Gemeinnützige Stiftungen polieren das Image ihrer Gründer auf und schaffen Arbeitsplätze in der eigenen Branche
Benedikt Vallendar
Berlin – „Ich habe noch meinen Schal vergessen“, ruft Carina über den Flur. Eilig läuft die 11-Jährige in den Gemeinschaftsraum und holt das Kleidungsstück aus dem Schrank. Heute geht es zu einem Ausflug raus in den Grunewald. Zusammen mit Carina sind noch zwölf andere Kinder in der Gruppe. Sie treffen sich regelmäßig mit einem pädagogischen Betreuer in der „Gelben Villa“, einem Kinder- und Jugendtreff in Berlin-Kreuzberg. Das Haus ist ein Projekt der gemeinnützigen Kinder- und Jugendstiftung Jovita, die 2002 auf Initiative von Kunden des privaten Bankhauses M.M. Warburg & Co in Hamburg gegründet worden ist. Geschäftsführerin Sylvia Demes freut sich über den regen Zuspruch ihres Hauses. „Wir arbeiten auch mit Schulen zusammen“, sagt die 42-Jährige. Im Programmheft finden sich Workshops, unter anderem zu kultureller Bildung, Kreativitäts- und Sprachförderung, gesunder Ernährung und Bewegung sowie zur Berufsorientierung. Neben wöchentlichen Projekten mit Schulklassen gibt es zahlreiche Freizeit- und Ferienangebote. Ziel der gelben Villa ist die Förderung Heranwachsender, unabhängig vom kulturellen, religiösen und sozialen Hintergrund.
Demes hat die Verantwortung für die fünfgeschossige Einrichtung in der Kreuzberger Wilhelmshöhe 10, zwölf fest angestellte Mitarbeiter und einen Pool an Honorarkräften, darunter Künstler und Ernährungsberater. Werkstätten und Unterrichtsräume in der Gelben Villa machen einen modernen und gepflegten Eindruck. „Wir sind darauf angewiesen, Spenden und Fördergelder für unsere Projekte einzuwerben“, betont Demes. Die an Kunst interessierte Businessfrau hat an der FU Berlin Romanistik und BWL studiert und mehrere Jahre im Veranstaltungsmanagement gearbeitet. Sie ist erfahren darin, Großevents zu organisieren, Sponsoren zu akquirieren und Gelder effizient zu verwalten. Und genau das erwarten ihre Vorgesetzten, Kuratorium und Vorstand der in Hamburg ansässigen Stiftung, auch von ihr.
Staatliche Förderung seit 2007
Privates Geld für soziale Zwecke bereit zu stellen, ist in Deutschland erst seit knapp fünf Jahren richtig en vogue. Zwar können Stiftungen, vor allem jene in kirchlicher Trägerschaft, hierzulande auf eine lange Tradition zurückblicken, die zum Teil bis ins Mittelalter zurückreicht. Doch erst mit dem „Gesetz zur weiteren Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements“, das im Frühjahr 2007 vom Bundestag verabschiedet wurde und rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft trat, begann Geld im großen Stil in wohltätige Projekte zu fließen. Durch die Novelle können Stifterinnen und Stifter, rückwirkend zum 1. Januar 2007, pro Ehepartner bis zu einer Million Euro Zuwendungen in den Vermögensstock einer Stiftung alle zehn Jahre steuerlich geltend machen. Die Regelung gilt gleichermaßen für neugegründete Stiftungen, wie für Zustiftungen in bereits bestehende Stiftungen. Zudem wurde die Abzugsmöglichkeit für Unternehmensspenden verdoppelt. Die Zahl der Stiftungen hat sich seit 2007 bundesweit mehr als verdoppelt, auf 18162 im Jahre 2011. Allein 2010 wurden in Deutschland, nach Angaben des Bundesverbandes deutscher Stiftungen mit Sitz in Berlin, 824 neue Stiftungen aus der Taufe gehoben.
Jobmaschine für arbeitslose Juristen?
Das Gesetz von 2007 hat eine Vorgeschichte. Als die rot-grüne Bundesregierung ab 2003 die Hartz-Gesetze in den Bundestag einbrachte, suchte der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder nach Möglichkeiten, privates Kapital für soziale Zwecke zu binden – wohl auch um jene Lücke zu schließen, die durch die Hartz-Gesetzgebung im staatlichen, sozialen Sicherungsnetz geschlagen worden war, so das Kalkül des damaligen Regierungschefs. Tatsache ist, dass sich seit 2007 nicht nur die Anzahl gemeinnütziger Stiftungen, sondern auch die Anzahl der Mitarbeiter, die für diese tätig sind, auf rund 150.000 deutlich erhöht hat. Auch Geschäftsführerin Demes ist erst seit September 2011 im Amt; zuvor war sie längere Zeit freiberuflich tätig und auf Jobsuche. Sind Stiftungen also eine Art „Jobmaschine“, von der vor allem Akademiker profitieren, die in der freien Wirtschaft eher unterrepräsentiert sind? Auffällig ist, dass Stiftungen vor allem Juristen und Geisteswissenschaftler beschäftigen, beides Berufsgruppen, die es auf dem Arbeitsmarkt bekanntlich nicht immer leicht haben.
Auf der Homepage des Bundesverbands findet sich auf der Startseite ein Button, der überregionale Jobangebote zentral bündelt. Auch damit wird Imagepflege betrieben. Denn Institutionen, die Arbeitsplätze vergeben, strahlen naturgemäß ein positives Image aus. Sie verkörpern Wachstum und Wohlbefinden. Und auf das Image seiner Mitglieder scheint der Verband per se großen Wert zu legen. In der Presseabteilung arbeiten gleich fünf hauptamtliche PR-Fachleute; neben der Presssprecherin, deren Stellvertreterin und Assistentin, noch ein „Referent für Medien und Kommunikation“ sowie eine Volontärin mit demselben Aufgabengebiet.
Imagepflege des Stifters
Kritiker werfen der Regierung vor, mit dem Gesetz von 2007 die Verantwortung für soziale Aufgaben in private Hände gelegt zu haben, ohne einen genauen Überblick darüber zu haben, was tatsächlich mit den Geldern passiert. Gleichzeitig zieht sich der Staat immer mehr aus Jugend- und Bildungseinrichtungen zurück, auch indem er privaten Stiftern das Feld überläßt. Vieles bleibt dabei im Nebulösen. Zwar prüfen die Finanzämter regelmäßig, ob die mildtätige Ausrichtung einer Stiftung gewahrt ist. Doch geben sich die Beamten in der Regel mit Quittungen und Jahresabschlüssen zufrieden, ohne diese inhaltlich zu hinterfragen. Eine staatliche Überwachung, wie es sie etwa bei wohltätigen Organisationen über das so genannte „Spenden-Siegel“ schon seit langem gibt, ist bislang Fehlanzeige. „Stiftungen verbessern die Außenwirkung ihrer Gründer“, sagt Claudia Gölz, Geschäftsführerin der Medienagentur Nedwork in Düsseldorf. Oft wenden sich gut betuchte Kunden, die eine Stiftung gründen wollen, vorab an PR-Profis wie Gölz, um ein Kommunikationskonzept zu erarbeiten. Auch Prominente, wie etwa der ehemalige Fußballnationalspieler Christoph Metzelder, schmücken sich gerne mit einer eigenen Stiftung, um in den Medien positiv besetzt zu sein. Imagepflege ist das Kapital von Morgen, denken so manche wohlhabende Mäzene und nutzen die fiskalischen Möglichkeiten, ihr Geld gewinnbringend anzulegen. „In vielen Fällen reicht das Stiftungsvermögen jedoch nur zur Bezahlung des eigenen Apparats“, gibt Expertin Gölz zu bedenken. Die Mitarbeiter einer Stiftung sind denn auch zumeist damit beschäftigt, private Sponsoren und Zustifter für einzelne Projekte zu adquirieren. „Fundraising“ wird in der Branche mittlerweile großgeschrieben.
Mörder wollte Stiftung gründen
Welch unsäglichen Auswüchse der vermeintliche Prestigegewinn durch eine Stiftung haben kann, zeigte der Fall des 2003 vom Landgericht Frankfurt rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilten Kindsmörders Magnus Gäfgen. Aus den Verkaufserlösen seines in Haft verfassten Buches wollte der ehemalige Jura-Student 2005 eine nach ihm benannte Stiftung für „jugendliche Kriminalitätsopfer“ gründen. Nach langem juristischen Tauziehen wurde das Vorhaben schließlich 2008 vom rheinland-pfälzischen Innenministerium wegen „Verstoßes gegen die guten Sitten“ gestoppt und liegt seither auf Eis – indes ein Ende des Gründungsbooms bei Stiftungen in Deutschland nicht abzusehen ist.
Fotos: Vallendar
Internet: www.die-gelbe-villa.de
Durch die Novelle können künftig Stifterinnen und Stifter rückwirkend zum 1. Januar 2007 Zuwendungen in den Vermögensstock von Stiftungen bis zu einer Million Euro pro Ehepartner alle zehn Jahre steuerlich geltend machen. Die Regelung gilt gleichermaßen für neugegründete Stiftungen, wie für Zustiftungen in bereits bestehende Stiftungen. Zudem wird die Abzugsmöglichkeit für Unternehmensspenden verdoppelt. Durch die Gesetzesänderung können Unternehmen, die spenden oder Stiftungen gründen, vier statt vorher zwei Promille der Summe der gesamten Umsätze und der im Kalenderjahr aufgewendeten Löhne und Gehälter als Sonderausgaben steuerlich geltend machen. Eine weitere wichtige Änderung ist die Erhöhung und Vereinheitlichung des allgemeinen Spendenabzugs auf 20 Prozent des jährlichen Einkommens. Auch wurde die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements, die bisher als nicht-gemeinnützig eingestuft worden ist, nun auch in den erweiterten Katalog der gemeinnützigen Zwecke aufgenommen.