Mit seiner Jugendarbeit bewahrt ein polnischer Pater im mexikanischen Campeche junge Menschen vor dem Absturz in die Kriminalität
Benedikt Vallendar
Campeche – „Wer will, kann hier in Campeche alle möglichen Abschlüsse erwerben“, sagt Pater Pjotr. Ob in Wirtschaft, Jura, Tourismus oder Verwaltungslehre. Das Angebot ist breit und ändert sich von Jahr zu Jahr – je nach Mode und Nachfrage. Campeche, die 300.000 Einwohnerstadt am Golf von Mexiko verfügt über viele Schulen und private Weiterbildungsinstitute. Ein Eldorado für wissbegierige und aufbruchsbereite junge Menschen, so könnte man meinen. Doch was eigentlich zuversichtlich klingen sollte, ist von Pater Pjotr sehr zynisch gemeint. „Denn was nützen Diplome und Zertifikate, wenn es keine Arbeit gibt?!“, fragt der 33-Jährige zornig. „In der Stadt muss im Grunde jeder schauen, wo er bleibt“, sagt er. Schlimm sei die Perspektivlosigkeit der jungen Leute. „Es gibt wohl ein paar Jobs im Tourismus, in der Gastronomie, aber eine Familie lässt sich damit wohl kaum ernähren“, sagt er. Ebenso leidet die örtliche Landwirtschaft unter der anhaltenden Trockenheit. „Dort konnten die Leute sich früher wenigstens ein paar Pesos verdienen“. Aus dem Munde des Paters klingt das wie eine Anklage an die Politiker.
Grassierende Korruption
Mexiko gilt als eines der korruptesten Länder der Welt und versinkt zurzeit im Drogenkrieg, in den auch hohe Politiker und Militärs verstrickt sind. In Städten wie Campeche zeigen sich die Folgen dieser verfehlten Politik. Viele Jugendliche haben sich verschuldet, um etwa ein Studium zu absolvieren und wissen nun nicht, wie sie das Geld zurückzahlen sollen. Es gibt in Campeche einfach keine Arbeit, und wenn, dann ist sie mies bezahlt. In Hochglanzbroschüren pflegt Campeche gerne sein Image als weltoffene, moderne Stadt. „Doch Fachleute bezweifeln schon seit langem den Wert der an mexikanischen Hochschulen vergebenen Titel – wegen der totalen Unterfinanzierung des hiesigen Bildungswesens“, sagt Pater Pjotr. Der junge Geistliche gerät ein wenig in Rage, wenn er davon spricht, denn es betrifft seine Arbeit unmittelbar. Pater Pjotr arbeitet in der Hafenstadt Campeche als Jugendseelsorger. Der gebürtige Pole ist gelernter Krankenpfleger und gehört dem katholischen Orden der Salvatorianer an. Er lebt im Konvent seiner Gemeinschaft in Campeche. Studiert hat er in Krakau und Rom. Schon immer hat ihn die weite Welt interessiert. Als Kind, zur Zeit des Eisernen Vorhangs träumte Pater Pjotr von Reisen in die Ferne. Der Ordensbeitritt machte es möglich. In Campeche kümmert sich der Seelsorger heute um Jugendliche, die größere und kleinere Katastrophen erlebt haben und Trost von den tagtäglichen Enttäuschungen im Alltag suchen. Das Schlimme: Einen Job, selbst nach einer Hochschulausbildung, bekommt in Campeche nur derjenige, der über die nötigen Beziehungen verfügt. Selbst Verkäuferjobs an einer Tankstelle oder in einem Schnellimbiss sind in Campeche ohne Vitamin B kaum zu kriegen und entsprechend begehrt. Warum? Weil fast alle größeren Unternehmen in den Händen weniger Familien sind, die alles und jedes in der Stadt kontrollieren und bei der Jobvergabe meist Familienangehörige zum Zuge kommen lassen. „Vielen jungen Leuten ist es kaum anzusehen, dass sie beruflich und privat in einer ausweglosen Lage sind“, sagt Pater Pjotr. Nach außen sind Mexikaner freundliche und offene Menschen. Doch privater Kummer wird nicht selten nach innen gekehrt und mit Drogen und Alkohol betäubt. Und das in einem Land, das offiziell zur OECD gehört aber in weiten Teilen kaum die Schwelle eines Dritte-Welt-Landes überschritten hat. „Die Jugendlichen leben bei den Eltern, finden keine Arbeit und träumen von einer Karriere im Ausland, was für die meisten illusionär bleiben dürfte“, sagt Pater Pjotr. Nicht wenige verfallen irgendwann dem Kokain, Crack oder gar Heroin, schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch und hausen in einer der zahllosen Bretterhütten in den Bergen von Campeche, derweil die Mädchen früher oder später schwanger werden und sich irgendwie durchs Leben schlagen. In Campeche leben auffallend viele alleinerziehende Frauen. Glücklich kann sich schätzen, wer eine Familie, Oma, Mutter oder Vater hat, die den oft ungewollten Nachwuchs mit aufzieht.
Camps im Urwald
Was auffällt: Viele der Jugendlichen in Pater Pjotrs Gruppe lachen, auch wenn sie eigentlich nur wenig zu lachen haben. Hinter vorgehaltener Hand hat Pater Pjotr dem Reporter von den Schicksalen der einzelnen berichtet. „In ihrer Fröhlichkeit unterscheiden sich die jungen Leute von Gleichaltrigen in Europa, die in solchen Fällen gerne zu Antidepressionspillen aus der Apotheke greifen“, sagt Pater Pjotr. Vor einem Jahr hat er in Campeche die Gruppe „Missionare vom Herzen der Salvatorianer“ ins Leben gerufen. Einmal in der Woche treffen sie sich in der Gemeinde San Juan Obrero, besprechen akute Probleme, singen und machen Sport, um den Frust abzubauen. Pater Pjotr ist begeisterter Basketballspieler. Die einheitlichen T-Shirts, die die jungen Leute aus der Gruppe tragen, stammen von einem Schweizer Wohltäter und erzeugen ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl.
Besonders begehrt sind die Camps bei den Mayas im Urwald der Halbinsel Yucatán. Die Salvatorianer haben in der Region ein Haus. Einmal im Monat verbringen die Jugendlichen dort ein paar Tage, um das Gelände vom Unkraut zu säubern, sich um Kranke und Senioren zu kümmern und mit den Kindern zu spielen, mit ihnen Lesen und Schreiben zu üben. Der vom mexikanischen Staat bezahlte Lehrer, der einmal in der Woche in den Urwald zu den Mayas kommt, gilt als nicht besonders engagiert, wohl auch wegen seiner schlechten Bezahlung von nur knapp 170 Euro im Monat.