Deutsche Juristenbiographien, Teil 12: Rudol Smend (1882-1975)
Matthias Wiemers
Neben Hans Kelsen und Carl Schmitt ist Rudolf Smend der dritte der drei auch heute noch wirksamen Staatsrechtslehrer der Weimarer Republik. Er hat eine unzweifelhaft auch heute noch so apostrophierte „Smend-Schule“ gebildet, der man in gewisser Weise auch eine Zeitschrift zuordnen kann – das Archiv des Öffentlichen Rechts.
Rudolf Smend wird im Jahre 1882 als Sohn eines protestantischen Theologieprofessors in Basel geboren und wächst in Göttingen auf. Studien in Basel, Berlin, Bonn und Göttingen münden in eine Göttinger Dissertation über das Verhältnis der preußischen Verfassungsurkunde zur belgischen im Jahre 1904. Die Habilitation erfolgt im Jahre 1908 bei Albert Haenel in Kiel über das Reichskammergericht. Ein erster Ruf führt im Folgejahr nach Greifswald, zwei Jahre später der erste auf ein Ordinariat in Tübingen, worauf Bonn (1915) und Berlin (1922) folgen. Im Jahre 1935 wird Smend, der sich dem NS-Regime nicht angedient hat, nach Göttingen abgeschoben.
Die Herkunft aus einer protestantischen Pfarrer- und Professorenfamilie führen Smend bereits 1918 in kichliche Gremien. 1933 wird er infolgedessen beispielsweise Mitglied der oppositionellen Bekennenden Kirche und dann 1945 in den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt.
Evangelisches Kirchenrecht spielt im Werk Smends eine durchgehende Rolle, und er gilt als ihr Wiederbegründer in der frühen Bundesrepublik. Insgesamt stellen jedoch die Kirche als das Gegenüber des Staates – in Form des Staatskirchenrechts – sowie das Staats- und Verfassungsrecht die zentralen Gegenstände des Smendschen Werkes dar. Unter den staatskirchenrechtlichen Arbeiten der 1950er Jahre ist vor allem eine frühe Interpretation der in das Grundgesetz inkorporierten Weimarer Kirchenartikel zu hervorzuheben.
Als Hauptwerk gilt „Verfassung und Verfassungsrecht“ (1928), in dem die so genannte Integrationslehre entwickelt wird. Die Integrationslehre, die im Gesamtwerk durchaus einem inhaltlichen Wandel unterzogen wird, ist Teil der geisteswissenschaftlichen Methode, wie sie sich im Weimarer Methodenstreit in Abgrenzung insbesondere vom staatsrechtlichen Positivismus äußert. Staat bedeutet nach Smend Integration im Sinne eines Prozesses, der von der Verfassung als rechtlicher Ordnung dieses Prozesses gesteuert wird. Er ist „nicht ein ruhendes Ganzes, das einzelne Lebensäußerungen, Gesetze, diplomatische Akte, Urteile, Verwaltungshandlungen ergehen lässt. Sondern er ist überhaupt nur vorhanden in diesen einzelnen Lebensäußerungen, sofern sie Betätigungen eines geistigen Gesamtzusammenhangs sind, und in den noch wichtigeren Erneuerungen und Fortbildungen, die lediglich diesen Zusammenhang selbst zum Gegenstand haben. Er lebt und ist da nur in diesem Prozess beständiger Erneuerung, dauernden Neuerlebtwerdens; er lebt … von einem Plebiszit, das sich jeden Tag wiederholt.“ Diese Staatslehre, die in der geistesgeschichtlichen Tradition Hegels steht und sich damit von der bis dato vorherrschenden neukantianischen Unterscheidung von Sein und Sollen abwendet, hat großen Einfluss namentlich in der Grundrechtsinterpretation des Bundesverfassungsgerichts – nicht zuletzt über einflussreiche Schüler – gefunden.
Das bis in die letzten Lebensjahre des Emeritus gepflegte Göttinger Smendsche Seminar ist bis heue legendär. Aus ihm gingen etwa der spätere Verfassungsrichter Konrad Hesse, der einflussreiche Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis und der mehrmalige Bundesminister Horst Ehmke hervor.
Quellen: Michael Stolleis, Smend, Rudolf, in: Juristen, ein biographisches Lexikon, 1992,
Konrad Hesse, Smend, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. 4, Sp. 1183 ff.,
Rudolf Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. 1968