.
In ihren Debütkrimi verrät die Schöpferin des „Lumpenadvokaten“ viel von ihrer intimen Kenntnis des französischen Strafprozesses, in dem sie selbst als Pflichtverteidigerin kämpft.
Hinsichtlich des Beruf des Strafverteidigers gibt sie sich keinen Illusionen hin, egal ob im Wirtschaftsstrafrecht – dem schicken Strafrecht, wie sie es Leibowitz nennt lässt– oder als Pflichtverteidiger: „Wir verkaufen alle dasselbe: heiße Luft, Träume, Versprechungen…“.
Sie unterlässt es dabei aber auch nicht, die Praxis der Schnellverfahren kritisch darzustellen, mit der soziale Randgruppen in Frankreich wie am Fließband abgeurteilt werden. Auch im französischen Strafvollzug scheinen in ihrer Beschreibung die Missstände durch, trotz des verrückten Humors, der sich durch das ganze Buch Bahn bricht. Köstlich ist es zu lesen, wenn Leibowitz seinem albanischen Knastkumpel, dem dicken Zuhälter Dostom, mit einem Albanischwortschatz von hundert Wörtern „Madame Bovary“ zu erklären versucht, oder auf einem Jahresempfang besoffen alte Anwälte dazu bringt, Trinksprüche in der Art von „Hoch lebe Canaris und seine Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht!“ auszubringen.
Am Schluss meint man im Tollhaus Justizpalast die letzten Verse von den Eagles zu hören: „You can check out anytime you like, but you can never leave.“
Hannelore Cayre
Der Lumpenadvokat
Aus dem Französischen von Stefan Linster
Unionsverlag 2007, 160 Seiten
€ 12,90
ISBN 3-293-00379-6
Mittlerweile hat die umtriebige Autorin ihren „Lumpenadvokaten“ auch verfilmt. Im Mai kam der Film in die französischen Kinos, einen deutschen Verleih hat er leider nicht gefunden. Frankophone können sich den Film aber auf DVD anschauen, die heute unter dem Originaltitel „Commis d’office“ erschienen ist.
Sehr geehrter Herr Jean-Claude Alexandre Ho,
Ihre Besprechung des Romans „Der Lumpenadvokat“ von Hannelore Cayre klingt nach einer nicht nur für juristisch Interessierte ebenso spannenden wie vergnüglichen Lektüre. Soweit finde ich das schön. Weniger schön finde ich indes, dass Sie just bei einem juristisch angehauchten Text eklatant das deutsche Urheberrecht missachten.
Nach § 3 UrhG sind Literaturübersetzer Urheber und ihre Werke gelten als „persönliche geistige Schöpfungen“. Als solche haben sie auch einen Anspruch darauf, bei Rezensionen, Werbemaßnahmen, etc. namentlich genannt zu werden.
Vermutlich ist Ihnen nicht bewusst, wieviel Zeit und Sorgfalt Literaturübersetzer in der Regel in ihre Arbeit investieren, um die ihnen anvertrauten Texte adäquat ins Deutsche zu übertragen. Daraus mache ich Ihnen keinen Vorwurf. Dennoch bitte ich Sie so herzlich wie inständig, Ihre Leser fortan nicht mehr glauben zu machen, die von Ihnen gelobten Bücher ausländischer Autoren seien bereits im Original deutsch geschrieben worden, sondern deren Übersetzern wenigstens insoweit gerecht zu werden, dass Sie die wahrlich geringe Mühe auf sich nehmen, auch deren Namen zu nennen.
Mit freundlichen Grüßen
Ingrid Altrichter