Der Rechtsanwalt in Spanien wird neu definiert
Alexander Müller
Für alle Rechtsanwälte, die die Ausbildung zum Volljuristen an deutschen Universitäten erfolgreich abgeschlossen haben, dürfte es wie ein Märchen aus 1001 Nacht klingen: In Spanien genügte bis Ende 2011 die Absolvierung eines 5-jährigen Diplomstudiums (Licenciatura), um die Zulassung als Rechtsanwalt (abogado) zu erhalten. Eine Konsequenz dieser Regelung ist, dass Rechtwissenschaft (derecho) in Spanien von allen Studiengängen die höchsten Studentenzahlen aufweist und die Anwaltsdichte in Spanien (ein Anwalt pro 271 Einwohner, 2006) noch einmal weitaus höher ist, als in Deutschland. Hoher Konkurrenzdruck und niedrige Gehälter kennzeichnen die Arbeitssituation der spanischen Anwälte. Dazu kommt ein vergleichsweise geringes Ansehen des Anwaltsberufs in der Gesellschaft, der sich überdies in einem überlasteten Justizsystem zurechtfinden muss, das an seiner eigenen Überregulierung und mangelndem Personal in der Justizverwaltung zu ersticken droht.
Ansich sollte die neue Regelung des Zugangs zum Anwaltsberuf (Ley 34/2006) bereits 2006 in Kraft treten, die damalige Regierung entschied jedoch, den bereits matrikulierten Jurastudenten eine “Gnadenfrist” (vacatio legis) von weiteren 5 Jahren zu gewähren, so dass die neuen Zulassungsregeln erst am 31. Oktober 2011 in Kraft getreten sind. Eine Verordnung vom Juni 2011 (RD 775/2011) regelt nun die dreistufige juristische Weiterbildung nach Abschluss des Jurastudiums, dessen Dauer von 5 Jahren (Licenciatura) auf 4 Jahre (Grado) reduziert wurde. Der erste Schritt ist ein Aufbaustudiengang, entweder als Master (Universitäten) oder als Spezialausbildung (Escuelas de Práctica Jurídica). Anschließend folgt ein betreutes Praktikum, mit einer Dauer von knapp 6 Monaten. Das Praktikum kann bei einem Anwalt oder einer Wahlstation mit juristischem Bezug absolviert werden. Sowohl die geringe Dauer, als auch die Beschränkung auf nur eine Praxisstation offenbaren jedoch erhebliche Unterschiede zum Referendariat in Deutschland. Nach durchgeführtem Praktikum muss sich der Bewerber dann einer Eignungsprüfung (examen de capacitación profesional) beim spanischen Justizministerium unterziehen. Es ist vorgesehen, dass es eine einheitliche Prüfung im gesamten Staatsgebiet geben wird.
Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes des Zugangs zum Anwaltsberuf im vergangenen Oktober kam es zu landesweiten Protesten von Jurastudenten. Die neue Regierung gab diesen Protesten am Ende teilweise nach. Im königlichen Dekret vom 5. März 2012 wurde verfügt, dass die Stichtagsregel für diejenigen Studierenden ausgesetzt wird, die bereits vor Verabschiedung des Gesetzes im Diplomstudiengang (licenciatura) immatrikuliert waren.
Aussagen darüber, ob die neue Regelung zur Anwaltszulassung wirklich zu einer spürbaren Qualitätsverbesserung der Rechtsberatung in Spanien führen wird, können erst gemacht werden, wenn sich die ersten Anwälte bewährt haben, die sich über das neue System qualifiziert haben. Ein anderer Effekt ist jedoch bereits jetzt zu beobachten: Im Jahr 2011 haben viele, bis dato nicht als Anwalt tätige Juristen, vorsorglich die Aufnahme in eine Rechtsanwaltskammer beantragt und auch erhalten, so dass die Mitgliedszahlen sprunghaft angestiegen sind. Ein (wenn auch inoffizielles) Ziel dieser Reform ist es, die Zulassungszahlen neuer Rechtsanwälte in Spanien zukünftig effektiver steuern zu können. Absehbar ist langfristig eine Reduzierung der Anzahl der Rechtsanwälte, womit der Konkurrenzdruck gemildert werden soll, der durch die hohe Dichte von Rechtsanwälten inzwischen schwer erträgliche Ausma?e angenommen hat.
Für deutsche Rechtsanwälte, die den Schritt zur Anwaltstätigkeit in Spanien wagen, hat sich formal nichts geändert. Einstiegsvehikel in den spanischen Markt sind die Vorschriften zum europäischen Rechtsanwalt (EURAG), der von der Reform jedoch nicht betroffen ist. Wie in Deutschland auch, kann in Spanien zeitnah mit der Tätigkeit als Anwalt unter der Berufsbezeichnung des Herkunfsstaates begonnen werden. Nach dreijähriger effektiver und regelmä?iger Tätigkeit kann die Annahme der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaates beantragt werden. Relevanter für den beruflichen Erfolg in Spanien ist jedoch eine gute Vernetzung mit anderen Anwälten, vor allem in den Küstenregionen und auf den Hauptinseln praktiziert inzwischen eine grö?ere Anzahl deutschstämmiger Anwälte. Allerdings ist zu beachten, dass die Finanzkrise gerade Spanien besonders hart getroffen hat. Schlechte Zahlungsmoral, weniger Mandate in vielen Rechtsbereichen und eine steigende Arbeitslosigkeit auch unter Rechtsanwälten sind Konsequenzen, die einem Berufseinstieg in Spanien zum jetzigen Zeitpunkt eher im Wege stehen dürften.
Spanien hat sich mit dieser Reform den Qualitätsstandards anderer europäischer Staaten angenähert. Dennoch bestehen weiterhin gravierende Unterschiede, vor allem bezüglich der geforderten Praxiserfahrung und einer geeigneten Vorbereitung auf eigenverantwortliches Arbeiten als Rechtsanwalt. Betrachtet man die Reform jedoch vor dem Hintergrund eines lange Zeit in vieler Hinsicht vom restlichen Europa abgeschotteten und au?erdem wenig reformfreudigen Rechtssystems, so bedeuten die nun in Kraft getretenen Ma?nahmen einen Schritt in die richtige Richtung, hin zu (mehr) Europa.
Der Autor:
Alexander Müller ist Profesor im Fachbereich für Wirtschaft, Finanzen und Buchhaltung der Universität Complutense in Madrid.