Endstation Suppenküche

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Wohnungsloser Heiko (Foto: Vallendar)

Wohnungslose Menschen finden in Berlin immer seltener eine bezahlbare Bleibe

Benedikt Vallendar

Berlin – In der Zeitung möchte Heiko nur mit seinem Vornamen erscheinen. Das war die Bedingung für das Gespräch. In langer Reihe stehen die Menschen vor der Suppenküche der Franziskaner in Berlin Pankow, keine hundert Meter vom ehemaligen Todesstreifen entfernt,  an. Viele sind zu Fuß gekommen, manche haben die S-Bahn genommen, mit einem Sozialticket der Berliner Verkehrsgesellschaft oder sind schwarz gefahren. Unter Berliner Obdachlosen hat es sich längst herum gesprochen, dass es bei den Franziskanern in Pankow gratis gutes Essen gibt. Viele sind darauf angewiesen. Denn die staatliche Unterstützung in Form von Hartz IV reicht oft nur bis zur Monatsmitte, auch ihres übermäßigen Alkohol- und Tabakkonsums wegen. Heiko sitzt mit seinem Kumpel Chris im Foyer der Suppenküche. Der 41-Jährige Malergeselle war vor drei Jahren der „Liebe wegen“ aus Süddeutschland nach Berlin gekommen, sagt er. Die Liebe ist gegangen, geblieben sind Schulden und das Gefühl, in der großen Stadt verloren zu sein. Bei den Franziskanern bekommt Heiko ein warmes Mittagessen. Hier ist er inzwischen Dauergast, jemand, der in den Tag hineinlebt und froh ist, wenn er jemanden zum Reden hat. Von Dienstag bis Sonntag hat die Suppenküche der Franziskaner in der Wollankstraße von 8.30 Uhr bis 15.00 Uhr geöffnet. Es gibt eine Kleiderkammer und einen Sozialdienst, den eine Sozialpädagogin leitet. Die Franziskaner betreiben ihre Suppenküche mit Geldspenden, aus zugewiesenen Bußgeldern der Justizbehörden und Sachgaben, die sie an Bedürftige weiterleiten.

Gutscheine für den Discounter

Begonnen hat es mit der Suppenküche in der Nachwendezeit, als im Ostteil Berlins viele Menschen Not litten. Not, die es zu DDR-Zeiten, im selbst ernannten „Arbeiter und Bauernstaat“ offiziell nicht geben durfte. Hinweise bei den Behörden, gar öffentliche Proteste dagegen hätten unweigerlich die Stasi auf den Plan gerufen. Anfangs kamen 20 Leute, bald schon 50 und 100. Mittlerweile kommen durchschnittlich 300 bis 500 Personen täglich zur Essenausgabe in die Suppenküche. Heiko wohnt zurzeit in einem Heim für Wohnungslose. Eine eigene Bleibe kann er sich nicht leisten, sagt er. Und das mit dem Amt sei ihm „zu stressig“. Heiko hätte als Alleinstehender Anspruch auf eine vom Amt bezahlte, maximal 50 Quadratmeter große Wohnung. Doch dafür müsste er auch Eigeninitiative aufbringen. „Die wollen mindestens vier Bewerbungen im Monat von mir sehen, und dann soll ich auch noch jeden Mistjob annehmen, etwa morgens Zeitungen austragen, nee Danke“, entrüstet sich der gebürtige Leipziger. Ein-Euro-Jobs hat Heiko auch schon gemacht, aber nicht lange. Schwarzarbeit sei nicht sein Ding, sagt er. Das Amt zahlt Heiko das Zimmer im Wohnheim und hilft mit Gutscheinen für Einkäufe bei Lidl und Aldi. Heiko ist über die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) krankenversichert. Er hat sich, so scheint es, mit seinem Leben eingerichtet. „Würde ich einen 400-Euro Job annehmen, gingen 270 Euro davon ans Amt“, sagt er. Da lohne es sich doch gar nicht, arbeiten zu gehen, glaubt er. Er habe auch schon mal für eine Recyclingfirma gearbeitet und in einem Lager ausgeholfen, bis auch dort „Schluss“ war. Das Problem: In Berlin wird einfache Arbeit heute immer schlechter bezahlt, derweil überall in der Stadt die Mieten steigen. Und das nicht nur in den exklusiven Lagen in Mitte und Zehlendorf, sondern zunehmend auch in jenen Vierteln, die eigentlich als soziale Brennpunkte gelten. Neukölln, noch bis vor drei Jahren als Problemkiez mit hohem Ausländeranteil verschmäht, ist heute gefragter denn je. Kaltmieten von durchschnittlich acht Euro sind dort keine Seltenheit mehr. In München, das in der Bundesrepublik allgemein als am teuersten gilt, kostet der Quadratmeter Kaltmiete knapp elf Euro. Nach unbestätigten Zahlen ist die Zahl der Wohnungslosen in Berlin 2012 wieder auf über Zehntausend gestiegen, nachdem sie Mitte der Neunzigerjahre mal kurzzeitig auf unter Fünftausend gesunken war.

Vielfältige Ursachen

„Wir können Probleme lindern, nicht immer lösen“, sagt Franziskanerbruder Johannes Uhlenbrock OFM (49) über seine Arbeit mit den Obdachlosen in Berlin. Es klingt ernüchternd, wenn es das sagt. Bruder Johannes ist in Pankow Hausvikar und verantwortet zudem die Kleiderkammer und Hygienestation für Bedürftige. Obdachlose können sich dort, nach Geschlechtern getrennt, duschen und ihre Wäsche waschen lassen. Bruder Johannes gibt nicht grundsätzlich der „Gesellschaft“ die Schuld an den Zuständen, die er hier tagtäglich antrifft. Obdachlosigkeit hat meist vielfältige Ursachen. Manchmal sind es Schicksalsschläge, noch häufiger jedoch die Unfähigkeit der Betroffenen, Lebenskrisen zu meistern. Überhöhter Alkoholkonsum setzt manchmal eine verhängnisvolle Abwärtsspirale nach unten in Gang, an deren Ende ein Leben auf der Straße steht. Offiziellen Schätzungen zufolge wächst Berlin jährlich um 40.000 Neubürger. Viele kommen über die offenen Grenzen aus Osteuropa in die neue Boomtown an der Spree und sind oft bereit, für drei bis vier Euro Stundenlohn zu arbeiten. Das macht sich auch auf dem städtischen Wohnungsmarkt bemerkbar. Die hohe Nachfrage korrespondiert schon lange nicht mehr mit den geringen Löhnen. Wann die für 2013 angekündigten Programme des Berliner Senats zur Verbesserung der Wohnsituation Wirkung zeigen, bleibt offen. Denn Berlin ist faktisch pleite, finanziert einen beträchtlichen seiner Ausgaben durch Zuwendungen aus dem Länderfinanzausgleich. Zurzeit gieren in Berlin alle nach Geld. Aus Heikos Notunterkunft sollen bald rentable Ferienappartments für zahlungskräftige Touristen werden. Doch das ist bislang nur ein Gerücht.

Veröffentlicht von on Feb. 4th, 2013 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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