Johannes Treu untersucht die Transparenz in der Geldpolitik
Thomas Claer
Da ist doch tatsächlich eine VWL-Dissertation auf dem Schreibtisch des Justament-Rezensenten gelandet! Und keine über irgendein Thema aus den Elfenbeintürmen der Ökonomie – nein, es geht um etwas, das uns alle betrifft, zumindest indirekt: die Geldpolitik der Notenbanken. Jener obskuren Männerrunden, die Monat für Monat die Leitzinsen einzelner Volkswirtschaften oder ganzer Währungsräume festlegen und dadurch – wahrscheinlich mehr als alle Politiker zusammen – die Geschicke der Weltwirtschaft bestimmen. Es ist noch gar nicht lange her, da hatte die jahrelange Niedrigzinspolitik eines nuschelnden älteren Herrn namens Greenspan an der Spitze der amerikanischen „Federal Reserve“ für extreme Preisblasen vor allem auf den Immobilienmärkten gesorgt, was dann die ganze Welt in den Abwärtsstrudel einer Finanz- und Wirtschaftskrise riss. Und gegenwärtig erleben wir beiderseits des Atlantiks eine Politik des noch viel billigeren Geldes, ergänzt um weitere geldpolitische Maßnahmen (vulgo: Gelddrucken), um aus eben dieser Krise nachhaltig wieder herauszukommen. Wohin das letztlich führen wird (am Ende wohl in eine kräftige Inflation), ist aber hier nicht das Thema, sondern die Erkennbarkeit, Voraussehbarkeit und Nachvollziehbarkeit, kurz: die Transparenz der geldpolitischen Entscheidungen der Zentralbanken.
Mit dieser steht es, so die landläufige Meinung, nicht allzu gut. Je nach Perspektive schimpfen die einen (die Sparer) über zu niedrige Zinsen, die anderen (die Schuldner und Aktionäre) über zu hohe. Aber fast alle sind sich einig im Vorwurf an die Notenbanker: Die da oben machen ja doch, was sie wollen! Das ist aber, die vorliegende Arbeit zeigt es deutlich, zumindest was die Europäische Zentralbank (EZB) betrifft, gar nicht zutreffend. In minutiöser Kleinarbeit ist dem Verfasser der Nachweis gelungen, dass gegenüber der EZB – allen Unkenrufen von den Stammtischen zum Trotz – „ein genereller Intransparenzvorwurf nicht aufrechterhalten werden kann“. Nachdem der Autor mehrere hundert Seiten lang die unterschiedlichen Aspekte und Konzepte von geldpolitischer Transparenz und Intransparenz durchdekliniert hat und zum Befund gelangt ist, „dass kein vollständiges und eindeutiges Bild zum Thema Transparenz in der modelltheoretischen Geldpolitik existiert“, untersucht er exemplarisch die Geldpolitik der EZB in den letzten Jahren mit einem „fünfgliedrigen Transparenzkonzept“. Es zeigt sich, dass nur in einem der fünf Punkte (im geldpolitischen Entscheidungsprozess) eine „bedingte Intransparenz“ vorliegt; eine nur bedingte, „da eine komplette Intransparenz nicht für alle inhaltlichen Bestandteile dieses Transparenzpunktes existiert.“ Da kann man nur sagen: Bravo, EZB! Vor allem ernten die Notenbanker viel Lob des Verfassers für ihr erprobtes Codewörter-System: Wird eine künftige Leitzinserhöhung erstmals vorsichtig in Erwägung gezogen, spricht der EZB-Präsident auf den Pressekonferenzen von einer „genauen Beobachtung“ der Märkte. Konkretisieren sich diese Überlegungen, ist die Rede von „sehr genauer Beobachtung“. Und fällt schließlich der Begriff „starke Wachsamkeit“, dann weiß man: In einem Monat ist es soweit. Wer also vor kurzem gehört hat, wie Jean-Claude Trichet von „starker Wachsamkeit“ gesprochen hat, der weiß nun auch, was – jede Wette! – im kommenden Juli passieren wird.
Gegen diese Arbeit lässt sich im Wesentlichen nur das sagen, was sich auch gegen fast jede andere Dissertation sagen ließe: Dass einfache Dinge durch den wissenschaftlichen Jargon unnötig verkompliziert und viel zu umständlich gesagt und dass komplizierte Dinge mangels voraussetzungsloser Erklärung für den Laien schnell unverständlich werden. Darüber hinaus hätten dieser Arbeit aufmerksamere und auf dem aktuellen Stand der deutschen Rechtschreibung befindliche Korrekturleser nicht geschadet. (Ein besonderes Problemfeld sind die „erweiterten Infinitive mit zu“, vor allem die Ausnahmen zur Befreiung von der Kommasetzungspflicht seit der neuesten Rechtschreibung von 2005.) Aber so weiß man jedenfalls recht sicher, dass es keine „Guttenbergs“ im Text gibt. Auffällig ist ferner so manche saloppe Formulierung, aber da sind die Ökonomen wohl nicht so pingelig wie die Juristen. Ein großer Vorzug dieser Arbeit, der leider nicht bei allen Dissertationen selbstverständlich ist, sind schließlich die präzisen Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels und am Ende der gesamten Bearbeitung. Nur dadurch lassen sich auch für den ökonomischen Laien die wichtigsten Gedankengänge nachvollziehen, ohne dass er etwa an verzwickten mathematischen Formeln verzweifeln müsste.
Johannes Treu
Transparenz in der Geldpolitik. Systematisierung, Darstellung, Bewertung und Diskussion von (modelltheoretischer) Transparenz in der Geldpolitik sowie das Beispiel der Europäischen Zentralbank
Verlag Dr. Kovac Hamburg 2011
397 Seiten, EUR 98,00
ISBN 978-3-83005531-0