Der Betriebsverfassungsgesetz-Handkommentar aus dem Nomos-Verlag in 4. Auflage
Jens Jenau
In den Jahren mit Betriebsratswahlen – wie 2014 – erscheinen regelmäßig die entsprechenden Kommentare neu, so auch im Nomos Verlag der Handkommentar „Betriebsverfassungsgesetz“, herausgegeben von Franz Josef Düwell. Aber nicht nur die Betriebsratswahl 2014 ist Anlass für die Neuauflage, sondern auch Gesetzesänderungen, die einzuarbeiten waren. Gewichtiger noch als die Aktivitäten des Gesetzgebers wirken sich die Änderungen in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auf das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und die Ausgangslage der Betriebsratswahlen aus.
Herausgeber ist der langjährige Vorsitzende Richter am BAG a.D., Prof. Franz Josef Düwell, sicher einer der anerkanntesten Praktiker auf dem Gebiet des Betriebsverfassungsrechts. Erneut versammelte er ein 18-köpfiges Autorenteam, bestehend aus Richtern der Arbeitsgerichtsbarkeit, Rechtsanwälten, Gewerkschaftsmitarbeitern und Wissenschaftlern um sich, die mit ihrer langjährigen Erfahrung und dem Fokus auf die Praxis für die hohe Bearbeitungsqualität des Handkommentars bürgen. Neben dem BetrVG sind die Wahl-O, das EBRG, der SE-Betriebsrat und die Europäische Aktiengesellschaft (SE) sowie die Arbeitnehmerbeteiligung bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften und die Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates kommentiert.
Wichtige Gesetzesänderungen mit Ausstrahlungen auf das Betriebsverfassungsrecht sind in das Werk eingearbeitet. Das Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt vom 24.10.2010 hat in §§ 216a und 216b SGB III (seit 1.4.2012 in §§ 110, 111 SGB III) neue gesetzliche Vorgaben für Transfermaßnahmen aufgestellt, die bei der Aufstellung eines Interessenausgleichs und Sozialplans zu beachten sind. Ralf Steffan erläutert in §§ 111 ff. BetrVG, wie die Betriebsparteien Transferleistungen zu beachten haben. Für Empörung sorgte 2010 der Missbrauch der Leiharbeit durch die „Drehtür-Methode“. In der Folge der Diskussion und des öffentlichen Drucks kam es zum Ersten Gesetz zur Änderung des AÜG – Verhinderung von Missbrauch in der Arbeitnehmerüberlassung vom 28.4.2011. Danach ergeben sich Unsicherheiten daraus, was nach § 1 Abs.1 S. 2 AÜG unter der „vorübergehenden“ Überlassung zu verstehen sei. Ferner kann nun der Entleiherbetriebsrat nach der Rechtsprechung des BAG die Zustimmung zur Arbeitsaufnahme im Entleiherbetrieb wegen eines Gesetzesverstoßes im Sinne von § 99 Abs.2 Nr.1 BetrVG verweigern. Die Folgen der AÜG-Reform für die Betriebsverfassung erklärt Thomas Kreuder. Auch das Zweite Gesetz zur Änderung des Europäischen Betriebsräte-Gesetzes vom 14.6.2011 (Umsetzung der Richtlinie 2009/38/EG vom 6.5.2009) ist eingearbeitet. Ferner ist das Gesetz zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze (BUK-Neuorganisationsgesetz – BUK-NOG) eingepflegt. Es führt neben der Reduzierung der Zahl der gewerblichen Berufsgenossenschaften zu Änderungen des Arbeitsschutzgesetzes. Danach hat der Arbeitgeber im neugefassten § 5 Abs. 3 ArbSchG in der vom Betriebsrat mitbestimmten Gefährdungsbeurteilung auch „psychische Belastungen bei der Arbeit“ berücksichtigen. In Wolfgang Kothes Kommentierungen der §§ 87 ff. BetrVG ist der betriebliche Gesundheitsschutz umfassend dargelegt.
Intensiv widmen sich die Autoren der neuen BAG-Rechtsprechung seit der Vorauflage, die zu Erneuerungen im Betriebsverfassungsrecht führte. So macht zB. die Änderung der Rechtsprechung des 7. Senats des BAG zur Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer bei der Zahl der Beschäftigten eines Betriebes die Leiharbeit weniger attraktiv. Bisher galt in der Rechtsprechung der Leitsatz: „Wählen, aber nicht zählen.“ Dieser Leitsatz war jedoch zuvor schon durch mehrere Entscheidungen – auch des Ersten und Zweiten Senats des BAG –
aufgelockert worden. Mit Beschluss des BAG vom 13.3.2013 – 7ABR 69/11 änderte der 7. Senat diese Judikatur. Demnach sind Leiharbeitnehmer unter den in der Entscheidung aufgeführten Voraussetzungen bei der für die Größe des Betriebsrats maßgeblichen Anzahl der Arbeitnehmer eines Betriebes grundsätzlich mit zu zählen. Nach dieser neuen Rechtsprechung stellt § 9 BetrVG in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern nur noch auf Arbeitnehmer und nicht auf deren Wahlberechtigung ab, was die am „Sinn und Zweck“ der Schwellenwerte angelehnte Gesetzesauslegung ergebe. Künftig gilt in der Praxis unter den Voraussetzungen der Entscheidung: Leiharbeitnehmer wählen und zählen! Brors/Wolmerath/Steffen zeichnen diese Entwicklung der Rechtsprechung mit ihren Folgen für die über das BetrVG verteilten Schwellenwerte nach. Das BAG hat die in der Praxis wichtigen Fragen der Massenentlassung geklärt. Diese Vorgaben stärken die Position des Betriebsrats insbesondere im Konsultationsverfahren mit dem Arbeitgeber. Hierzu sind weiterführende Hinweise zu finden.
Düwells lesenswerte Einleitung führt in das System der Betriebsverfassung grundlegend ein. Besonders aus Sicht des Rezensenten zu erwähnen sind Kloppenburgs Kommentierungen der Haftung der Betriebsratsmitglieder (§ 1 BetrVG Rn. 154 ff.) und zum Arbeitnehmerbegriff in § 5 BetrVG sowie Lorenz Ausführungen zu den Grundsätzen für die Behandlung der Betriebsangehörigen, besonders zu Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer durch Überwachung der Beschäftigten, durch die betriebliche Nutzung von E-Mail und Internet und der Videoüberwachung (§ 75 BetrVG Rn. 44 ff.). Lehrreich ist die Kommentierung von Kothe zur Systematik der Mitbestimmung (§ 87 BetrVG Rn. 4 ff.).
Die Kommentierungen folgen einer einheitlichen Systematik. Den anfänglichen allgemeinen Ausführungen folgt die Erläuterung der Tatbestandsmerkmale der jeweiligen Vorschriften, bevor praktische Hinweise zu Streitigkeiten und Beschlussverfahren oder zu Gegenstandswerten, Kosten und Gebühren die Ausführungen abrunden. Ganz im Sinne eines Arbeitsmittels für die Praxis sind darin die Antragsformulierungen, Geschäftsordnungsmuster (s. § 36 BetrVG), Musterschreiben, Auflistungen oder Betriebsrats- und Arbeitgeberschreiben platziert. Die mit fettgedruckten Begriffen durchzogenen Texte vereinfachen die gezielte Suche. Der Fußnotenapparat zitiert zumeist neuere BAG- und Instanzrechtsprechung, nicht ohne die Literatur außer Acht zu lassen.
Fazit: Der Handkommentar „Betriebsverfassungsgesetz“ ist ein herausragend gut strukturierter und lesbarer Kommentar, der die Problematiken und Streitpunkte der Betriebsverfassung nahe bringt. Mit hoher Aktualität und mit dem für einen Handkommentar bemerkenswerten Umfang bietet er einen enormen Informationsfundus, um Einzelprobleme oder umfassende Sachfragen zu klären. Konsequent richten die Autoren den Blick auf die Praxis, so dass mit dem Werk in der täglichen Beratung und Prozessvertretung gut zu arbeiten ist. Sie scheuen nicht davor zurück, wenn nötig, bestimmte Entwicklungen kritisch zu hinterfragen. Auch in der vierten Auflage bietet der Handkommentar „Betriebsverfassungsgesetz“ die pointierte Aufbereitung des BetrVG mit den wichtigsten Nebengesetzen und das noch immer bei einem ansprechenden Preis-Leistungs-Verhältnis. Zu Recht hat „der Düwell“ unter den BetrVG-Kommentaren mittlerweile eine herausragende Position eingenommen.
Betriebsverfassungsgesetz
Franz Josef Düwell (Hrsg.),
4. Auflage 2014, 1.908 S., 98,00 €,
Nomos Verlag,
ISBN: 978-3-8487-0358-6