Marc Nüßen
Der einfachste Beruf der Welt dürfte Gerichtsreporter sein. Man kann erzählen oder schreiben was man will, solange man nur jeden dritten Satz mit „Die Richter sahen es als erwiesen an…“ beginnt und sich zwingt, statt „Berufung“ und „Revision“ stets „Revision“ zu sagen. Wer es sich dann noch zum Prinzip macht, jede Freiheitsstrafe als „Haft“ zu bezeichnen, erfüllt gar sämtliche Voraussetzungen, es im deutschen Fernsehen zum Rechtsexperten zu bringen.
Kleinliches Herummosern an der Ausdrucksweise anderer ist allerdings weder schön noch witzig und im Grunde soll jeder so sprechen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Wenn jemand aber mit Sprache sein Geld verdient, dann sollte er zu jederzeitiger Schnabelpflege bereit sein. Ein Germanist, der ständig „das macht Sinn“ oder „nicht wirklich“ sagt, leugnet nicht nur seine akademische Ausbildung. Er disqualifiziert sich für sein Tätigkeitsfeld.
Auch wir Juristen gehören zu den Vertretern einer Berufsgruppe, in der sprachliche Präzision weit über die bloße Ästhetik hinaus ernstlich von Bedeutung ist. Wo keine Legaldefinition verfügbar ist, werden Deutungsversuche unternommen, in der Eindrücke und Erfahrungen einer ganzen bisherigen Lebensspanne zur Anschauung kommen und obendrein mit einer analytischen, beinahe chirurgischen Präzision am Wort gearbeitet wird. Was ein Jurist sagt, sollte sehr genau sein. Was ein Jurist schreibt, muss sehr genau sein.
Deshalb plädiere ich dafür, dass jeder, der sich mit juristischen Texten befasst und dabei über fehlende sprachliche Präzision stolpert, diese zur Diskussion stellt. Gern mache ich den Anfang mit einem Begriff, der mich seit meiner ersten Baurechtsvorlesung begleitet und mir seitdem regelmäßig die Trommelfelle respektive die Netzhäute reizt: Genehmigungsfähigkeit.
In den Lehrbüchern der renommiertesten Rechtswissenschaftler liest man das. Die Richter selbst der obersten Gerichte drücken sich so aus. Niemand hebt zum Widerspruch an. Und ich habe auch keinen Beweis dafür, dass es falsch ist. Aber klingt das nicht wie ein semantischer Bohneneintopf? Gerät da nicht das Sprachgefühl eines jeden Ex-Abiturienten ins Delirium Furibundum?
Ist etwas fähig (bzw. -fähig), so bedeutet das doch, dass es eine bestimmte Fähigkeit besitzt. Es ist ergo aktiv zu etwas in der Lage oder imstande. Lernfähig, regierungsfähig, leistungsfähig ist aber doch stets nur das (grammatikalische) Subjekt, auf das sich das per Suffix „-fähig“ adjektivierte Substantiv bezieht. Hier also der Schüler, die Parteienkoalition, die Sportlerin.
So sehr der Fortschritt sogar in kommunale Badeanstalten Einzug hält. Aufblasfähige Schwimmflügel habe ich noch nie gesehen. Ich meine aber, die guten alten aufblasbaren Produkte tun es immer noch. Und hätte ich je feststellen müssen, dass der Schmutztank meines beutelfreien Staubsaugers abnehmfähig statt abnehmbar ist, ich hätte das Gerät noch am selben Tag zum Händler zurückgebracht.
Sagt man, ein Bauvorhaben sei genehmigungsfähig, dann ist das in etwa so, als sage man, die dafür erforderlichen Auskofferungsarbeiten seien „binnen drei Wochen durchführfähig“. Das sind sie nicht. Sie sind durchführbar. Genau hier liegt die Antwort auf die Frage, was man denn statt „genehmigungsfähig“ besser sagen sollte: „genehmigbar“. Das Vorhaben selbst ist nicht aktiv zur Erteilung einer Genehmigung fähig. Es erfüllt allenfalls die Voraussetzungen, um passiv genehmigt zu werden. Es ist genehmigbar.
„Genehmigbarkeit“ klingt sauber, präzise und kein bisschen hölzerner als „Genehmigungsfähigkeit“. Es passt genauso gut in die Schaubilder von Hochschullehrern und Repetitoren, geht weich von der Zunge und sieht in der Druckversion eines Urteils sicher klasse aus.
Dies ist keine Aufforderung, die alten Bücher zu zerreißen und in alle Winde zu verstreuen. Nur ein kleines Plädoyer dafür, auch althergebrachte und etablierte Begrifflichkeiten der Rechtssprache ständig zu hinterfragen. „Das haben wir schon immer so gemacht“ bzw. „gesagt“ ist nämlich nichts, was einen Juristen überzeugen sollte.