Als das Recht in Buchstaben gegossen wurde

Griechenland ist mehr als Schulden und Staatsbankrott: Die Altphilologin Gyburg Uhlmann, bislang jüngste Leibnizpreisträgerin aller Zeiten und Professorin an der FU Berlin, befasst sich mit dem juristischen und kulturellen Erbe des Inselstaats

Benedikt Vallendar

Berlin –„Die Antike lebt, wir begegnen ihr tagtäglich in Dingen, die uns eigentlich selbstverständlich sind“, sagt Gyburg Uhlmann. Uhlmann wirkt energisch. Aus ihren Augen funkelt es sympathisch, selbstbewusst und unmissverständlich. Die Professorin gibt den Ton an. Die Antike sei mehr als nur eine „Fundgrube“ für bildungsbeflissene Bürger mit Hang zur Selbstverliebtheit. Uhlmann kommt auf antike, griechische Rechtstraditionen zu sprechen. „Bekanntlich hatte bereits im vierten Jahrhundert vor Christus jeder Stadtstaat in der Ägäis sein eigenes, kodifiziertes Recht, auch wenn vieles davon heute nur noch bruchstückhaft erhalten ist“, sagt sie. „Das antike Griechenland bestand aus mehreren Stadtstaaten, die ein aus heutiger Sicht bescheidenes Umland beherrschten. Sie waren voneinander nicht nur durch Gebirgszüge getrennt, sondern entwickelten auch recht unterschiedliche Gesellschaftsformen“, erklärt Uhlmann. Allen gemeinsam war, dass eingewanderte indoeuropäische Stämme die vorher ansässige Urbevölkerung gewaltsam unterworfen und versklavt hatten.

In der Stadt Sparta lebten die Frauen und Kleinkinder der Eroberer in Landhäusern, alle Männer dagegen in der Stadt, die eigentlich nur aus einem Militärlager ohne jeden Luxus (daher der Begriff spartanisch) bestand. Die anderen Griechen fürchteten ihre militärische Stärke und spotteten über ihre Kulturlosigkeit.

Anders war die Situation im antiken Athen. Die militärischen Anführer sicherten sich grössere Anteile des eroberten Landes und wurden zu einer Adelschicht von Grossgrundbesitzern und Grosshändlern, die alle Macht im Staat an sich rissen (Aristokratie). „Die Mehrheit des Einwanderervolkes bestand aus armen Bauern, Hirten, Fischern, Handwerkern und Tagelöhnern, die zwar persönliche Freiheit, aber keine politischen Rechte besassen“, sagt Uhlmann. Praktisch rechtlos und von ihren Herren vollständig abhängig waren die unterworfenen Sklaven. „Viele Bauern und Hirten verarmten immer mehr, einige wenige Handwerker kamen durch den Aufbau von grossen Werkstätten mit Sklaven und Lohnarbeitern oder als Händler zu Reichtum“, sagt Uhlmann. Die Richter aus dem Kreis des Adels waren bestechlich und urteilten willkürlich. Die Regierung lag in den Händen von neun adeligen Archonten, die nach einjähriger Amtszeit in den „Rat der Ältesten“ wechselten. Um 600 v. Chr. versuchte der Archon Drakon die Willkür im Staat durch geschriebene Gesetze zu bannen. Er setzte dabei aber so harte („drakonische“) Strafen fest, dass die Not nur noch grösser wurde und die Erbitterung stieg. Aufstände brachen aus und ein Bürgerkrieg drohte. Und es sollte nicht das letzte Mal sein, dass das Land vor dem Abgrund stand. Das Jahr 2012 ist für Griechenland mitnichten das erste Schicksalsjahr seiner Geschichte.

Leger gekleidet in Jeans und Pulli sitzt die 36-Jährige Uhlmann in ihrem frisch renovierten Büro auf dem Campus der Freien Universität (FU) in Berlin-Dahlem. Vor ihr der Laptop, daneben ein paar Kompendien zur antiken Geschichte, Rechtskultur, Philosophie und Literatur. Uhlmann ist die zurzeit jüngste Altphilologin Deutschlands – und die mit Abstand erfolgreichste. 2006 gewann sie den mit 1,55 Millionen Euro dotierten Leibniz-Preis, den höchstdotierten Wissenschaftspreis, den die Bundesrepublik zu vergeben hat. Bis 2013 darf Uhlmann mit dem Geld eigenständig Forschungsvorhaben finanzieren. Seit 2010 gehört die FU Berlin zu den zehn „Eliteuniversitäten“ des Landes. Das Geld soll vor allem in neue Mitarbeiterstellen fließen, sagt Uhlmann. Denn nach wie vor seien die alten Sprachen an den Universitäten „personell unterbesetzt“.    „Gyburg“, das ist eine der Protagonistinnen in Wolfram von Eschenbachs Versepos „Willehalm“, das zu den bedeutendsten epischen Werken der mittelhochdeutschen Literatur zählt. Uhlmanns Vater, Professor Mediavistik in Mainz, habe den Namen ausgesucht, sagt die Hochschullehrerin.

Geboren wurde Gyburg Uhlmann in Marburg. Ihre Mutter ist Studienrätin für Latein, ihr älterer Bruder arbeitet als erfolgreicher Notar in Hamburg. „Bei uns zu Hause wurde viel musiziert, darauf hat meine Eltern großen Wert gelegt“, erinnert sie sich. Sie selbst hat Cello gelernt, doch leider fehlt ihr heute die Zeit zum Üben.

Habilitation im Rekordtempo

Prof. Gyburg Uhlmann (Foto: privat)

Prof. Gyburg Uhlmann (Foto: privat)

Beeindruckend liest sich ihre Vita: Nach dem Magisterexamen 1999 an der Universität Marburg und einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes folgte im Eiltempo die mit „Summa cum laude“ abgeschlossene  Promotion. Dafür  zeichnete sie die  Albert-Osswald-Stiftung im Dezember 2001 mit ihrem Wissenschaftspreis aus. Nur dreieinhalb Jahre nach ihrem ersten Studienabschluss erhielt Uhlmann, zwischenzeitlich zur Privatdozentin ernannt, die „Venia legendi“ im Fach Klassische Philologie – nach ebenfalls erfolgreicher Habilitation über den „Antiken Platonunterricht und die Dialoge des ersten Curriculums“. Seither darf die  junge Frau, die sich äußerlich kaum von einer Studentin im Hauptstudium unterscheidet, eigenständig Doktorarbeiten betreuen und begutachten.  Ein einmaliger Vorgang in der deutschen Universitätsgeschichte. Ohne Zweifel gehört die junge Frau heute zu den Granden der abendländischen Geisteselite. Kein Wunder, dass die FU Berlin sich um sie bemüht hat.  Zuvor hatte Uhlmann die Lehrangebote anderer Hochschulen, auch ausländischer,  ausgeschlagen. „Die Geisteswissenschaften genießen an der FU einen hohen Stellenwert“, sagt Uhlmann. In den vergangenen Jahren habe die Universität einen tief greifenden Modernisierungsprozess durchgemacht, der auch den Geistes- und Sozialwissenschaften zugute gekommen sei. Die FU gilt unter Experten als weltoffen, leistungsorientiert und international, und das habe den besonderen „Reiz“ ausgemacht, die Stelle anzutreten.  Internationale Erfahrung hat Uhlmann auch gesammelt. Von November 2003 bis Oktober 2004 hat sie als Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung am Departement oft he Classics in Harvard geforscht und gelehrt. „In den USA gibt es hervorragende Wissenschaftler“, schwärmt sie, doch sei der Kontakt zu Kollegen und Mitarbeitern und Studenten häufig auch sehr oberflächlich gewesen. Deshalb war Uhlmann froh, als sie wieder in heimischen Gefilden leben und wirken konnte.

Informationen: www.fu-berlin.de/klassphi/

Veröffentlicht von on Apr 10th, 2012 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

Hinterlassen Sie einen Kommentar!