Justament-Debatte: Können Demokratie und Rechtsstaatlichkeit überall funktionieren?
Hier bei uns klappt es im Großen und Ganzen ja noch ganz gut mit der Demokratie und dem Rechtsstaat, und das schon seit stolzen 68 (im Osten 23) Jahren. Aber wie ein Blick in andere Regionen der Welt beweist, ist das alles andere als selbstverständlich.
Da gibt es zum Beispiel ein Land, das vor langer Zeit mal die Demokratie erfunden hat. Ausgerechnet dort haben seit einigen Jahrzehnten die beiden großen politischen Parteien systematisch den Staat ausgeplündert, indem sie ihren Anhängern nach jeder Wahl überflüssige Beamtenposten in großer Zahl zuschanzten, das mit üppigen Subventionen aus anderen EU-Ländern finanzierten und zur Aufnahme immer höherer Schulden die Staatsbilanzen fälschten. Und inzwischen muss man sogar noch froh sein, wenn sich die korrupten Altparteien dort gemeinsam an der Macht halten können, weil die Opposition ihren Bürgern erst recht das Blaue vom Himmel verspricht und mit ihr am Ruder wohl ganz Europa in den Abgrund gezogen würde.
Oder nehmen wir das Kernland des einst größten Weltreichs der Antike, das der Welt seinerzeit mal die Zivilisation gebracht hat. Dort hat schon seit Jahrzehnten kaum eine Regierung mehr länger als zwei Jahre durchgehalten. Bei den Parlamentswahlen wählen die Leute mit großer Mehrheit einen Schauspieler oder einen Clown. (Das darf allerdings nur laut sagen, wer nicht Deutscher Bundeskanzler werden will.) Und der mächtigste Politiker feiert am liebsten Bunga-Bunga-Partys mit minderjährigen Mädchen.
Oder blicken wir auf das Land, das vor sehr langen Jahren mal die Pyramiden gebaut hat. Hier haben die Bürger zuerst mit viel Trara den alten Diktator aus dem Amt gejagt, um dann sogleich mit großer Mehrheit die religiösen Fundamentalisten an die Macht zu wählen, die alle Freiheiten gleich wieder einkassierten. Aber weil das den Leuten nach nur einem Jahr auch wieder nicht gepasst hat, haben sie nun so lange demonstriert, bis ihre Armee unter dem großen Beifall der Bevölkerung die demokratisch gewählte Regierung absetzte und den Präsidenten inhaftierte. Jetzt herrscht dort erst einmal das Militär.
Von den vielen, vielen Ländern, in denen es noch weitaus schlimmer zugeht als in den drei genannten, wollen wir lieber schweigen. Mal unter uns: Sind Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht bei Lichte betrachtet ziemlich exklusive Errungenschaften einiger weniger Länder in Nord- und Mittel-Europa und –Amerika? Und dienen sie nicht allen anderen, die sich in ihnen versuchen, nur als Fassade für die im Wesentlichen alleinige Herrschaft korrupter Eliten oder durchgeknallter Extremisten? Ist es da nicht ehrlicher, gleich offen die Vorzüge der Einparteienherrschaft zu preisen, wie es die Chinesen tun? Eure Meinung ist gefragt!
Die Redaktion
Wie sagte schon der alte Rechtsphilosoph Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Und solche Voraussetzungen sind nach meiner Meinung vor allem: ein abgekühltes politisches Temperament der großen Mehrheit der Bevölkerung; die allgemeine Akzeptanz staatlicher Institutionen als vorrangig vor traditionellen Nationalismen, Clanherrschaft und Religionen; ein individuelles Bewusstsein von Staatsbürgerschaft als vorrangig vor traditionellen Gruppenzugehörigkeiten und last not least eine Beteiligung oder Beteiligungsperspektive der großen Mehrheit der Einwohner am Wohlstand nebst einem Mindestmaß an sozialer Durchlässigkeit (Aufstiegsperspektive). Die allmähliche Schaffung dieser Voraussetzungen erfordert einen mühsamen kollektiven Lernprozess und sehr viel Geduld. Mit Rückschlägen ist leider immer zu rechnen. Wir Deutschen sollten das besser wissen als alle anderen, wenn wir nur an die Weimarer Republik ff. denken…
Also ich habe eher den Eindruck, dass große Teile der Welt solche Lernprozesse in umgekehrter Richtung durchmachen. Die sind von Demokratiefähigkeit heute weiter entfernt als jemals zuvor. Wenn die keinen Diktator an der Spitze haben, der ihnen mit harter Hand sagt, wo es langgeht, dann enden sie wahlweise im Bürgerkrieg oder im Gottesstaat.
In Lateinamerika werden Demokratie und Freiheit oft von windigen Geschäftemachern und korrupten Politikern missbraucht…
Eine politische Kultur, die sich über die Garantie individueller Freiheitsrechte und das Recht kollektiver Partizipation definiert, ist immer das Ergebnis eines sehr langen -nicht unbedingt linearen- säkularen Entwicklungsprozesses, der sukzessive archaische Reflexe durch gewaltlose Verrechtlichung sublimiert. Die Schaffung und Gewährleistung von Wohlstand und Bildung (=Literarisierung) sind unabdingbar notwendig. Werden diese Voraussetzungen erfüllt, können Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gelingen, sie müssen es aber nicht. Nimmt man die Declaration of Independence in den USA als prominentestes Beispiel, datiert diese Entwicklung zurück bis zur Magna Charta in England. Die Realisation ist dennoch oft zufällig, da es eines Kulminationspunktes bedarf, um vom Normalzustand, der Beherrschung durch kleine Eliten oder durch einen anderen Staat, abzuweichen. Die Rückentwicklung zur Oligarchie ist jederzeit möglich – eine Phase die die USA gerade durchlaufen, da das System -global unter Druck- nicht mehr genügend Wohlstand generiert und damit auch das Bildungsniveau sinkt.
…und dennoch führt an ihr kein Weg vorbei… denn Diktaturen sind noch schlimmer, da in ihnen wegen mangelnder Pressefreiheit alles unbemerkt passiert…. etwa auf Kuba, wo der Staat den Kommunismus predigt und selbst der größte Kapitalist ist…
Man sagt es ja wirklich nicht gerne und schon gar nicht laut, aber für manche Länder ist eine schnelle Einführung von Demokratie wirklich keine gute Idee, weil mit ihr unweigerlich das nackte Chaos ausbricht. Die bräuchten mindestens noch ein paar Jahrzehnte eine Art modernisierende Entwicklungsdiktatur, von der sie sich dann aber möglichst selbst befreien sollten, denn fremde Eingriffe werden meist als Kulturimperialismus wahrgenommen und gehen daher überwiegend nach hinten los.
Mh, stelle mir manchmal die Frage, inwieweit solch hehre Werte wie Presse- und Meinungsfreiheit etc. auch in anderen Staatsformen als der Demokratie gelebt wird oder ob das zwangsläufig eine Eigenschaft einer Demokratie westlicher Prägung sein muss. Oder inwieweit Demokratie in andere Kulturkreise reinpasst.
Andererseits erleben wir selbst ja in unserer demokratischen Staatsform wie Bürgerrechte teils recht ungeniert umgangen und ausgehöhlt werden im Namen der inneren Sicherheit.